Siemens investiert in Meeresenergie
Im September 2011 gab Siemens bekannt, aus dem Atomgeschäft auszusteigen. Umso mehr engagiert sich der Konzern bei grünen Energien, etwa der Windkraft und beim Projekt Desertec. Jetzt will Siemens einen Hersteller von Gezeitenturbinen übernehmen.
Marine Current Turbines mit Sitz in Bristol gilt als einer der führenden Entwickler und Hersteller von Gezeitenturbinen. Erst im November 2011 hatte Siemens seine Beteiligung an dem Unternehmen auf 45 Prozent aufgestockt. Jetzt hat Siemens seinen Anteil erneut erhöht und verfügt über die Mehrheit an Marine Current Turbines.
Siemens plant, die vollständige Übernahme von Marine Current Turbines in den nächsten Wochen abzuschließen. Über die finanziellen Details der Transaktion wurde Stillschweigen vereinbart. “Die Übernahme von Marine Current Turbines ist ein wichtiger Schritt”, sagte Ted Scheidegger, CEO der Division Solar & Hydro im Siemens-Sektor Energy. “Wir werden die Kommerzialisierung dieser vielversprechenden Technologie weiter vorantreiben. Ziel ist es, eine führende Position in diesem Zukunftsgeschäft einzunehmen.”
Die weltweiten Verpflichtungen zur Reduktion von Kohlendioxid werden nach Meinung vieler Experten zu einer steigenden Nachfrage nach Meeresenergie führen. Beobachter rechnen bis 2020 mit jährlich zweistelligen Zuwachsraten für dieses Segment. Das weltweite Potenzial für die Stromerzeugung mithilfe von Gezeitenkraftwerken wird auf 800 Terawattstunden (TWh) jährlich veranschlagt.
Zum Vergleich: Das ist rund ein Viertel mehr als der Gesamtstrombedarf Deutschlands und entspricht drei bis vier Prozent des weltweiten Stromverbrauchs. Küstenregionen mit starkem Gezeitenstrom wie Großbritannien, Kanada, Frankreich und der ostasiatische Raum haben große Potentiale zur Nutzung dieser Technologie.
Marine Current Turbines hat mit SeaGen in Strangford Lough in Nordirland bereits ein Demonstrationsprojekt in kommerziellem Maßstab umgesetzt. Seit November 2008 erzeugen zwei Axial-Turbinen mit einer Gesamtleistung von 1,2 Megawatt (MW) Strom und versorgen damit rund 1500 Haushalte. SeaGen hat bislang bereits mehr als drei Gigawattstunden elektrischer Energie ins Netz eingespeist. Gemessen an der Stromerzeugung ist dies bisher das größte Gezeitenturbinenprojekt. Weitere Projekte sind in der Planungsphase: das 8-Megawatt-Vorhaben Kyle Rhea in Schottland und das 10-Megawatt-Projekt Anglesey Skerries in Wales.
Gezeitenturbinen nutzen die durch Ebbe und Flut verursachten Meeresströmungen, um mithilfe von im Wasser angebrachten Rotoren Strom zu erzeugen. Die Turbine des Typs SeaGen steht an einem Mast frei in der Strömung. Die Funktionsweise ähnelt der einer Windturbine, wobei die Rotorblätter im Meer von der Wasserströmung angetrieben werden.
Das strömende Wasser hat eine um den Faktor 800 höhere Energiedichte als Wind. Zweiflügelige Rotoren drehen sich infolge des Gezeitenstroms und richten sich – dank der um 180 Grad drehbaren Blätter – nach der Strömungsrichtung und -geschwindigkeit aus. Ein Vorteil der Gezeitenkraft ist, dass die Stromproduktion aufgrund der Gezeitenzyklen planbar ist.