Die Märzrevolution over TCP/IP
Großes versucht haben deutsche Liberale im März 1848. Im März 2012 ist ihnen sogar ein bisschen was gelungen. Aber sie heißen jetzt anders.
Jetzt also ein Monatsrückblick. Sowas schreibt sich unangenehm. Ein Monat ist so ein langer Zeitraum. Da erschrickt man leicht beim Zurückblicken. Dann nämlich, wenn er einem im Nachhinein doch recht kurz vorkommt, weil eigentlich nichts war von dem, was das Leben ausmacht, sondern es nur endlos sich dahinziehende Arbeitsstunden gab.
Bei einem guten Monat verhält es sich gerade umgekehrt: Er vergeht wie im Flug. Rückblickend aber stellt er sich als lange Spanne heraus, angefüllt mit Leben. Das ist das Paradoxon der Zeit.
Für ITler ist der März nie ein guter Monat, allein schon wegen der lästigen Hannoveraner Pflicht. Über den aus persönlicher Sicht zu schreiben, lohnt sich nicht.
Deshalb diesmal ein politischer Rückblick. Denn es ist etwas passiert, was gut ist für Deutschland. Nein, nicht dieser neue Bundespräsident der Herzen – die Lady Di der Republik. Gut ist vielmehr, dass die Bundesrepublik jetzt endlich eine liberale Partei bekommen hat – quasi ein Download aus dem Cyberspace.
Die anderen Parteien tun sich ja noch recht schwer mit den Piraten. “Wo sitzt ihr eigentlich im Landtag, ganz rechts oder ganz links? Oder im Computerraum?” soll der saarländische CDU-Generalsekretär gefragt haben. Damit hat er – was ihm sicherlich nicht allzu oft passiert – etwas Kluges gesagt: Die Piraten lassen sich tatsächlich nur unter Zuhilfenahme der analytischen Sprache der IT begreifen.
Da ist zum einen ihre erstaunlich Skalierbarkeit: Jetzt wieder 7,4 Prozent im Saarland nach 8,9 Prozent in Berlin vergangenen September. In der IT wie in der Politik gilt halt: Skalierbarkeit lässt sich nicht herbeireden, sondern sie muss sich praktisch beweisen. Jene der Piraten hat das.
Deswegen nimmt sich auch die Kritik aus den Reihen des organisierten liberalen Legacy-Problems Deutschlands, der FDP, recht albern aus. Die Piraten seien “von der Tyrannei der Masse” geprägt, sagte der FDP-Generalsekretär Patrick Döring. So kann nur einer reden, dessen Partei mit irgendwelchen Massen nun wirklich überhaupt nichts mehr zu schaffen hat.
“Die Piratenpartei kopiert die FDP”, meint wiederum Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Das zeigt wie wenig Ahnung von der Materie die alte Dame doch hat, die sich wohl redlich, aber erfolglos um etwas Liberalität im Netz bemüht: Eine Kopie kann nicht um ein Vielfaches größer sein als das Original.
Nein, die Piraten sind das neue Mainrelease des bundesdeutschen Liberalismus nach der Version 1.0, die einst von großen Administratoren wie Theodor Heuss implementiert wurde, um anschließend nach vielen Downgrades bis auf Guido Westerwelle herunterzukommen, und nach den grünen Liberalen 2.0, die basisdemokratisch begannen und bei Joseph Martin Fischer endeten. Auch bei denen ist das Ende ihres politischen Life-Time-Cycles bereits in Sicht. Die Piraten sind deswegen ein wichtiger Bugfix, fast schon ein Service-Pack, das sich das politische System der Bundesrepublik Deutschland da aus dem Netz gezogen hat.
Gut, viele werden erst einmal zurückhaltend sein. In der Politik wie in der IT gilt schließlich: Ein erfahrener User ist das gerade Gegenteil eines early Adopters. Und die dokumentierte Code-Basis des neuen liberalen Projekts ist ja noch arg dürftig, eher eine App als ein Programm.
Andererseits haben Parteiprogramme eh mehr den Charakter von Handbüchern. Sie werden nicht für die Praxis geschrieben und schon gar nicht, um den User zu informieren, sondern sie dienen neben internen Zwecken vor allem dem Marketing. Drin steht im Wesentlichen, um was für ein tolles Produkt es sich doch handelt und dass andere schuld sind, wenn’s nicht funktioniert.
Auch das Neue Deutschland schreibt über die Piraten, treibt dabei das im Namen angelegte Bild auf die Spitze, auf die Führungsspitze, und fragt immer wieder nach dem Kapitän. Das liegt an der Perspektive der Linkspartei, bei der sich ja herausgestellt hat, dass es da ohne den starken Mann auf der Kommandobrücke, der ansagt, wo Backbord ist, nicht geht. Aber der Ihre ist halt auch schon im Rentenalter.
Bei den Piraten hingegen gibt es keinen Chef. Das zeigt, dass diese Leute nichts mit der Kriegsmarine zu schaffen haben, sondern aus der IT kommen. Denn nur dort weiß man wirklich, wie verhängnisvoll sich ein Single-Point-of-Failure auswirken kann.
Angesichts dieser politischen Innovation hatte der März ja doch was Gutes. Er war “gut für Deutschland”, wie ein Politiker es formulieren würde. Aber was interessiert einen Deutschland, wenn man selbst nur gerödelt hat.
Der April wird besser. Er wird wie im Fluge vergehen. Und im Nachhinein wird er einem vorkommen wie eine Ewigkeit, angefüllt mit prallem Leben. Beim Schreiber zumindest wird’s so sein – bestimmt. Und wenn’s vielen so geht, dann ist das ja auch irgendwie gut für Deutschland.