Berners-Lee: “Daten sind wie Dynamit”

Sir Tim Berners-Lee. Quelle: silicon.de.

Das Thema Open Data liegt Interneterfinder Sir Tim Berners-Lee am Herzen. Bei einer Keynote-Rede in Dublin sprudelt er förmlich über vor Ideen, Anregungen und Visionen zu möglichen Anwendungsszenarien für Unternehmen und Regierungen. Bei einem Interview im Anschluss an seine Rede sprach silicon.de am Rande der Teradata Universe in Dublin mit dem MIT-Professor unter anderem über Europas Rolle im Open Data Web und die Liebe der CIOs zu ihren Daten.

silicon.de: In Deutschland gibt es einige interessante Open-Data-Projekte, unter anderem in Berlin und Bayern. Können Deutschland und Europa eine führende Rolle im Open Data Web übernehmen?

Berners-Lee: Ja ich denke, das ist durchaus möglich. Im Augenblick hinkt Europa noch etwas hinter, aber durch gezielte Anstrengung kann eine Führungsrolle übernehmen. Die Projekte in Deutschland sind sehr interessant und wichtig, um Europas Rolle in diesem Prozess zu stärken. Wichtig ist, dass alle Länder zusammenarbeiten, denn die Daten müssen über Ländergrenzen hinweg zur Verfügung stehen. Nur so können diese Informationen sinnvoll eingesetzt werden.

Jedes europäische Land hat seine eigenen Daten, beispielsweise über den Zustand der Straßen, die Transportmöglichkeiten und so weiter. Wenn ich aber eine Reise per Bus, Bahn und Fähre nach Rom plane, brauche ich die Daten aller unterschiedlichen Busbetreiber quer durch Europa.

Eine einheitliche Datenbasis über alle europäischen Länder hinweg ist entscheidend und bietet auch einen Mehrwert für die gesamte Wirtschaft.

silicon.de: Wie ist es Ihrer Meinung nach möglich, Unternehmen davon zu überzeugen, dass sie ihre Daten öffentlich machen?

Berners-Lee: Das ist ähnlich wie in den Gründerjahren des Internets. Die ersten Firmen und Geschäfte, die eine eigene Webseite hatten, mussten sich oft fragen lassen, was das bringen soll. Viele sträubten sich lange dagegen, etwa Produktpreise zu veröffentlichen – aus Furcht, der Konkurrenz hier wertvolle Informationen zu überlassen. Es stellte sich jedoch schnell heraus, dass diese Offenheit ein Wettbewerbsvorteil bei den Kunden war, die Firmen bevorzugten, die ihnen die notwendigen Preisinformationen unkompliziert zur Verfügung stellten.

Eine ähnliche Entwicklung werden wir im Hinblick auf Open Data sehen. Der hohe Wettbewerbsdruck wird Unternehmen und Regierungen zu mehr Transparenz zwingen. Vor allem bei Regierungen tut sich auf diesem Gebiet im Augenblick viel.

silicon.de: Das stellt IT-Abteilungen vor große Herausforderungen.

Berners-Lee: Der Wunsch, Daten zu kontrollieren ist natürlich und menschlich. In meinen Gesprächen mit CIOs stelle ich immer wieder fest, dass diese ein intensives Verhältnis zu den Daten haben, die ihr Unternehmen speichert. Man könnte fast von Kontrollfreaks sprechen, die ihre Datenbank verteidigen, als wäre sie eine geliebte Frau: “Du kannst sie nicht haben, denn Du würdest sie nicht verstehen”.

silicon.de: Das Argument ist nicht ganz von der Hand zu weisen – jede Firma und jede Regierung hat für die Verwaltung ihrer Daten ein eigenes System, das oft über Jahrzehnte gewachsen ist.

Berners-Lee: Es müssen Standards geschaffen werden, die es ermöglichen, Daten unterschiedlicher Herkunft zu verstehen. Sind die Daten homogen, spielt die Menge der Daten nur noch eine untergeordnete Rolle und kann nicht zum Problem werden.

Natürlich gibt es keine perfekten Daten, aber wir brauchen ein einheitliches Standard-Format, das es unter anderen ermöglicht Daten miteinander zu verbinden, etwa um intelligente Services zu entwickeln. Solche Datensysteme sind in der Lage, komplexe Fragestellungen zu beantworten und die gegenseitige Abhängigkeit der einzelnen Aspekte des Problems schnell zu visualisieren. Deswegen ist Linked Data äußerst wertvoll.

silicon.de: Dabei geht es auch um eine neue Kultur der Transparenz. Wie können Regierungen diesen Wandel vollziehen?

Berners-Lee: Die meisten Daten, die von Regierungsbehörden erhoben werden, sind persönliche Daten. Dementsprechend dreht sich in erster Linie alles um die Frage, wie diese Daten anonymisiert werden können. Hier liegt auch die Lösung für die meisten Datenschutzprobleme.

Wenn es gelingt diese zu lösen, sind die positiven Auswirkungen riesig. Wenn Regierungen ihre Daten im Web zur Verfügung stellen, kann die Bevölkerung sehen, was mit ihren Investitionen – also ihren Steuergeldern – passiert. Das kann vieles möglich machen.

silicon.de: Wer sollte darüber wachen, dass die Daten angemessen geschützt sind?

Berners-Lee: Dazu müssen die Regierungen starke, unabhängige Aufsichtsbehörden etablieren. Denn gespeicherte Daten sind wie Dynamit und beinhalten eine hohe Sprengkraft, wenn sie in die Hände von Kriminellen gelangen. Doch es darf nicht darauf hinauslaufen, dass das komplette Internet ausspioniert wird.

Manche Regierungen gehen bei dem Versuch, Gesetzesverstöße im Internet zu verhindern, zu weit. In Frankreich etwa ist es möglich, ganze Familien vom Internet abzukoppeln, weil ein Familienmitglied gegen das Urheberrecht verstoßen und illegal Inhalte aus dem Internet heruntergeladen hat. Das ist mehr als Zensur. Es gibt Menschen, die würden lieber ins Gefängnis gehen, als Zuhause ohne Internetanschluss zu sein.

Redaktion

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