Deutschlands CEOs reden keinen Klartext

Dieter Zetsche. Quelle: Daimler.

“Die Vorstandsvorsitzenden verspielen allesamt ihre Chance”, so das Urteil von Professor Frank Brettschneider, Leiter des Fachgebiets Kommunikationstheorie an der baden-württembergischen Universität Hohenheim.

“Dabei ist das doch die Gelegenheit für sie, ihre Botschaften wirksam vor Aktionären und Journalisten zu platzieren.” Aber statt Klartext, sprächen Deutschlands Top-Manager lieber von “Nettofinanzschulden”, “diversifizierten Industriekonzepten” und “Deinvestitionsprogrammen”, kritisiert der Experte.

Gemeinsam mit seinem Team hat Brettschneider untersucht, wie verständlich die 30 führenden Wirtschaftsbosse Deutschlands auf Jahreshauptversammlungen sprechen. Die Bilanz des Professors nach den ersten 15 Reden ist ernüchternd. Auf einer Skala bis maximal 10 Punkte landete auch die beste CEO-Rede mit 6,1 Punkten lediglich im Mittelfeld.

Gehalten wurden sie von Daimler-Chef Dieter Zetsche Anfang April in Berlin. “Das ist insofern bemerkenswert, als Zetsche mit weit über 6.500 Wörtern die längste Rede gehalten hat”, sagt Brettschneider. Gleichzeitig habe der Daimler-Boss aber gegenüber vielen seiner Kollegen einen entscheidenden Vorteil – die Branche.

“Autos und Motoren kennt jeder. Also sind auch alle mit dem grundlegenden Vokabular vertraut. Außerdem haben Automobilhersteller meist den Endverbraucher im Kopf und denken in dessen Sprache”, sagt Brettschneider. Deshalb ist auch Platz 2 fest in der Hand der deutschen Automobilindustrie. Dorthin hat es VW-Chef Martin Winterkorn mit 5,7 Punkten geschafft.

Die untersten Ränge füllen dagegen Bosse aus der Chemie-Branche. Schlusslicht ist BASF-CEO Schlusslicht Kurt Bock (3,3 Punkte), Henkel-Chef Kaspar Rorsted ist mit 3,5 Punkten schneidet mit 3,5 Punkten nur unwesentlich besser ab. Brettschneiders Erklärung: “Chemie-Unternehmen beliefern hauptsächlich andere Industriezweige. Den Endverbraucher haben sie gar nicht im Blick. Dessen Sprache sprechen sie auch nicht.”

Die CEOs der ITK-Branche tummeln sich im Halbzeit-Ranking im Mittelfeld. Siemens-Chef Peter Löscher bringt es auf 5,4 Punkte, Infineon-Boss Peter Bauer rangiert knapp dahinter mit 5,2 Punkten. Er fiel Sprachexperte Brettschneider allerdings durch die Verwendung von “Monsterwörtern” besonders negativ aus. Er bastelte auf der Infineon-Hauptversammlung aus 37 Buchstaben den Begriff “Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung”. Solche Begriffe erschweren das Verstehen erheblich“, sagt Brettschneider.

Er kritisiert das mangelnde Problembewusstsein in den Führungsetagen. “Die meisten Vorstandsvorsitzenden denken vor allem an Analysten und Wirtschaftsjournalisten, wenn sie auf der Hauptversammlung sprechen. Sie vergessen, dass sie auch in die breite Öffentlichkeit wirken können und legen deshalb viel zu wenig Wert auf kurze Sätze und gebräuchliche Wörter. Dabei gilt: Nur wer verstanden wird, kann auch überzeugen.”

Der Kommunikationswissenschaftler verwendet für seine Arbeit eine spezielle Software, die die Reden nach formalen Gesichtspunkten analysiert.

Bislang hat die Hälfte der DAX-30-Unternehmen ihre Jahreshauptversammlung für 2012 abgehalten. Das endgültige CEO-Ranking wird deshalb voraussichtlich Ende Mai erscheinen. Professor Brettschneider hofft auf Überraschungen: “In Sachen Verständlichkeit ist ja gerade im Spitzenfeld noch sehr viel Raum.”

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Redaktion

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