IT-Abteilungen automatisieren kaum die eigenen Prozesse
Standardisierte Routinen senken Kosten und steigern Servicequalität. Dennoch ist der bereich Automatisierung in Unternehmen unterschiedlicher Größenordnungen vielfach noch unterentwickelt. Dabei gibt es genügend Angebote für entsprechende Lösungen.
Software-Entwickler erfreuen ihre Kunden seit drei Jahrzehnten durch Routinen und Automatisierungen, die Arbeitsprozesse optimieren, so dass weniger Fehler passieren und der Service verbessert wird. Und das bei geringerem Personalaufwand und sinkenden Kosten. Doch Ralf Weber, Automatisationsfachmann der Hamburger Direkt-Gruppe, wundert sich immer wieder, dass die meisten Administratoren IT-Betriebsprozesse noch immer “händisch” oder nur teilweise automatisiert erledigen.
So greifen beispielsweise die Fort- und Weiterbildungsabteilungen der meisten deutschsprachigen Kliniken auf das Seminarmanagementsystem und die Personalentwicklungssoftware des württembergischen Marktführers Easysoft zurück, mit der etwa automatisch Interessierten eine Absage erteilt wird, wenn ein Seminar voll ist, oder dem ersten Nachrücker eine Zusage geschickt wird, wenn ein Teilnehmer absagt. Allein mit der direkten Anmeldung über das Intranet spart Birgit Schmidt vom Herz- und Diabeteszentrum Bad Oeynhausen geschätzte 30 Prozent Arbeitszeit und ohne Software könnte sie die jährlich 230 Seminare mit 3000 Teilnehmern sowieso nicht allein organisieren.
Und in den IT-Abteilungen? Trotz Einführung der IT Infrastructure Library haben Beschreibung und Dokumentation von Prozessen oft nichts mit dem tatsächlichen Ablauf zu tun. Oft werden Prozessschritte in einem undokumentierten Script eines Administrators umgesetzt und sind nicht für alle involvierten IT-Mitarbeiter transparent, so Weber. Oder es sind gar keine Standards definiert. Wird etwa ein neuer Abteilungsleiter berufen, dann bekommt der diese Programme und jene Zugriffsrechte. Und wenn er auch in diese Datenbank reinschauen will, dann wird der Zugang erteilt, weil es schlüssig klingt. Weber schätzt, dass 80 Prozent der großen mittelständischen Unternehmen bei der Rechtevergabe und -verwaltung nachwievor in ähnlicher Weise verfährt, obwohl bereits effiziente Standardisierungs- und Automationslösungen existieren.
Weil Henry Ford im April 1913 die Arbeitsprozesse in einzelne Schritte zerlegte und standardisierte, reduzierte er Fehlerquellen, sparte Arbeitszeit und minimierte Produktionskosten. Das Ford T-Modell wurde ein Verkaufsschlager – rund 15 Millionen Exemplare wurden gebaut. Wird eine IT-Automatisierung optimal eingesetzt, kann eine User-, Accountanlage oder Berechtigungsänderung von einem Tag Durchlaufzeit auf weniger als eine Stunde reduziert werden. Statt drei kostenintensiven IT-Spezialisten ist lediglich einer involviert oder der Prozess vollkommen automatisiert, so die Kalkulation der Direkt-Gruppe. Die jährliche Ersparnis kann schnell sechsstellige Summen erreichen, resümiert Fachmann Weber auf Grund seiner Projekterfahrungen bei Unternehmen mit 2000 und mehr Anwendern in den vergangenen sieben Jahren. Meist noch wichtiger: Fehlerquellen werden reduziert, ob in der Einrichtung von Mail-Postfächern, im Netzwerk-Betrieb oder aktuell bei der Integration in einen Cloud-Service.
Unternehmen, die sich mit dem Thema Automatisierung beschäftigen, müssen klare Standards entwickeln. Um beim Beispiel des neuen Abteilungsleiters zu bleiben: Es muss definiert sein, welche Unternehmensanwendungen er nutzen darf und welche Zugriffsrechte er bekommt. Es wird Unterschiede geben, ob er den Vertrieb oder die Finanzen leitet. Wichtig auch, welche Rechte verliert er, wenn er innerhalb des Unternehmens wechselt?
Gegenwärtig existiert für beinahe alle denkbaren Einsatzmöglichkeiten mindestens eine Automatisierungslösung. Aber für umfassende Geschäftsabläufe existiert in der Praxis keine durchgängige Lösung, und so erzielt nicht jede technisch mögliche Maßnahme auch eine tatsächliche Wirkung. Das ist die Aufgabe des Beratungsprozesses: Möglichst alle praktikablen und sinnvollen Automatisierungsszenarien aufzuspüren, in standardisierten Prozessen abzubilden und die Kosten gegen die Einsparungen abzuwägen. “Dann stellt sich der ROI in der Regel nach spätestens einem Jahr ein”, sagt Sven Kniest, Sales Director Europe vom Software-Hersteller NetIQ. Genauso müsse sich ein Unternehmen von der Vorstellung verabschieden, eine Vollautomatisierung zu realisieren. Wichtig sei es, einen höheren Work-Flow zu erzielen und dass die Administratoren die Kontrolle über die Prozesse behalten, so der Wirtschaftsinformatiker, der seit 13 Jahren Unternehmen berät.
Prozesse mit hoher Wiederholungsrate und niedriger Komplexität sind aus Sicht der Berater ideale Kandidaten für die Automation. “Denn je komplexer das System, desto länger dauern Entwicklung und Implementierung und desto später stellen sich Erfolge ein”, sagt Tilo Böhmann. Einen weiteren Aspekt hebt der Hamburger Informatik-Professor mit den Forschungsschwerpunkten Service Engineering und Service Management hervor: Je komplexer, desto höher die Fehleranfälligkeit und desto unübersichtlicher das Fehlerhandling. Und das in Unternehmen, die Automatisierung erst einführen und ein Gefühl dafür entwickeln müssen. Deshalb sei es wichtig, gemeinsam mit den Mitarbeitern zu überlegen, welche Routinen besonders zeitraubend sind und wo sich erfahrungsgemäß am schnellsten messbare Effekte einstellen.
Meist sind das Benutzereinrichtung und Passwort-Rücksetzen. Was bei Freemail-Programmen wie web.de oder gmx.de üblich ist – nämlich dass User, die ihr Passwort vergessen haben, eine Mail schicken, die automatisch beantwortet wird, läuft in Unternehmen manchmal ganz anders. Dort ruft der Mitarbeiter den Systemadministrator an, der ein neues Passwort einrichtet. Eine kurze, aber lästige Störung. Entweder der Admin reagiert sofort, lässt seine Arbeit liegen und der Mitarbeiter bleibt im Arbeitsfluss oder der Admin priorisiert seine gegenwärtige Tätigkeit und der Mitarbeiter ist lahm gelegt. Gleichbleibende Servicequalität? Fehlanzeige. Je größer das Unternehmen, desto häufiger die Anrufe. Beispielsweise waren in einem Unternehmen, das Weber für die Direkt-Gruppe betreute, zwei IT-Mitarbeiter unter anderem damit beschäftigt, im Schnitt wöchentlich 21 Passwörter rückzusetzen. Das kostete jeweils rund zwei Stunden Arbeitszeit und es dauerte bis zu drei Tagen, ehe die Aufgabe erledigt war. Nach der Automatisierung musste kein IT-Mitarbeiter mehr eingreifen und die Nutzer waren nach zwei Minuten wieder arbeitsfähig. Allein die IT-Abteilung sparte jährlich 252 Manntage ein.
Für jedes Unternehmen gilt es entsprechend den eigenen Anforderungen und unterschiedlichen Arbeitsstrukturen individuelle Lösungen zu entwickeln. Ein Beispiel aus der IT-Sicherheit: Einem Mitarbeiter wurde gekündigt. In vier Wochen verlässt er das Unternehmen. Bis zu seinem Ausscheiden kann er auf Anwendungen und Datenbanken zugreifen. Aber was passiert, wenn er bis dahin aus einem CRM-System alle Kundendaten auf einen USB-Stick runterlädt und sie mit nach Hause nimmt? Würden Warnhinweise an die Administration gesendet? Wichtig sind deshalb individuelle festgelegte Unternehmensregeln: Dieser Nutzer darf auf das Programm zugreifen. Dieser Nutzer darf diese und jene Befehle in dem Programm ausführen. Aber Befehle außerhalb dieses “normalen Verhaltens” – wie kopieren sämtlicher Kundendaten – werden automatisiert unterbunden oder zumindest gemeldet. So genannte Intrusion Detection Systeme (IDS) registrieren das zwar, unterbinden es aber nicht.
Fertige Lösungen führen nur teilweise zum Erfolg. Beratungsunternehmen, die über weitreichende Projekterfahrungen und einen guten und variablen “Handwerkskasten” verfügen, müssen Problemlösungen aber nicht immer neu erfinden und können mit ihren Kunden somit schneller die definierten Ziele erreichen. Den steigenden Anforderungen an die IT-Abteilungen kann durch die Automatisierung in vielen Bereichen durch reduzierte Betriebskosten, gesteigerte Servicequalität und mehr Zeit für Zukunftsprojekte begegnet werden.
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