Soziale Medien wie Facebook und Twitter werden oft als wichtiger für die politische Beteiligung genannt. Als Beispiel führen Verfechter deren Rolle beim Sturz der Regierungen in Nordafrika an. Im vergangenen Jahr verstieg sich Salesforce.com sogar zu der Aussage, der sozialen Revolution in Nordafrika folge nun auf dem Fuße die soziale Revolution in den Unternehmen – was aber eher dazu diente, die neuen Kollaborationsfunktionen anzupreisen als Parallelen zwischen Fähigkeiten und Gebaren von Top-Management und gestürzten Regierungen herzustellen.
Dennoch sorgen Meldungen über Bespitzelung sozialer, Abschaltung und Kontrolle sozialer Medien oder gar des Webs überhaupt in Ländern wie Syrien, dem Iran oder China immer wieder für Aufsehen. Die Rolle des Webs und sozialer Medien – sofern die denn für diese Länder korrekt eingeschätzt wird – darf jedoch nicht auf die Situation in Deutschland übertragen werden, wie eine aktuelle Studie (PDF) nahelegt.
Politikwissenschaftler der Helmut-Schmidt-Universität haben mit ihr untersucht, warum sich junge Erwachsene im Internet politisch beteiligen. Außerdem wollten sie herausfinden, ob sich junge Menschen politisch im Netz engagieren, die dies außerhalb des Webs nicht tun. Sie konnten – zumindest bei den Befragten – jedoch keine Verlagerungstendenz von offline zu online feststellen.
Die Politikwissenschaftler Prof. Dr. Gary Schaal, Claudia Ritzi und Vanessa Kaufmann haben dazu Facebook-Nutzer im Alter zwischen 21 und 35 Jahren nach ihrer politischen Aktivität befragt. Die Ergebnisse widerlegen die häufig geäußerte Annahme, dass sich politische Aktivität zunehmend ins Internet verlagert. Sinkende Wahlbeteiligung, Mitgliederschwund bei den großen Volksparteien oder die vielfach bekundete Politikverdrossenheit wird demnach nicht durch Online-Aktivität kompensiert. “Junge Menschen, die online politisch aktiv sind, sind es in den meisten Fällen auch offline – und umgekehrt”, erläutert Studienautorin Claudia Ritzi.
Es zeigte sich zudem, dass politische Aktivität außerhalb des Internets tatsächlich maßgeblich durch den Wunsch begründet wird, Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen. Bei der Teilnahme an politischen Aktivitäten im Internet wollen zwar deutlich mehr Menschen Zeichen setzen, glauben selber aber nicht daran, dass sie durch ihre Beteiligung auch wirklich Einfluss auf eine politische Entscheidung nehmen können.
Die politische Aktivität über Soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter oder Google+ lässt sich in diesen Fällen als “symbolische Partizipation” beschreiben, die nach dem Urteil der Verfasser der Studie nicht genügt, um die Partizipationsdefizite in der realen Welt auszugleichen.
“Die Ausweitung der Symbolpartizipation ist insofern problematisch, als dass sie mit dem Glauben an mangelnde external efficacy korreliert. Es ist also keine positive Hinwendung zu diesen Partizipationsformen, sondern es mischt sich ein bitterer Beigeschmack der politischen Hilflosigkeit hinzu. Es ist Partizipation, aber sie stimmt Demokratie theoretisch nicht positiv”, heißt es in den Studienergebnissen.
Und weiter: “Unter der Bedingung, dass diese Motivation stabil bleibt, selbst wenn der Kreis der politischen Aktivisten sich in Zukunft erweitert, kann mehr Partizipation im Netz nicht die Partizipationsdefizite in der realen Welt kompensieren. Schließlich besteht der normative Kern der Demokratie noch immer darin, dass die Bürger über ihre artikulierten Referenzen und Wünsche den demokratischen Prozess programmieren!”.
Erst kürzlich hatte CESifo – ein Ableger des bekannteren Münchener IFO-Instituts – eine Vielzahl von Daten über Kommunal-, Landtags- und Bundestagswahlen in einer groß angelegten Untersuchung zu unterschiedlichen Zeitpunkten mit Daten verknüpft, die die Verfügbarkeit von Breitband-Internetzugängen in rund 12.000 Ortschaften dokumentieren, um so das Wahlverhalten vor und nachdem das Internet in den einzelnen Ortschaften Einzug gehalten hat, zu vergleichen.
Die Autoren kamen zu dem Schluss, dass sich eine Kausalbeziehung nicht offensichtlich erkennen lasse. Feststellbare Veränderungen könnten auch durch andere Effekte hervorgerufen sein, zum Beispiel, dadurch dass Anhänger bestimmter Parteien verstärkt in städtische Regionen umgezogen sind. Ganz ohne Auswirkungen blieb das Internet jedoch nicht: Laut der Studie hat die Komplettversorgung mit Breitbandinternet dazu geführt, dass die Wahlbeteiligung zwischen 1,9 und 2,5 Prozentpunkte zurückging.
Bei einer durchschnittlichen Wahlbeteiligung von 64,4 Prozent führt das zu 3 bis 3,9 Prozent weniger Stimmzetteln in den Urnen. Das ist den Autoren der Studie zufolge mit der flächendeckenden Einführung des Fernsehens in den USA in den 40er und 50er Jahren vergleichbar: Damals ging die Wahlbeteiligung bei Kongresswahlen um rund 2 Prozent zurück.
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