Datenautobahn mit On-Demand-Überholspur

silicon.de: In Zeiten der Cloud und der Virtualisierung kommt dem Netzwerk eine völlig neue Bedeutung zu. Auch Multimedia-Anwendungen treiben die Auslastung von Netzen immer weiter in die Höhe. Wie kann man da angemessen technologisch darauf reagieren?

Ruhmann: Im gleichen Maße, in dem die Menge der Daten ansteigt, so steigt auch der Bedarf an effizienten und stabilen Methoden zur Datenübertragung. Doch nicht nur das Volumen der zu übertragenden Daten steigt, gleichzeitig schwankt dieses Volumen immer mehr. Dafür sind die verschiedensten Datentypen verantwortlich, gerade auch private Multimediadateien. Kabelanbieter gehen zum Beispiel bei der privaten Aufnahme von digitalen Videoinhalten neue Wege. Anstelle einer Set-Top Box mit lokal eingebautem DVD-Brenner wird dem Verbraucher nun ein zentrales Aufnehmen und Speichern der Inhalte im Netzwerk des Betreibers angeboten. Dienste zur Aufnahme digitaler Videos werden so zum datenintensiven Video-On-Demand-Service in der Cloud. So steigt der Bedarf zentralisierter Speicherkapazitäten im Netzwerk und der Datenverkehr in das heimische Wohnzimmer – je nach Bedarf an privater Unterhaltung.

Aber auch Virtualisierung und die Cloud an sich erhöhen das digitale Verkehrsaufkommen. Cloud-Netzwerke müssen enorm dynamische und oft nur vorübergehend aufkommende Nachfragen nach Bandbreite durch Cloud-Dienste bedienen. Der Anteil des vorübergehenden Bedarfs steigt permanent, sowohl bezüglich Ziel, Dauer und Menge im Vergleich zum statischen Bedarf. Gründe dafür sind die wechselnde Anfragen nach Diensten, die Aufnahme neuer Dienste oder Kunden aber auch wichtige außergewöhnliche bandbreitenintensive Ereignisse innerhalb der Cloud wie etwa eine Migration einer oder mehrerer Datenbanken.

silicon.de: Welche Anforderungen stellt dieser flexible Bandbreitenbedarf an die Infrastruktur zur Datenübertragung?

Ruhmann: Häufig tages- oder gar stundenweise wechselnder Bandbreitenbedarf führt bei konventionellen Netzstrukturen mit starren Bandbreiten häufig zu einer Fehlallokation von Netzwerkressourcen. Um Service Level Agreements in jedem Falle einhalten zu können, wird Infrastruktur präventiv bereitgestellt, die später oft brachliegt und unnötig Kosten verursacht: Konventionelle Netzwerke sind nämlich so ausgelegt, dass der IP Layer das Bandbreitenmanagement durch Switching und Routing übernimmt. Optische Wellenlängen, die zwischen zwei Locations fest fixiert sind, werden als statische, ungeteilte Ressourcen behandelt. Sie können neue Nachfragen nach Bandbreite auf Netzwerkebene, die über die Fähigkeit der beiden Locations hinausgehen, normalerweise nicht bedienen. Solche Netzstrukturen führen häufig zu einem Überhang an Kapazitäten. Cloud-Strukturen mit ihrem Bedarf an elastischer Bandbreite sind die bessere Lösung. Cloud-Anbieter können Bandbreite nun als eine frei verteilbare Ressource einplanen.

silicon.de: Die Bandbreite der Zukunft muss also flexibel sein. Welche Technologien zur Bandbreitengymnastik machen Bandbreite nun flexibel?

Ruhmann: Mehrere Technologien spielen dabei eine entscheidende Rolle. Zum einem wird Bandbreite durch elastische Bandbreiten zu einem flexiblen Gesamtpool an frei verfügbaren Ressourcen umgewandelt. Bei der Übertragung durch Glasfaser wird die Ebene der optischen Datenübertragung von der Ebene der Bandbreitendienste abgekoppelt. Im gemeinsamen elastischen Bandbreitenpool werden die optischen Wellenlängen dynamisch zugeteilt, ohne dass die Netze neu aufgebaut werden müssen.

Eine wichtige Rolle spielt zum zweiten die Skalierbarkeit von Netzen und Netzbetrieb. Dienste wie die Überwachung der Netzwerktopologie oder die Bereitstellung optischer Schaltkreise muss automatisiert erfolgen. Gerade bei dynamischen Netzwerken ist eine intelligente, effektive und automatisch auf Veränderung reagierende Verwaltung von Netzen nötig. Je flexibler ein System sein soll, umso effektiver muss die Verwaltung und Automatisierung sein.

silicon.de: Wie können WDM-Technologie oder OTN Switching hier die Übertragungen optimieren?

Ruhmann: Hier geht es darum, den Platz auf den Wellenlängen noch besser auszuschöpfen. Grob gesprochen ermöglichen neue Technologien wie integriertes Wellenlängen-Grooming, die Wellenlängen der Fasern so dicht wie möglich zu packen. Dazu werden große Übertragungsmengen im Gigabit-Bereich zuerst einmal in handelsübliche Datenstränge unterteilt und durch den Scheduler dann nacheinander auf die Reise durch die granulierten Ströme geschickt.

silicon.de: Womit kann man den Datenverkehr auf dem Datenhighway mit elastischer Bandbreite vergleichen? Haben Sie vielleicht einen Vergleich für uns?

Ruhmann: Früher war das Straßennetz der Datenübertragung statisch und streng gespurt. Die einzelnen Spuren für die einzelnen Autos mussten vorab gezogen werden. Eine einmal durchgezogene Linie konnte zudem nicht überfahren werden, mit der Folge, dass die Straßen immer breiter wurden und auf den Spuren relativ viel Platz war. Elastische Bandbreiten in der optischen Datenübertragung machen die Linie zwischen den Spuren zu gestrichelten Linien. Außerdem können sich die Linien der Verbindungen je nach Bedarf frei nach links und rechts verschieben. Zudem können auf einer Spur viel mehr und verschiedene Autos gleichzeitig fahren.

Ergebnis: Die Straße wird zu einer wirklichen Autobahn mit wenig Standspuren und eingebautem Rechtsüberholer. Das verschlankt das Straßennetz, vermeidet brachliegende Spuren, senkt Kosten und Stromverbrauch. Die neue Landschaft wird flexibler, leistungsfähiger und „grüner“.

silicon.de: Kommen wir zu professionellen Anwendungen. Auch Banken, Finanzdienstleister sind immer mehr von Netzen abhängig. Eine Verzögerung um 10 Millisekunden kann nach Schätzungen der TABB Group einen Einnahmeverlust von 10 Prozent verursachen. Wie kann man solche Störungen und Verzögerungen unterbinden?

Ruhmann: Auch hier bieten optische Datenübertragungen eine optimale Lösung im Kampf um Millisekunden, um die schnelle Übermittlung etwa von Aktienkursen, Kauf- und Verkaufsordern und die dadurch wieder bedingten Kursschwankungen zu gewährleisten. Moderne optische Datenübertragung bietet gute Möglichkeiten zur Senkung der Latenz, wenn man die richtige Technologie einsetzt. Ein Beispiel mag dies illustrieren: Die chromatische Dispersion bezeichnet etwa den Effekt, das optische Signale unterschiedlicher Wellenlängen sich verschieden schnell ausbreiten. Ohne Kompensation kommt das Signal am anderen Ende der Verbindung nicht mehr verständlich an.

Technologien wie Fiber Grating können diese Fehler korrigieren, ohne den Datenübertragungsprozess zu verzögern. Der konventionelle Ansatz, lange Glasfaserspulen zum Kompensieren von schwachen Signalen in DWDM-Ansteuerungen zu benutzen, kann das Glasfaser-Netzwerk um 10 bis 15 Prozent verlängern, was die Latenzen signifikant erhöht. Neue Technologien ermöglichen es auch die bei der Übertragung auf der langen kontinentalen oder überseeischen notwendige Regeneration, Fehlerkorrektur und Verstärkung von Signalen so durchzuführen, dass keine oder so wenig wie möglich Verzögerungen bei der Datenübertragung entstehen.

Ein PIC, ein Photonic Integrated Circuit. Quelle: Infinera

silicon.de: Welche Möglichkeiten hat man Hardware-seitig, um hohe Datenübertragungskapazitäten flexibel zur realisieren?

Ruhmann: Integrierte photonische Schaltkreisen – kurz „PICs“ für „Photonic Integrated Circuits“ – ermöglichen durch ihre kompakte Bauweise, Hunderte der verschiedenen optischen Komponenten wie Laser, Modulatoren, Dämpfungsglieder, Verstärker und weitere Komponenten so zu verkleinern, dass sie auf einem integrierten Schaltkreis Platz finden und so viel Leistung auf wenig Platz bieten. Zudem kommt es auf die Verwendung geeigneter Materialien an, die eine enorme Kompaktheit ermöglichen, universal einsetzbar sind, einen hohen Brechungsfaktor bieten oder Lichtwellen generieren, die für Long-Haul-Signalübertragung nötig sind. PICs bestehen daher nicht aus Silizium, sondern aus Indiumphosphid (InP), einem Material mit zugleich hervorragenden optischen und elektrischen Eigenschaften.

Schematische Darstellung einer entkoppelten Übertragung bei einer virtualisierten Datenübertragung. Quelle: Infinera

silicon.de: Welche Technologien könnten denn künftig hier eine Rolle spielen?

Ruhmann: Glasfasertechnologie ist bereits seid langem die etablierte Infrastrukturtechnologie für das Backbone des Internets. Die photonisch integrierten Schaltkreise haben sich seit 2005 etabliert und vereinfachten drastisch das Design eines optischen Übertragungssystems und erhöhten zugleich die Packungsdichte, so dass mehr Bandbreite über kleinere und effizientere Systeme zur Verfügung gestellt werden kann als je zuvor. Neue Dimensionen der Datenübertragung lassen sich in beeindruckenden Zahlen illustrieren: eine einzige Baugruppe liefert Datenübertragungsgeschwindigkeiten von 500 Gigabit/s über eine Glasfaser bei gleichzeitiger Koppelfeldkapazität von 5 Tb/s pro Rack. TeliaSonera International Carrier und Infinera gelang es zum Beispiel bereits 2011, Daten in einem optischen Netzwerk mit Terabit-Geschwindigkeit über eine Strecke von 1.105 Kilometern zu übertragen. Doch neben diesen Superlativen wird auch die ökonomische Dimension immer wichtiger. Und mit Stichworten wie Skalierbarkeit, Flexibilisierung und Effizienz kommen wir von der reinen Physik zurück in den intelligenten Umgang mit ihr – in die Welt elastischer Bandbreiten.

silicon.de: Herr Ruhmann, wir Danken für das Gespräch.

Redaktion

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