In der Gegenwart wiederum klagt eine clevere PR-Unternehmerin aus der Gegend, die gerade ein Buch veröffentlicht, gegen einen Suchmaschinenkonzern, weil der öffentlich macht, was die Leute im Web zu finden hoffen. Aufsehenerregend ist dies allerdings nur, weil es sich dabei um die Gattin eines ehemaligen Präsidenten handelt. – Und da ist sie dann wieder, die Vergangenheit! Ohne sie ist Gegenwart in Hannover einfach nicht zu haben.
Gelegentlich wird dort auch noch ein kaiserlicher Urenkel wegen ungebührlichen Verhaltens vor Gericht gestellt. Und ein ortsansässiger Alt-Kanzler, dem eigentlich graue Haare wachsen müssten nach dem, was er alles angerichtet hat, ließ gegen Ende seiner ersten Amtszeit gerichtlich feststellen, dass er diese nicht färbt.
Alt-Kanzler und -Präsidenten bilden die feine Gesellschaft der Stadt. Gesponsert wird diese von einem Finanzdienstleister, der schon vor seiner Branche ins Zwielicht geriet. Und unterhalten wird sie von einer Rock-Band, deren Mitglieder fast so hochbetagt sind wie die Rolling Stones, nur eben nicht so gut.
Der wichtigste Export-Artikel der Region sind denn auch nostalgisch hochwertige Possen, die von einem in Berlin ansässigen Zeitungshaus zu marktgängigen Skandalgeschichten weiterverarbeitet werden. Hannover ist quasi das Dschungelcamp des deutschen Print- und Web-Boulevards.
So richtig komisch wird’s aber, wenn man sich in Hannover Gedanken über die Zukunft macht. Dies geschieht vorzugsweise in der Deutschen Messegesellschaft. Die ist in Hannover entstanden, weil da nach dem Krieg gerade viel Platz war. Und nur deswegen findet dort seit einem Vierteljahrhundert alljährlich im Frühling die größte Computer-Schau der Welt statt. Deshalb ist die Stadt mit ihrer großen Vergangenheit und der mediokren Gegenwart auch noch mit der Zukunft konfrontiert.
Das eigentümliche Wort „Webciety“ nun erfand die Messeleitung 2009 als Motto für die CeBIT und damit für die digitale Zukunft. Ein verbales Konstrukt, das alle Anforderungen an ein Buzz-Word erfüllt: Es klingt gut, irgendwie englisch halt. Trotzdem sind dafür keine Fremdsprachenkenntnisse erforderlich. Im Gegenteil die wären eher hinderlich, weil so eine begriffslose Phrase natürlich in keinem seriösen Wörterbuch steht. Aber eben deshalb – wegen seiner Inhaltslosigkeit – lässt sich das English made in Hannover auch für Alles und Jedes verwenden, so wie das Marketing es braucht.
Für die CeBIT 2013 hat sich die Messeleitung ein neues Motto ausgedacht und diese Woche verkündet. Es lautet „Shareconomy“ und beweist, dass auch in Hannover Fortschritte möglich sind. Denn so etwas Ähnliches gibt es wirklich. Den Begriff „share economy“ hat der Harvard-Professor Martin Weitzman geprägt. Er besagt, dass der Wohlstand wächst, wenn Vieles gemeinsam genutzt wird.
Der Phrasendrescherei fällt also diesmal nicht die Sinnhaftigkeit in Gänze zum Opfer. Sondern die sprachlichen Kollateralschäden beschränken sich auf ein „e“ und ein Leerzeichen.
Insofern wäre das ja eigentlich eine vielversprechende Ankündigung. Die nächste CeBIT könnte ausnahmsweise mal wieder interessant werden. Denn wenn das mit der share economy wirklich ernst gemeint sein sollte, könnte das heißen, dass es der Messe gelungen wäre, The Pirate Bay als Aussteller zu gewinnen. In Halle 1 würden dann endlich die neusten Bittorrent-Clients gezeigt. Zu den Plüsch-Pinguinen gesellten sich niedliche Stoff-Esel und -Mulis. Und die Messe eröffnen könnte statt Angela Merkel der TCP/IP-Sozialist Christian Siefkes mit einem Referat über eine digitale Commons produzierende Ökonomie, in der gilt: „Jeder nach seinen Fähigkeiten. Jedem nach seinen Bedürfnissen.“
Aber so ist’s natürlich nicht gemeint. Der Messegeschäftsführer Frank Pörschmann hat das gleich klargestellt. „Der Trend geht vom Kaufen zum Leihen“, hat er gesagt. Denn das ist Sharing nach dem Geschmack der Industrie: Dem Nutzer gehört nichts. Und dafür muss er öfters zahlen.
Das ist tatsächlich ein Trend. Schon heute gehören den Nutzern ihre Gadgets ja nicht wirklich, selbst wenn sie gekauft sind. Immer stärker bestimmen Apple und Google, was damit gemacht werden darf.
Erfunden hat dieses eigenartige Sharing übrigens IBM. Der Konzern hat schon vor 100 Jahren informationsverarbeitende Maschinen nicht verkauft, sondern vorzugsweise vermietet. Nur so konnte er zum Monopolisten werden.
Aber so ist das nun mal, wenn aus Hannover was zur Zukunft kommt: Auch die ist dort ohne Vergangenheit nicht zu haben.
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