Jens Rauschen von der Hamm Reno Group hatte es leicht. Zehn Minuten hat er, wie er selbst sagt, gebraucht, um seinen Chef von den Vorteilen einer Social-Business-Strategie zu überzeugen. Bei einem Gespräch im Frühling habe er die Schwachstellen des bisherigen Systems sowie die Vorteile seines Plans erläutert. Die Reaktion des Chefs: “Können wir das im August haben?”.
Seitdem arbeiten Rauschen und sein Team mit Hochdruck an dem Projekt. Mitte Oktober wird die ausgewählte Softwarelösung IBM Connections in der Firmenzentrale ausgerollt, bis Weihnachten sollen dann an alle Filialen der Schuhkette Reno mit jeweils einem iPad mit der entsprechenden App ausgestattet werden.
“Social Business heißt, den Informationsweg von ‘Push’ auf ‘Pull’ zu drehen. Das ist eine Energieleistung, für die man unter anderem einen Wahnsinnigen im Unternehmen braucht.” Rauschen bezeichnet sich selbst als “bekennenden Wahnsinnigen”, die Ausgangssituation macht sein Projekt zur Ausnahme auf der IBM Connect 2012. Denn: In den Filialen der Reno-Kette kommt bisher außer im Kassensystem keine Business-Software zum Einsatz, entsprechend gering ist der Kommunikationsfluss zwischen Zentrale und Filialen beziehungsweise den Filialen untereinander.
Rauschen erwartet, dass die Filialmitarbeiter das neue System schneller annehmen werden, als die Kollegen in der Verwaltung. “Die Mitarbeiter in der Zentrale sind an Outlook gewöhnt, es ist schwer sie davon wegzubringen.” Die Filial-Teams dagegen fangen in Sachen digitale Kommunikation am Arbeitsplatz quasi bei null an. “Es ist immer schwieriger etwas zu entlernen, als etwas neues zu nutzen”, sagt Rauschen und gibt Social-Business-Projektleitern einen Tipp mit auf den Weg: “Schneiden Sie die anderen Kommunikationswege ab.”
Viele im Plenum nicken an dieser Stelle zustimmend mit dem Kopf. Die meisten Konferenzteilnehmer haben bereits vor mehreren Jahren die ersten Projekte mit IBM Connections gestartet. Entsprechend viele Erfahrungen hat man gesammelt, einige Firmen stellen in den kommenden Wochen und Monaten auf die neueste und vierte Version der Software um.
Unter ihnen Kurt de Ruwe, CIO bei Bayer MaterialScience. Er gilt seit Jahren als eine Art Vorzeige-CIO der Social-Business-Szene. Mit seinen neuesten Projekten schafft er E-Mail-freie Zonen innerhalb des Unternehmens. Bei einem Pilotprojekt innerhalb der Customer Service Group konnte die E-Mail-Flut von 15.000 auf 6.000 reduziert werden. Als nächstes steht der Roll-out für die gesamte Einheit in Europa auf dem Programm, sowie ein weiteres Pilotprojekt in Asien.
Wo Gruwe E-Mail-freie Inseln im Unternehmen aufbaut, plant der französische IT-Dienstleister Atos den großen Wurf. 74.000 Mitarbeiter arbeiten in 42 Ländern für das Unternehmen. Im vergangenen Jahr hatte CEO Thierry Breton das Ziel ausgegeben, die Firma in 18 Monaten E-Mail-frei zu machen. Verantwortlich für das Mammut-Vorhaben ist Robert Shaw. Auch er arbeitet sich von einem Pilotprojekt zu nächsten, von einem Land zu nächsten, beschreibt er seine Vorgehensweise im Gespräch mit silicon.de. “Es geht weniger darum, den Mitarbeitern E-Mail wegzunehmen, sondern darum, ihnen ein Social-Networking-Tool zur Verfügung zu stellen.”
Auch wenn “Zero-E-Mail” gut klingt – ganz ohne Outlook & Co wird es weder bei Atos noch bei anderen Social-Business-Vorreitern in absehbarer Zukunft gehen. Für die meisten Kunden und Partner ist es weiter das Kommunikationstool Nummer eins. “Wenn eine E-Mail kommt, weiß ich aber automatisch, dass sie von außen kommt. In der externen Kommunikation fungiert E-Mail also als eine Art Filter”, so Shaw.
Sowohl im Gespräch mit ihm als auch bei den Vorträgen und Diskussionen auf der IBM Connect wird deutlich: Die technologische Umstellung ist das geringste Problem. Es geht stattdessen vor allem um einen Wandel in der Unternehmens- und Kommunikationskultur.
Wichtig zu wissen für allen Social-Busines-Anfänger: Mögen die Mitarbeiter noch so sehr über die E-Mail-Flut jammern. Will man ihnen den vermeintlich verhassten E-Mail-Client wegnehmen, ist die Begeisterung gering.
“Mitarbeiter brauchen Zeit für so ein Tool, sie müssen reinwachsen”, beschreibt Erik Wüstner die Erfahrungen beim Stuttgarter Traditionsunternehmen Robert Bosch. Eine Herausforderung sei zudem die völlig andere Erwartungshaltung, die Nutzer an solche Tools stellen, verglichen mit den Ansprüchen an herkömmliche Unternehmenssoftware. “Was die Mitarbeiter beispielsweise bei Google+ sehen, werfen sie am nächsten Tag als Requirement bei uns ein”, sagt Wüstner und ergänzt augenzwinkernd: “Wir geben das dann an IBM weiter.”
Auch in Sachen intuitive Benutzerführung und Performance sei die Erwartungshaltung der Mitarbeiter hoch. “Es gibt kein Facebook-Training, aber jeder kann damit umgehen – das erwarten die Anwender auch in der Firma.” Die Gewohnheiten aus privat genutzten sozialen Netzwerken beeinflusst auch die Kommunikation im Social Business, mahnt Wüstner das Management. “Kritik wird in solchen firmeninternen Communities oft deutlicher geäußert als in Flurgesprächen. Damit muss man umgehen.”
Was Führung 2.0 noch bedeutet beschreibt Kommunikationsforscher Professor Ewald Wessling einem Vortrag mit dem Titel “Adios Capitano: Kommunikation und Führung im digitalen Umbruch.” Die intensiv ausgeleuchtete Generation der Digital Natives beschreibt er als “Generation der Hinterfrager, die weniger Autoritäten anerkennt”.
Für Firmen hat das tiefgreifende Auswirkungen, denn Führungsmechanismen, die seit Jahrzehnten zum Einsatz kommen, funktionieren nicht mehr. “Digital Natives führt man am besten durch Vernetzung”, sagt Wessling. “Das erfordert flexible Team-Modelle von einer Firma. Entscheidend ist es, zu wissen, wen man wann in welchem Projekt-Team einsetzt.” Nicht die Position im Unternehmen, das jeweils passende Know-how müsse hier im Vordergrund stehen.
Wer kennt wen, der jemanden kennt, der mir in dieser Frage helfen kann? – Diese Networking-Frage wird in dem Gedankenmodell unternehmenskritisch.
Erst durch Social-Business-Lösungen können Mitarbeiter ihr Potential voll entfalten, ist auch Alistair Rennie, General Manager Social Business bei IBM, überzeugt. Der Konzern selbst treibt das Thema mit Hochdruck voran. 120.000 interne Communities gibt es inzwischen, viele Mitarbeiter sind Mitglied in rund 100 Communities. Täglich Statusmeldungen aus 100 Diskussionsgruppen – dagegen erscheint die E-Mail-Flut als überschaubarer Bach. Alistair Rennie schüttelt den Kopf: “Eine gut integrierte Social-Business-Umgebung ist kein zusätzliches Problem sondern die Lösung für den ‘Information Overload'”.
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Eine sehr gute Zusammenfassung des Tages wie ich finde. Natürlich liefert der Beitrag von Herrn Rauschen eine gute Headline für Sie, Frau Gaßner, doch die wirklich Wahnsinnigen sind doch eigentlich die, die nicht Social Business Collaboration Plattformen in Erwägung ziehen.
Die Praxisbeispiele waren beeindruckend. Den stärksten Eindruck hat für mich dabei Herr de Ruwe hinterlassen. Bei ihm wird klar: er weiss, wovon er spricht und scheut sich nicht, auch auf einer Herstellerveranstaltung über Sorgen und Unzulänglichkeiten zu sprechen. Das vermittelt Glaubwürdigkeit, finde ich.