Oktober-Rückblick: Ein neues Windows
Microsoft hat ein neues Betriebssystem herausgebracht. Zukunftsweisend soll es sein, sagt das Unternehmen. Aber bei Microsoft, da kommt einem halt inzwischen nur noch Vergangenheit in den Sinn. Und die herbstliche Stimmung passt zum Thema. Anlass genug, sich einmal grundlegend Gedanken zu machen über Windows – und das Leben.
Ganz komische Gedanken überkommen einen, wenn man so in einen schmutzig-trüben Herbsttag hinausschaut. Und der deprimierendste davon lässt einen dann auch nicht mehr los: Dieses Leben, es ist wie Windows.
Doch, wirklich. Die Parallelen sind evident. Bei beidem sind über die Jahrzehnte Abermillionen Lines of Code zusammengekommen. Und ein Großteil davon kodiert Bugs. Die machen Windows aus. Und die bestimmen das Leben.
Und das Schlimme daran ist: Immer wenn ein besonders gravierender Bug auftritt, dann kann man den nicht einmal wegklicken. Der Blick richtet sich dann – wie es einem als Arbeitsmann beigebracht wurde – nach oben – nach rechts oben im Fenster, dahin, wo die drei Kästchen sind.
Aber nichts geht dann. Kleinmachen, einfach wegtun – nichts funktioniert bei schweren digitalen und erst recht nicht bei Real-Life-Bugs.
Beim Leben kommt noch erschwerend hinzu, dass es da nicht einmal diese ansonsten so hilfreichen Alt-, Control- und Delete-Tasten gibt. Das Leben ist halt wie Windows – nur ohne Neustart.
Dabei hat es einmal so vielversprechend angefangen: Mit „Start me up“ von den Stones hat Microsoft im vergangenen Jahrhundert, in dem auch Unsereins geboren wurde, für Windows geworben. – Na ja, und dann ging’s halt sehr schnell über in die nächste Zeile: „You make a grown man cry.“
Auf Hilfe zu hoffen, ist blöd. Jeder User weiß das. Nachdem man sich durch die entsprechende Funktion in Windows geklickt hat, landet man unweigerlich beim ultimativen Hinweis: Wenden Sie sich an Ihren Administrator. Aber den großen Administrator, den gibt’s halt weder für den Windows-PC daheim noch für’s Leben.
Doch, ja. Schicksalsgenossen helfen einem manchmal schon weiter, quasi Kollegen. Im Web posten die auf Foren über ihre Erfahrungen. – Aber wer seinen Blick hilfesuchend nach oben richtet, der macht einen Fehler.
Phantastische Betriebssysteme gibt es – Windows gehört nicht dazu – MVS für Großrechner, wie immer die Marketing-Fuzzies von IBM das gerade auch nennen mögen, Linux – das skaliert inzwischen sogar auf Supercomputern – und das schickste aller Betriebssysteme: iOS. Das ist so schick, dass viele seiner Anwender nicht einmal wissen, dass es existiert. – Unsereinem hingegen hat das Schicksal einen Platz vor einem Windows-Arbeitsplatzrechner zugewiesen.
Leistungsstarke Betriebssysteme sind hierarchisch strukturiert – klar in Software-Layer gegliedert. Die Oberen sagen den Unteren, was die zu machen haben. Und die Unteren erbringen Services. Unsereins hingegen ist auf dem Stand von Windows im vergangenen Jahrhundert stehengeblieben und kann Multitasking und andere Formen der Arbeitsteilung nur kooperativ.
Dafür wird man dann oft gescholten – wegen unzureichender Teamfähigkeit. – Aber, was soll’s! Früher, als die Welt noch nicht in schlechtem Englisch schöngeredet wurde, hätte man so was mangelnde Subordinationsfähigkeit geheißen. Und dieser Vorwurf klingt bei weitem nicht so schlimm.
Windows ist ständig den Attacken von irgendwelchen Malware-Schreibern ausgesetzt. „Das Ende von Windows“ hat sich etwa der CEO von Salesforce Marc Benioff vor ein paar Tagen als Stichwort für eine Keynote aufgeschrieben. – Nein, es ist noch lange nicht zuende.
Ach ja. Ganz komische Gedanken überkommen einen halt, wenn man so in einen schmutzig-trüben Herbsttag hinausschaut. Und der seltsamste davon: Aus welchen tiefenpsychologischen Gründen auch immer – man wünscht, dass dieses neue Windows ein ganz toller Erfolg wird.