Tja, was war denn da so, 2012? – Vordergründig ‘s Übliche, Politik, Wirtschaft und Kultur, halt. Genau besehen aber, ging’s in diesem Jahr stets um die Privacy.
Das formal bedeutendste Ereignis in der Innenpolitik war heuer der Rücktritt des Bundespräsidenten am 17. Februar. Bemerkenswert daran ist, dass dieser Staatsakt nicht als Tragödie, sondern als Boulevard-Stück gegeben wurde.
Bettina und Christian Wulff waren schließlich die Lieblinge des Boulevards und das glamouröseste Paar in der deutschen Politik seit Stefanie Gräfin von Bismarck-Schönhausen und Freiherr Karl-Theodor zu Guttenberg. – Der ist schon ein Jahr zuvor zurückgetreten.
Anders als der Baron aber tat sich der ehemalige Bundespräsident etwas schwer damit, seinen Glamour zu finanzieren. – Und das wär’s denn eigentlich auch schon gewesen. Ein Schnäppchenjäger mit Schwerpunkt Eigenheimfinanzierung und Touristik als erster Mann im Staat war denn doch etwas popelig.
Dann aber telefonierte das Staatsoberhaupt noch ein bisschen. Und am 7. September reichte seine Gattin Klage gegen Google ein, weil die Site anzeigt, wonach Surfer im Zusammenhang mit Bettina Wulff halt so suchen. Das ist zwar nicht schmeichelhaft, aber wahr, nicht das, wonach die Leute suchen, sondern dass sie es tun. Anschließend brachte die so in ihren Persönlichkeitsrechten Verletzte noch ein Buch heraus – “Jenseits des Protokolls”, Riva-Verlag, 224 Seiten, 19,90 Euro – in dem sie über Persönliches aus dem Schloss Bellevue berichtete.
Das Private machte die Besonderheit der Affäre Wulff aus. Ohne das Spiel mit Persönlichkeitsrechten und Öffentlichkeit, mit Homestories, Drohanrufen und Presserechtsklagen wär’s ein hundsgwöhnlicher Rücktritt eines Staatsoberhaupts gewesen, wie man ihn hierzulande mittlerweile ja schon kennt.
Viel demonstriert wurde heuer auch wieder, aber anders als früher. Im Osten waren’s Frauen, überall auf der Welt Surfer.
Anlässlich der Fußball-EM vom 8. Juni bis 1. Juli in der Ukraine demonstrierte Femen, wogegen ist nicht so ganz klar. Aber die Demos der weniger als sommerlich bekleideten Frauen waren für jeden Pressefotografen ein Pflichttermin.
In der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale zelebrierte am 21. Februar Pussy Riot einen Punk-Gottesdienst. Auch hier herrscht Uneinigkeit über die Absicht. Sie wollten gegen Putin protestieren, sagen die Frauen. Wegen “Rowdytums aus religiösem Hass” hingegen verurteilte sie am 17. August ein Gericht zu zwei Jahren Lagerhaft.
Und die russische Orthodoxie barmt seither darüber, dass man die Frauen nicht – wie etwa wie nach dem deutschen Blasphemie-Paragrafen möglich – für drei Jahre hat einsperren können. Christliche Nächstenliebe kennt halt viele Facetten.
Feststeht, wer verloren hat: Wladimir Putin. Ein Präsident, dessentwegen solche Bilder entstehen – Nadeschda Tolonnikowa vor Gericht mit erhobener Faust und “No paseran!” auf dem T-Shirt, mittlerweile selbst das beliebteste T-Shirt-Motiv seit Ernesto Che Guevara – der sollte zurücktreten, tunlichst mit mehr Würde als sein deutscher Amtskollege.
Noch nachhaltiger als die Bilder von Femen und Pussy Riot dürfte allerdings der Trailer von Anonymous auf Youtube in Erinnerung bleiben. Wiederum ist einem im Nachhinein nicht so recht klar, worum’s eigentlich ging. SOPA, PIPA, ACTA – kaum jemand kann diese Kürzel jetzt, am Jahresende, noch auflösen, geschweige denn sagen, was in dem entsprechenden Paragraphenwerk drinstand.
ACTA ist dann am 4. Juli im Europäischen Parlament gescheitert. Und das war gut so. Denn was immer das Abkommen zum Schutz des geistigen Eigentums auch vorgesehen hat, durchgesetzt werden sollte jener auf Kosten der Privacy.
Kaum vorstellen kann man sich die Beträge, die heuer in der Wirtschaft in Frage standen: Um 20 Milliarden Euro etwa hat der griechische Staat seine Schulden verringert, als er am 30. November von ihm selbst ausgegebene Anleihen zu einem niedrigen Kurs zurückgekauft hat.
Facebook braucht für sowas keine Rückkaufaktion. Innerhalb nur eines Vierteljahres nach dem Börsengang am 18. Mai verlor das Unternehmen 52 Milliarden Dollar an Wert. – Eine Kursentwicklung allerdings, die für die Privacy hoffen lässt!
Facebooks Lieblingskonkurrent Twitter wiederum hat prominente Nutzer bekommen. Seit diesem Jahr lassen Peer Steinbrück und der Papst zwitschern. Der SPD-Kanzlerkandidat hat mittlerweile 9.557 Follower. Seiner Heiligkeit folgen derer 1.328.498.
Und seit Angela Jolie bei der Oscar-Verleihung am 26. Februar ihr rechtes Bein so allerliebst präsentierte, ist auch dieses selbstständig im Web 2.0 unterwegs. Ihm folgen 41.781. – Das zumindest kann man ja verstehen.
Um die Privacy verdient gemacht haben sich wiederum zwei andere Prominente. John McAfee ließ auf der Flucht ein GPS-Foto von sich machen. Und General David Petraeus verschickte von seinem G-Mail-Account aus ehewidrige Mails an die Reservistin Paula Broadwell, obwohl er hätte wissen können, dass Google seinen Geheimdienst-Kollegen gerne und bereitwillig die Zugangsdaten gibt. In der Folge musste er dann zurücktreten. – So selbstlos haben beiden Sicherheits-Experten auf die modernen Gefahren für die Privatsphäre aufmerksam gemacht.
Eigentlich könnte man auf 2012 auch unter dem Aspekt zurückblicken, welch schöne Frauen es doch gibt – Bettina Wulff und Paula Broadwell etwa – und was für seltsame Männer die doch manchmal haben. Aber dann müsste man auch über die eigene Frau nachdenken, und ebenfalls über den zugehörigen Mann. Das aber wären vielleicht unerquickliche Gedanken. Und die sollte man zum Jahreswechsel meiden und diese zwei Menschen statt dessen als schönsten Grund für die Privacy betrachten.
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