IRQ 13-02: Das Legacy-Problem
Soll sich Rainer Brüderle entschuldigen? – Quatsch! Schämen sollte er sich. Der Stern und ähnliche Medien wiederum sollten sich Sorgen um ihre Zukunft machen. Und wer sich in dieser Angelegenheit nicht blamiert hat, der kann ja daraus was fürs Alter lernen.
Das Problem, das die aktuelle Sexismus-Debatte hätte aufzeigen können, das aber statt dessen darüber untergegangen ist, besteht darin, dass ein Alter halt manchmal nicht mehr kann: Der wenn auch nicht mehr gute, so doch alte Stern etwa kann keine Skandale mehr inszenieren. Früher war das anders. Ja, damals…
Das medial lukrative Geschäft der Skandalisierung hat statt dessen Twitter übernommen. Dort initiierte Anne Wizorek unter #aufschrei die Diskussion. Und diejenigen, denen das Geschrei zuviel war, tauschten sich auf Facebook aus und verlinkten zum Artikel von Birgit Kelle im The European: “Dann mach doch die Bluse zu”. – Im Web 2.0 war in den vergangenen Tagen richtig was los.
Der Stern hingegen machte die Ausgabe, in dem Laura Himmelreichs Artikel zum Herrenwitz Brüderle erschien, mit Osama bin Laden auf, welcher mittlerweile allerdings auch schon eine Zeit lang tot ist. Erst eine Woche später titelte das Blatt zum Sexismus. – Jaa, schneller wird man auch nicht über die Jahre.
Und Medien wie der Stern sind mittlerweile schon sehr in die Jahre gekommen. Das vitale Geschäft – das mit den Anzeigen – machen jetzt andere, eben Twitter, Facebook und Google. Manchmal geben diese neuen Medien den alten auch auf Almosen-Basis ein klein wenig ab so wie jetzt Google in Frankreich. “What a drag it is getting old”, wie’s eine Rock’n-Roll-Band mal in jungen Jahren formuliert hat. Jene allerdings hat ganz offenkundig keine Probleme mit dem Altwerden.
Der Rest aber schon, selbst wenn er’s oft nicht merkt. Und darum geht’s eigentlich auch im Herrenwitz-Artikel von Laura Himmelreich. Darin macht sich eine Frau in den Zwanzigern über ein männliches Altchen lustig, das hoch im siebten Lebensjahrzehnt steht, sich dessen aber offenbar nicht bewusst ist.
In der Sentimentalität eines Greises lässt sie Brüderle von der Vitalität schwadronieren: Er “lässt keine Gelegenheit aus, um zu betonen, dass er gern trinkt – ‚Wer nichts trinkt, ist mir verdächtig’ –
und dass er Frauen schön findet.”
Sie beschreibt keinen furchterregenden Wüstling, der eine völlig Verängstigte mit Sex and Drugs and Rock’n Roll bedrängt. Sondern einen peinlichen Senior, der in der Wein-Weib-und-Gesang-Nostalgie aus der Mitte des vergangenen Jahrhunderts schwelgt.
Die von Brüderle pflichtschuldigst vorgebrachte, aber sicherlich nicht ernst gemeinte Koitus-Metapher lautet: “Ich möchte, dass Sie meine Tanzkarte nehmen”. – Die jüngste Tanzkarte, die Wikipedia abbildet, stammt aus dem Jahr 1912. – Schwer vorzustellen, dass so eine Situation als bedrohlich empfunden wird. Naheliegend, dass sie lächerlich wirkt – so wie der Protagonist.
Beiden hat der Artikel öffentliche Aufmerksamkeit verschafft, dem Stern, deren Redakteurin Laura Himmelreich vorher niemand kannte, und Rainer Brüderle, der aktuell 1,7 Millionen Treffer bei Google erzielt. – Aber genutzt hat’s ihnen nix. Brüderle nicht, der laut ARD-Deutschlandtrend mittlerweile noch unbeliebter ist als Westerwelle. Und dem Stern nicht. Denn dessen Geschäft machen Twitter, Facebook und Google.
Wenn man sich etwa zum Kern des Problems durchgoogelt – zur Lächerlichkeit verdrängter Hochbetagtheit, dann stößt man auf Ad-Words von Google. Dafür bekommen der Konzern und der jeweilige Site-Betreiber richtig Geld.
“Alt werden lohnt sich”, heißt es beispielsweise in einer Anzeige der Sparkasse Fürstenfeldbruck zu einem aktuellen Artikel über Brüderle. – Jaa, stimmt! Aber nur, wenn man das in Würde tut.
Rainer Brüderle kann das nicht. Laura Himmelreich beschreibt das sehr schön. Ihr Artikel endet mit der Szene, wie seine Pressesprecherin ihn ins Bett schickt: Sie “eilt von hinten heran: ‚Herr Brüderle!’, ruft sie streng. Sie führt ihn
aus der Bar… Zu ihm sagt sie: ‚Zeit fürs Bett.’”
Au, Mann! Selbst einem so unverständigen Menschen wie dem Brüderle wünscht man ja nicht, dass er bald seinen Weißwein-Schoppen aus der Schnabeltasse kriegt.