“Bislang nur taktische Experimente im Enterprise 2.0”

Enterprise-2.0-Experte Miksa: “Social muss strategisch werden.”. Quelle: netmedia.

silicon.de: Sie sagen, die tatsächliche Nutzung von Social-Collaboration-Plattformen in Unternehmen liegt derzeit bei maximal 15 bis 20 Prozent. Worauf basiert diese Zahl?

Miksa: Es geht um den Anteil aller Mitarbeiter, die die Plattform tatsächlich im Arbeitsalltag nutzen. Dieser sogenannte “Adoption-Wert” liegt im Durchschnitt derzeit bei 20 Prozent – dazu zählen auch diejenigen, die nur alle paar Tage reinschauen.

Übereinstimmende Zahlen hören wir von den unterschiedlichen Social Software Herstellern und ihren Dienstleistern. Selbst die in Deutschland oft zitierten großen Enterprise-2.0-Erfolgsstories der letzten Jahre zeigen beim Blick hinter die Kulissen eine Stagnation bei einer Adoption von zehn bis 20 Prozent. Ich kenne zudem strategische Zielsetzungen von großen Unternehmen, in den kommenden Jahren wenigstens 50 Prozent sämtlicher Mitarbeiter auf die Plattform zu bekommen – der Benchmark hierbei ist Email-Nutzung!

silicon.de: Ist das vielleicht ein Hinweis darauf, dass diese neuen Kommunikationstools im Firmenalltag überflüssig sind?

Miksa: Keineswegs, Unternehmen werden in Zukunft mehr denn je auf digitale Zusammenarbeit angewiesen sein. Aber die notwendigen Rahmenbedingungen einer sozialvernetzten Arbeitsumgebung für einen Social Workplace sind noch nicht vorhanden. Viele sind weiterhin im Irrglauben, dass es primär um Technologie geht, statt den notwendigen kulturellen und organisatorischen Wandel voranzutreiben. Das ist doppelt trügerisch: Die Unternehmen wähnen sich bereits auf dem Weg zum Social Business, in Wirklichkeit handelt es sich jedoch um taktische Experimente einzelner Abteilungen mit Enterprise-2.0-Projekten ohne Geschäftsrelevanz. Nach anfänglichem Hype der von der Neuheit begeisterten Minderheit, ebbt selbst deren Nutzung ab, weil sie keinen Wert für die tägliche Arbeit realisieren können. Dadurch bleibt der Business-Effekt von Social hinter den Erwartungen zurück und wird nicht strategisch.

silicon.de: Warum funktioniert digital und sozial vernetzte Zusammenarbeit im Unternehmen nur schleppend, während wir es im Privatleben längst können?

Miksa: Vernetzte Zusammenarbeit hat andere Ziele und erfordert in Unternehmen andere Rahmenbedingungen. Die Perspektive, aus der wir im Unternehmen denken müssen, lautet: Was hilft dem einzelnen Mitarbeiter, seine tagtägliche Arbeit einfacher, effektiver und mit mehr Spaß zu erledigen? Der Druck auf Unternehmen, ihre Arbeitsweise entsprechend zu evolutionieren, ist noch nicht groß genug.

Es gibt aber auch ein kulturelles Problem. In Deutschland ist das Verständnis für neue Formen der Arbeit sehr technisch geprägt: Der Geschäftsführer investiert gerne eine Million Euro in eine neue Software. Er entwickelt jedoch keine Strategie, wie er die Menschen im Unternehmen dazu motiviert, sich zu vernetzen oder den Wert zu sehen, der sich für die Arbeit des Einzelnen und die Firma als Ganzes ergibt. Gerade ist eine Studie zur Einführung und zum Einsatz von Enterprise 2.0 bei deutschen Unternehmen erschienen, an der unter anderem Accenture, BASF, Bosch, Deutsche Bank, Deutsche Post, Deutsche Telekom, EnBW, E.ON, Fraport, Linde, Metro, RWE und VW teilgenommen haben. Sie zeigt sehr schön, wo die Gründe für den geringen Reifegrad von Enterprise 2.0 bei Konzernen liegen. Um die kulturelle Herausforderung auf den Punkt zu bringen: Unternehmen werden erst dann Social arbeiten, wenn sie anfangen, Social zu denken.

“Unternehmen werden erst dann Social arbeiten, wenn sie anfangen, Social zu denken”

silicon.de: Was sind die organisatorischen Herausforderungen für erfolgreiches Social Business im Unternehmen?

Miksa: Meist wird die Verantwortung für Social fälschlicherweise an einzelne Abteilungen wegdelegiert. Die zuständigen Fachbereiche mussten in der Vergangenheit selten über ihr Silo hinaus denken. So erklärt sich, dass altbekannte Rezepte aus der IT oder der Unternehmenskommunikation umgesetzt werden – garniert mit ein bisschen Social. Wir erleben gerade überall, dass das nicht funktionieren kann: Die IT kennt nicht alle Unternehmensziele, um aus den Einzelanforderungen mehrerer Abteilungen ein einheitliches strategisches Vorgehen zu machen. Der Fokus der Kommunikationsabteilungen hingegen liegt vom Skillset bisher eher auf Verbreiten statt auf Moderieren und Vernetzen.

Eine weitere Herausforderung ist, dass große IT Projekte zur besseren Zusammenarbeit (DMS Einführung usw.) in der Regel bei Mitarbeitern einen schlechten Ruf haben. Der Schlüssel ist daher, das Thema über konkrete Szenarien anzugehen, um die Mitarbeiter dafür zu begeistern. Dafür muss ich aber den anderen Abteilungen zuhören und die richtige Methodik haben, Anforderungen und Muster zu erkennen.

silicon.de: Wie also kann ich die Nutzungszahlen von sozialen Plattformen im Unternehmen erhöhen, um einen geschäftlichen Effekt zu erzielen?

Miksa: Adoption ist planbar: Wichtig ist im ersten Schritt ein klares Bild der eigenen Situation und Herausforderungen im Unternehmen zu bekommen. Sozusagen einen Check der Bereitschaft für soziale Vernetzung im eigenen Unternehmen. Darauf aufbauend muss man den Wert der Plattform für die einzelnen Nutzer entwickeln, die Anwendungsfälle. Und es braucht natürlich abgestimmte Kommunikations- und Motivationsmaßnahmen für Adoption. Hierzu kann beispielsweise Gamification gehören. Wichtig ist, daraus einen konkreten Aktionsplan zu formen, der Adoption von Anfang an mit denkt – oder bei einer bereits vorhandenen Plattform nachholt.

Einen langfristigen Business-Effekt gibt es nur, wenn das Unternehmen sowohl die kulturellen als auch organisatorischen Voraussetzungen schafft; dazu muss die Unternehmensführung eine entsprechende Strategie für Social haben. Die Auswertung des Readiness Check für Social Business der Firma beck et al bestätigt, dass wir noch weit davon entfernt sind: 50 Prozent der Unternehmen fühlen sich noch nicht reif für die Transformation zum Social Business. 37 Prozent halten ihre Unternehmenskultur hierzu schlichtweg für ungeeignet. Der Kommunikationsstil in den Unternehmen ist weiterhin hierarchisch geprägt.

“Der Management-Sponsor muss Social verstehen und fördern”

silicon.de: Sie plädieren für einen “Management-Sponsor”, der das Thema im Unternehmen vorantreibt. Was soll so ein Sponsor tun?

Miksa: Seine wichtigste Aufgabe ist, Social Business mit den Chancen für das eigene Unternehmen “zu verstehen und zu fördern”. Der Management-Sponsor muss Social als Geschäftsprinzip ansehen und alles tun, damit sich eine entsprechende Unternehmenskultur entwickelt, in der die Mitarbeiter motiviert sind, sich miteinander zu vernetzen und zusammenzuarbeiten. Hierfür muss er eine individuelle Strategie entwickeln, die zum einen die langfristige Vision für das eigene Social Business bietet, aber auch die wichtigsten, geschäftsrelevanten Anwendungsfälle und die konkrete Roadmap für die Transformation beinhaltet.

Die häufig formulierte Forderung “das Management muss Social vorleben” ist allerdings meiner Erfahrung nach, gerade bei größeren Unternehmen, nicht realistisch. Und auch nicht unbedingt notwendig: Oft finden sich kleine Maßnahmen – wie z. B. ein Lob an das Projektteam beim erfolgreich Projektabschluss – die statt per Email jetzt auf der Social Plattform gepostet werden können und große Wirkung erzielen. Seine Beteiligung als Treiber des Social Workplace muss also sichtbar werden. Für so etwas gibt es organisatorische Best Practices, wie das mit Hilfe eines zuliefernden Teams geht und trotzdem authentisch bleibt.

silicon.de: Gerade die “klassische” Geschäftsführer-Generation hat oft wenig Affinität zu sozialen Plattformen. Was empfehlen Sie in einem solchen Fall?

Miksa: Wir kriegen zwar oft zu hören “Das Thema ist weit weg von unserem Vorstand”, aber im persönlichen Gespräch mit den Verantwortlichen erfahre ich dann, dass der Handlungsbedarf durchaus bekannt ist. Es gibt auch bei Vorstand und C-Level viel Begeisterung, allerdings herrscht Unsicherheit, welches die richtige und verkraftbare Herangehensweise ist.

Um diese Unsicherheit zu beseitigen, hilft nur Aufklärung. Ein Großteil meiner Arbeit besteht darin, mit Management und Unternehmensführung das Thema im Dialog weiter zu entwickeln. Durch Gespräche und Vorträge können wir oft die entscheidende Initialzündung für den Aufbruch zum Social Workplace geben. Nach einer gemeinsamen Potentialanalyse von Social für das eigene Business gibt es mehr Verständnis, und der Geschäftsführer nimmt sich des Themas an.

silicon.de: Vielen Dank für das Gespräch!

Mehr von netmedia-CEO Tim Miksa können Sie künftig regelmäßig im Manager-Blog von silicon.de lesen. Freuen Sie sich auf spannende Einblicke hinter die Kulissen der Social-Business-Szene!

Redaktion

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  • Das sind wertvolle Beiträge von Herrn Miksa, die das Thema aus der "Heilen Welt" des Hypes holen und den Alltag widerspiegeln.
    Daraus abzuleiten, das Thema an sich wäre nicht so wichtig, wäre dabei ein unzulässiger Schluss. Es muss allen Beteiligten eben gelingen, den Business Nutzen von Social Business Collaboration aufzuzeigen und auch nachzuweisen. Nur dann wird Gartner nicht recht haben, die ja in einem vielbeachteten Beitrag meinten, dass 80% der Invests in Social Business "für die Katz" seien, weil nicht nachhaltig. (Zumindest sinngemäß).

  • Ich finde, der Artikel gibt einen sehr schönen Einblick in die Alltagsrealität von Social Business in Deutschland. Insbesondere der Punkt, das das Thema von allen Abteilungen und Hirarchien gelebt werden muss, wenn es ein Erfolg werden soll, kann nicht oft genug betont werden.

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