IRQ 13-04 – Das Leben, eine Technikgeschichte

#worteausderkindheit: “Nein, wir haben gaaanz bewusst keinen Fernseher.” Fernsehen ist schließlich schlecht für die Augen. Es beeinträchtigt die Entwicklung der Kinder und das Familienleben. – Außerdem waren diese Geräte damals – zu Zeiten, als TV-Sticks noch nicht für 14,95 Euro im Webshop zu haben waren, ja als es noch nicht einmal Webshops oder den Euro gab – prohibitiv teuer, vor allem farbige. Der Farbfernseher war sogar seinerzeit geradezu eine Allegorie auf den Luxus.

Und weil nicht sein kann, was nicht sein darf, oder anders formuliert: weil es besser ist, nicht zu wollen, als nicht zu können, brachten die 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts eine geradezu überbordende Fülle an Argumenten gegen den TV-Konsum hervor. – Zum Glück hatte Oma ein kleines Schwarz-Weiß-Gerät.

Darauf durfte man “Bonanza” anschauen, diese herrliche Sendung über eine Patchwork-Familie zu Zeiten, als jene noch unüblich waren, eine rein männliche Patchwork-Familie noch dazu. Aber der soziologische Aspekt interessierte einen damals eh nicht so sehr.

Als äußerst spannend empfand man es vielmehr, wenn die Mitglieder der Bonanza-Familie, so nicht gerade Pa – Ben Cartwright – den moralischen Zeigefinger erhob, alle Finger zur Faust ballten, um damit irgendwelchen Cowboys aufs Maul zu hauen. Und weil Gehirnerschütterungen, Schädelbasis-, Joch- und Nasenbeinbrüche damals kein Thema waren, konnten sich Ben, Adam, Hoss und natürlich vor allem Little Joe ausgiebig prügeln.

Und Oma hat’s erlaubt zuzuschauen. Diese wunderbare Frau hatte die Bedeutung der Globalisierung erkannt, lange bevor John Naisbitt das Wort erfand.

Es folgte das Paradigma des Bandsalats: Wie oft kann man eine inwendig zerknitterte, oft mit dem Kugelschreiber aufgespulte Kassette anhören, von der klingt: Street Fighting Man? – Erstaunlich oft.

Klasse! Der 15jährige Mann kann sich deswegen auch der traditionellen Mechanik zuwendenden. Ein kleineres Ritzel hinten und ein größerer Vergaser vorne machen aus einem Moped eine Kawa, eine Harley oder eine Moto Guzzi – gefühlt jedenfalls.

Dass man die später aufgibt, wiederum hat mit Technik ausnahmsweise nichts zu tun. Aber beim VW-Käfer kann man hinten die Rückbank herausnehmen. Das war wichtig. – Es ist erstaunlich, wie beweglich man seinerzeit war.

Jenseits dessen musste man natürlich noch studieren. Im Nachhinein betrachtet, ist es unvorstellbar, wie so was ohne Wikipedia und Google möglich war. Das gängige Format für analoge Archivdateien hieß damals Microfiche. Der Viewer dafür war in Hardware implementiert und sah aus wie ein etwas zu groß geratenes Mikroskop. – Und die bei der Abschlussarbeit > 1K mal benutzte Delete-Taste wurde unter dem Branding Tipp-Ex vertrieben.

Beim Radio wird man dann mit dem frappierendsten aller technischen Paradoxa konfrontiert: Nichts ist so ungeeignet als Aschenbecher wie der Bobby, der Tonbandspulenkern. Und eben deshalb wird er mit Vorliebe dafür benutzt. Der Bobby ist mittlerweile auch ein Opfer der Digitalisierung geworden. Und deshalb hat man aufgehört.

Eigentlich ist die ganze Technikgeschichte der vergangenen Jahrzehnte die Geschichte der Digitalisierung. Und jetzt soll der Mensch selbst digitalisiert werden. Ziel des Human Brain Projects der EU ist es, in zehn Jahren das menschliche Gehirn simulieren zu können.

Aber das schaffen sie nicht! Die Erinnerungen an Bonanza, Bobbies, 50-Kubik-Harleys und Käfer ohne Rückbank lassen sich weder in Soft-, noch in Hardware nachbilden. Und damit’s noch ein bisschen schwerer wird, macht der Schreiber jetzt Schluss für heute und geht ein Bier trinken.

Wenn einem nämlich ein gutes Bier in den Kopf steigt, dann erhöht sich damit der Simulationsaufwand exponentiell. Und quasi als Backup dann noch eine zweite Halbe. Nur zur Sicherheit, weil: Es wäre doch schade um die schönen Erinnerungen, wenn die jemand einfach so in einen Rechner packen würde.

Redaktion

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