silicon.de: Jüngste Umfragen belegen, dass sich Firmen nur selten bereit fühlen, für den Wandel zum Social Business. Kann man sich als Unternehmen darauf überhaupt vorbereiten oder muss man einfach anfangen?
Schütt: Die Einführung von Social Business ist in erster Linie die Einführung eines neuen Mediums und unterscheidet sich damit strukturell kaum von der Einführung des Telefons vor grob 100 Jahren. Diesmal geht es um intern genutzte soziale Medien, in denen Mitarbeiter Elemente ihres Wissens quasi als Abfallprodukt der täglichen Arbeit dokumentieren – weitgehend ohne Extraaufwand – und anderen zur Verfügung stellen. Die Nutzung dieses Wissens kann gegebenenfalls auch erst Jahre später erfolgen, also anders als bei Telefonaten, deren Inhalte flüchtig sind. Da mit der Einführung Wettbewerbsvorteile erzielt werden können, sollte man auf keinen Fall länger warten und so schnell wie möglich beginnen.
silicon.de: Experten empfehlen einen Lead für entsprechende Projekte – reicht einer (und aus welcher Abteilung sollte der kommen) oder sollte es in jeder beteiligten Abteilung einen Lead geben?
Schütt: Das hängt von der Größe des Unternehmens ab. Die Erfahrung bei zahlreichen unserer Kunden zeigt, dass die Projektleitung sehr oft unter der Führung der Personalabteilung läuft, manchmal aber auch der internen Kommunikation oder des IT-Bereichs. Egal wie – alle drei haben grundsätzlich eng zusammenzuarbeiten.
silicon.de: Was sind die wesentlichen Aufgaben eines solchen Leads?
Schütt: Die Arbeitsabläufe partizipativer zu gestalten, also Wissensträgern mehr Gestaltungsmöglichkeiten einzuräumen, aber gleichzeitig diese auch zu fordern, ist eine Transformation, die es zu führen gilt. Ein solches Programm läuft in Phasen ab und kann sich über mehrere Jahre hinziehen. Auf die Vorbereitungsphase und die Implementierung der notwendigen Technologien folgt die eigentliche Transformationsphase. Deren Länge hängt stark von der Größe der Organisation und den gewählten Adaptionswegen ab. Letztlich folgt ein Übergang vom Projekt zu einem kleinen Kompetenz-Center, das die fortlaufende Unterstützung übernimmt und im Wesentlichen „Best Practices“ extrahiert und vermittelt, also fortlaufend Arbeitsweisen optimiert.
silicon.de: Für firmeninterne Projekte gibt es inzwischen eine Reihe positiver Beispiele. Wenn es um B2B-Projekte mit externen Partner (beispielsweise Kunden) geht, wird es schwieriger. Was ist hier die größte Herausforderung?
Schütt: Die größte Herausforderung ist der Umgang mit dem intellektuellen Kapital, also der Frage, wie man sicherstellen kann, dass niemand Wissen nutzen kann, ohne dafür zu bezahlen – wenn es denn einen Preis hat. Das ist eine ähnliche Diskussion wie die Frage nach den Raubkopien bei Kulturgütern wie etwa Filmen.
silicon.de: Wie kann ich das Vertrauen externer Partner gewinnen, wenn diese fürchten, dass kritische Informationen möglicherweise über soziale Plattformen von der Konkurrenz abgeschöpft werden?
Schütt: Weil das deutlich schwieriger zu lösen ist als die interne Nutzung sozialer Medien plädieren wir hier für eine klare Trennung von intern und extern. Bei der externen Nutzung bedarf es klarer, vertraglich geregelter Spielregeln. Es macht auch keinen Sinn, wie auf sogenannten Open Innovation Plattformen innovative Ideen offen auszutauschen, wenn dann auch Wettbewerber hierüber Ideen abschöpfen können. Deshalb sollte man bei solchen Themen für bilaterale Kommunikationsmöglichkeiten sorgen, in denen Vertrauensumfelder geschützt bleiben. Wie hatte der ehemalige IBM Geschäftsführer Bernhard Dorn vor Jahren (eigentlich im anderen Kontext) einmal gesagt: „Wer ganz offen ist kann nicht ganz dicht sein.“ Das passt hier aber auch wieder.
silicon.de: Entscheidend sind oft Kleinigkeiten – haben Sie hier ein paar konkrete Tipps, die den Schritt zu neuen Kommunikationsplattformen intern und extern erleichtern?
Schütt: Der entscheidende Tipp ist die Hürden nicht als zu groß zu sehen, sondern einfach zu beginnen. “Klein anfangen und schnell wachsen” gilt auch hier, wobei der Erfolg sozialer Medien auch immer vom Volumen abhängt. Denn wenn die Nutzung zu lange auf niedrigem Niveau bleibt, kann dies zu irreführenden Ergebnissen führen. Das kleinste Unternehmen, das unsere Social Business Plattform Connections einsetzt, das ich kenne, hat übrigens nur 16 Mitarbeiter, die allerdings mittlerweile praktisch auf fachliche E-Mails verzichten und sich nur noch über die Plattform austauschen.
silicon.de: Wo steht Deutschland in Sachen Social Business im Vergleich zu anderen europäischen Ländern?
Schütt: Interessanterweise ist man Deutschland schon relativ weit, wenn auch nicht in allen Branchen. Vorreiter waren eindeutig die Chemie- und Pharmabranche und dann die Automobilzulieferer. Das sind zwei Branchen, die einen besonders hohen Bedarf an Innovationen haben und deshalb zu Recht früh auf das Thema gesetzt haben.
silicon.de: Benutzen Sie persönlich noch E-Mail und falls ja für was?
Schütt: Ja, aber deutlich weniger. E-Mail richtig eingesetzt, zum Beispiel für personenbezogene Dinge oder die Kommunikation mit Externen, ist ein berechtigter Service und wird es auch bleiben. Für die interne, tägliche Arbeit setze ich aber mittlerweile viel intensiver auf die internen, sozialen Medien, weil hier meine Kolleginnen und Kollegen viel einfacher partizipieren können, ohne mich jeweils per Mail oder Telefon von der Arbeit abhalten zu müssen. Ich habe mich übrigens auch sehr weit von der Nutzung von Office-Dokumenten verabschiedet, da für Inhalte, die in der Zusammenarbeit genutzt werden sollen, insbesondere Wikis, Blogs und Aktivitäten einfach bessere Services sind.
silicon.de: Vielen Dank für das Gespräch!
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"E-Mail richtig eingesetzt ... ist ein berechtigter Service und wird es auch bleiben."
Danke, endlich mal einer er es ausspricht!!
"Chemie- und Pharmabranche und dann die Automobilzulieferer"
Najaaa. Nur weil BASF und Bosch die IBM Connections-Referenzkunden sind gleich so zu pauschalisieren... ;)
Ich sehe die Best Practices insbesondere (oder: noch eher) bei den Dienstleistern (Finanzen, Beratungen). Da gibt es wirklich tolle Cases.
Warum ein Zulieferer mehr Bedarf an Innovationen hat als ein Hersteller ist mir nicht ganz klar.