April-Rückblick: Die virtuelle Kathie
Als Ebenbild Gottes sieht er sich gerne, der Mensch. Und jetzt will er sein eigenes Ebenbild schaffen und seinen Verstand und sein Gemüt im Rechner simulieren. Darum geht’s beim Human Brain Project der EU. Aber eine Gefährtin hat ihm der Herr laut Altem Testament ja auch gegeben. Und da stößt dann die Rechnerei an Grenzen.
“Wir haben unser Gehirn nicht, um zu denken”, sagt er, der Doktor, der beim Human Brain Project mitarbeitet, “sondern um zielgerichtetes Handeln zu generieren.” Das verwirrt einen dann doch etwas.
Was er damit meint: Das mächtigste aller Organe dient nicht in erster Linie dazu, um Ontologie zu betreiben, also über das Sein als solches zu reflektieren, sondern um als kleines Plag draufzukommen, dass man schreien muss, wenn man Durst hat. Dann gibt einem die Mama schon was. Und auch das Schlucken selbst wird vom Gehirn gesteuert. Medulla oblongata nennt sich das dafür zuständige Hirn-Areal.
Später nutzt man seine intellektuellen Fähigkeiten, um sich aus vergleichbarem Anlass ein Bier zu kaufen. “Das Gehirn ist lernfähig”, sagt er, der Doktor.
Dadurch unterscheidet es sich von primitiven informationsverarbeitenden Systemen. Von Windows etwa. Das lernt es nie, dieses komische “WAB Notification Window” beim Herunterfahren selbständig zu beenden.
Aber nachdem man selbst jetzt gelernt hat, dass das Gehirn auch für das eher Animalische zuständig ist, wundert es einen nicht, dass die Leute, wenn’s um die Simulation Ihresgleichen geht, immer sofort auf das Eine kommen.
“Die Frauen von Stepford” in Bryan Forbes’ Film von 1975 etwa lesen ihren Männern jeden Wunsch von den Augen ab, auch die ganz besonders schönen. Und ansonsten sind sie nur eines: sanftmütig! – Sie stellen sich schließlich als Roboter mit einer entsprechend männlichen Bedürfnissen optimierten Software-Seele heraus. Science-Fiction-Autoren ist klar, dass das die Story ist, wenn’s um die Simulation von Menschen geht.
Aber auch ganz berühmte Wissenschaftler denken ähnlich. Marvin Minsky etwa erklärte in München vor einem Vierteljahrhundert, als Supercomputer gerade mal die Leistungsfähigkeit heutiger Telefone hatten, er fände es gut, ein Software-Back-up von sich anzulegen. Und ein paar schlechte Eigenschaften hätte er schließlich auch. Die könnte man ja bei dieser Gelegenheit gleich durch bessere Features ersetzen.
Ganz besessen war er davon, sich KI-mäßig upzudaten. Und Joseph Weizenbaum, der neben ihm auf dem Podium saß, war eine einzige High-Performance-Implementierung der Empörung.
Die Forscher, die sich jetzt an das Human Brain Project machen, wissen natürlich, dass es so einfach nicht funktioniert. Geist ohne Körper geht nicht und auch nicht ohne Umwelt. Der Doktor sagt deshalb, dass man das schon zusammen simulieren muss.
Es ist ein lohnendes Interview. Der Schreiber wird es in ein paar Radiobeiträge gießen und gutes Geld damit verdienen.
Aber damit hat sich die Sache diesmal nicht. Diese Science-Fictions, Minsky und jetzt die Überlegungen, alles, was den Menschen ausmacht, in den Rechner zu packen. – Es lässt einen nicht mehr los.
Das eröffnet doch Perspektiven! Da könnte man vielleicht auch eine virtuelle Welt schaffen, in der nur dieses wunderbare “Duuh!” existiert und der Tera-Byte-tiefe Blick in zwei leuchtende Augen. Und bei den – nach einer gewissen Latency – mit der Konsequenz digitaler Logik folgenden “Wääh!”, “Du hast schon wieder…” und “Nie machst du…”, da könnte man ganz schnell die Delete-Taste drücken.
Man kann aber auch seine Fähigkeit zu zielgerichtetem Handeln dazu einsetzen, um zum Stammtisch zum Franz in die Wirtschaft zu gehen. Dazu kommt jetzt nämlich auch die Kathie, eine ganz, eine Liebe.
“Du bist so ein Stiller”, hat sie beim letzten Mal gesagt, aber so ein Gescheiter.” Und mit diesem Hoax hat sie alle Firewalls, die dieses underperformende human Brain aufgebaut hat, zum Einsturz gebracht.
“Wir könnten doch mal am Sonntag…” formulierte die Hypophyse, dieser außer Kontrolle geratene Peripherie-Treiber, daraufhin selbständig. “Übernächsten Sonntag hätt’ ich Zeit”, hat die Kathie daraufhin gesagt. – Das wär’ dann übermorgen.
Und auf dem Weg zum Stammtisch fällt einem dann noch ein: Der Doktor, er hat nicht Recht. Dieses Gehirn, es ist nicht lernfähig. Aber nach nur einem kurzen Blick in zwei Exa-Byte-tiefe Augen ist einem das so ziemlich egal.