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“Die Luftfahrtbranche ist prädestiniert für Big-Data-Lösungen”

Dr. Gunter Küchler. Lufthansa Systems.

silicon.de: Herr Küchler, alle Welt spricht derzeit von Cloud, Big Data und Mobility. Sehen sie diese Trends auch bei den Kunden ihrer IT-Dienstleistungen?

Küchler: Ja, unsere Fokusbranchen – Luftfahrt, Transport und Logistik, Industrie, Medien und Verlage, Energie, Health Care sowie Touristik – haben eine hohe Affinität zu diesen IT-Trends: Mobility, die Mobilität von Mitarbeitern, Kunden, Gütern oder Informationen, ist für unsere Kunden ein wichtiges Element des Unternehmensauftrags. Daher beschäftigt sich Lufthansa Systems bereits seit Jahren mit dem Thema Mobility und der Unterstützung von mobilitätsaffinen Geschäftsprozessen. Die Verbreitung mobiler Endgeräte unterstützt uns dabei, den Bedarf an Informationen und Anwendungen unserer Kunden situationsgerecht an jedem Ort und zu jeder Zeit – also mobil – zu erfüllen.

Dabei fallen in den Geschäftsprozessen unserer Kunden große Datenmengen an. Diese Daten mit anderen Daten zu verbinden, also zum Beispiel Informationen aus sozialen Netzwerken, ermöglicht es uns, unseren Kunden neue Einsichten für die Steuerung der Unternehmensprozesse bereitzustellen. Darüber hinaus können die Unternehmen mit unseren Lösungen auf Basis dieser Technologien ihre Kosten senken, ihre Flexibilität erhöhen, ihren Service verbessern und sich so vom Wettbewerb differenzieren.

silicon.de: Immer wieder hört man dieser Tage, dass Virtualisierung bei den Anwendern inzwischen gesetzt ist. Stimmt das mit den Erfahrungen überein, die Sie bei ihren Kunden machen?

Küchler: Der Kontakt zu unseren Kunden zeigt, dass die Virtualisierung im Markt angekommen ist. Die Unternehmen adressieren sehr klar die Anforderung, beispielsweise ihre Anwendungen virtualisiert zu betreiben, wenn auch noch nicht alle ihre IT-Landschaft und ihre Applikationen dafür entsprechend vorbereitet haben.

silicon.de: Die Lufthansa System betreibt ja auch selbst Rechenzentren, wie hoch ist denn da der Grad der Virtualisierung?

Küchler: Der Virtualisierungsgrad in unseren Rechenzentren liegt derzeit bei den Server-Infrastrukturen im Microsoft-Umfeld bei rund 80 Prozent, im Unix/Linux-Umfeld auf Basis von VMware sogar bei über 90 Prozent.

silicon.de: Ist das im Vergleich mit “durchschnittlichen” Anwendern eher hoch?

Küchler: Im Vergleich zu den meisten klassischen IT-Dienstleistern sehen wir uns als Vorreiter in Sachen Virtualisierung. Natürlich gibt es Cloud-Anbieter, die mit vollkommen virtualisierten Infrastrukturen werben. Das streben wir aber gar nicht an. Als Full-Service Provider betreiben wir für unsere Kunden Anwendungen in der Cloud, werden aber auch weiterhin bestimmte Applikationen, die aufgrund besonderer Anforderungen an Hardware und Betriebssysteme derzeit nicht virtualisierbar sind, im klassischen Rechenzentrumsumfeld betreiben. Damit unterscheiden wir uns von Anbietern, die sich ausschließlich auf Cloud Computing konzentrieren. Wir möchten unseren Kunden ein für ihren Bedarf optimales Paket aus beidem bieten und dies wird auch honoriert.

silicon.de: Können sie hier auch die Vorteile quantifizieren, die sie durch die Virtualisierung erreicht haben?

Küchler: Die Vorteile sind sehr vielschichtig. Das fängt bei reduziertem Stromaufwand und geringerem Platzbedarf im Rechenzentrum an, geht über die schnelle Bereitstellung virtualisierter Ressourcen und endet bei entsprechenden Skaleneffekten auf Grund von Standardisierung von Hardware, Basissoftware und Prozessen, die in Summe letztendlich zu besseren Preisen sowie einer höheren Verfügbarkeit und Flexibilität für unsere Kunden führen.

silicon.de: Schreiten wir zum nächsten Hype-Thema, dem Cloud-Computing. Häufig nutzen Unternehmen ja eine Private Cloud und da wird die Abgrenzung zur Virtualisierung häufig zu einer akademischen Frage. Wo fängt denn Ihrer Meinung nach die Cloud an und wo hört die Virtualisierung auf?

Küchler: Virtualisierung bedeutet ja zunächst nur eine bestimmte Art der technologischen Umsetzung von Ressourcen. Das könnte ein Unternehmen auch in seiner eigenen IT-Landschaft abbilden und viele tun das ja mittlerweile auch. Cloud Computing bringt den Servicegedanken mit der Virtualisierung zusammen. Ein Unternehmen muss die virtualisierten Ressourcen nicht mehr selbst vorhalten, sondern bezieht sie nach Bedarf aus der Cloud eines Dienstleisters. Das bedeutet, Cloud Computing reicht von der Bereitstellung von Applikation (Software as a Service) über die Middle Ware (Platform as a Service) bis zu Betrieb und Wartung der Infrastruktur (Infrastructure as a Service). Bislang denken viele Unternehmen aber zunächst über die Virtualisierung ihrer Systeme nach. Damit können die Chancen für die Unternehmen aber nur zum Teil genutzt werden. Erst die Beschäftigung mit den eigentlichen Zielen des Kunden und ein darauf abgestimmtes Serviceangebot macht aus der Bereitstellung in virtualisierten Umgebungen ein Cloud-Thema und damit für den Kunden die Agilität und Flexibilität erlebbar.

silicon.de: Können Sie uns dafür ein Beispiel geben?

Küchler: Ähnlich wie bei Microsoft mit ihren Office-Applikationen (z. B. Office 365) können wir unseren Airline-Kunden unsere aeronautischen Lösungen wie beispielsweise Navigationskarten einschließlich der notwendigen Updates bezüglich Veränderungen auf Grund von beispielsweise temporären Luftraumsperrungen oder Veränderungen in den Anflugrouten in der Cloud anbieten. Damit können Piloten weltweit die jeweils aktuellen Karten für den betreffenden Flug abrufen. Wir nutzen so also die Cloud, um damit auch SaaS anbieten zu können.

silicon.de: Spricht man mit Analysten und Anwendern, dann verfolgen die meist noch einen Private-Cloud-Ansatz. Können Sie das denn mit Ihren Erfahrungen bestätigen?

Küchler: Datensicherheit, Datenschutz und Compliance-Anforderungen sorgen dafür, dass Unternehmen zunächst in Richtung Private Cloud denken, wenn sie sich mit dem Thema beschäftigen. Dabei spielt unter anderem auch der Standort des Rechenzentrums eine zentrale Rolle, also die Frage, wo die Daten geografisch vorgehalten werden.

silicon.de: Was ist denn der nächste Schritt auf der Agenda der Unternehmen?

Küchler: Der Trend geht zur Hybrid Cloud. Bislang standen sich mit der Private und der Public Cloud zwei Ansätze gegenüber, die nicht recht miteinander vereinbar erschienen. Derzeit sehen wir allerdings, dass der Preis für Speicherplatz und Rechenleistung bei den Anbietern großer Public Clouds immer weiter sinkt. Das ist eine Entwicklung, der der Unternehmensbereich auch durch den Austausch von Hardware nur sehr schwer folgen kann. Wir haben daher Lösungen entwickelt, mit denen wir Public-Cloud-Komponenten in unsere Private-Cloud-Angebote integrieren können, um weiterhin die nötige Sicherheit der Daten zu gewährleisten und den Kunden dennoch Preisvorteile bieten zu können. Das Ergebnis ist die sogenannte Hybrid Cloud. Dadurch werden die Vorteile Effizienz, Agilität und Kosteneinsparungen des Cloud Computing für Unternehmen eigentlich erst richtig nutzbar. Damit dies gelingt, ist es aus unserer Sicht wichtig, die Relevanz im Sinne der Geschäftskritikalität bestimmter Daten und Anwendungen sowie ihren Schutzbedarf zu klären. Daten und Anwendungen, die weniger sensibel sind und somit ein geringeres Schutzbedürfnis haben, können über die Hybrid Cloud günstiger bereitgestellt werden.

silicon.de: Bietet die Lufthansa Systems auch mobile Lösungen an?

Küchler: Lufthansa Systems bietet eine Reihe mobiler Lösungen an. Mit BoardConnect haben wir ein inzwischen mehrfach ausgezeichnetes drahtloses In-Flight-Entertainment-System entwickelt. Es funktioniert wie ein Intranet im Flugzeug auf Basis eines kompakten Servers und einiger Access Points in der Kabine. Die Passagiere greifen mit ihren eigenen Endgeräten darauf zu. Drahtlos bedeutet, dass das System zu einer erheblichen Gewichtsersparnis führt. Das senkt die Kosten. Darüber hinaus kann dieses System auch in kleineren Maschinen eingesetzt werden.

Unter dem Namen Velimo haben wir für die Hospitality-Industrie die erste vollständig integrierte Plattform entwickelt, die Infotainment- und Service-Funktionen mit Business Intelligence verbindet. Auch hier können die Gäste über mobile Endgeräte auf die Inhalte zugreifen. Darüber hinaus bieten wir einige unserer Lösungen für Airlines inzwischen als App für Tablet PCs an, wie bereits am Beispiel der Navigationskarten erwähnt.

Quelle: Lufthansa Systems.

silicon.de: Man sitzt also im Flugzeug und kann frei im Netz herumsurfen – außer bei Start und Landung natürlich?

Küchler: BoardConnect ist zunächst ein WLAN-Netz im Flieger, das das Streaming von Audio und Videoinhalten und anderem Content auf das Endgerät des Passagiers erlaubt. Nur wenn das Flugzeug auch über eine In-Flight-Internetanbindung verfügt, also zum Beispiel über eine Satelliten-Verbindung das Internet in das Flugzeug geholt wird, können die Passagiere über BoardConnect auch im Netz surfen. Aber auch ohne diese Internetanbindung erhalten Passagiere wichtige Informationen über ihren aktuellen Flug oder ihre Anschlussflüge, können über das System in Zeitungen und Zeitschriften lesen, Produkte an Bord kaufen oder zur Lieferung nach Hause bestellen. Insgesamt wird dadurch auf der einen Seite die Zeit während des Fluges für den Passagier angenehmer, er wird informiert und unterhalten, auf der anderen Seite bietet es für die Fluggesellschaft die Möglichkeit das Produkt – das Flugerlebnis – noch attraktiver zu gestalten und nicht zuletzt zusätzliche Erlöse zu erzielen.

silicon.de: Wenn Passagiere in einem Flugzeug sitzen und surfen, dann konsumieren sie nicht nur Daten, sondern produzieren auch jede Menge Daten. Wie kann man denn solche Informationen nutzbar machen?

Küchler: In der Tat entsteht rund um einen Flug, nicht nur durch die Passagiere, eine große Menge an Daten. Daher ist auch die Luftfahrtbranche prädestiniert für Big-Data-Lösungen. Zunächst einmal geht es darum, die Daten zusammenzutragen und zugänglich zu machen. Das hat viel mit Technologien zu tun. Dann werden die Daten unter unterschiedlichsten Aspekten betrachtet, um Zusammenhänge zu erkennen. Daten zu verbinden, die bis dahin nicht miteinander in Beziehung gesetzt wurden, um zu neuen Lösungen zu kommen, ist der Mehrwert von Big Data. Die Erfassung der Zusammenhänge ist eine Frage des Geschäfts-Know-hows. Unternehmen müssen also Geschäftswissen und Technologie-Kenntnisse verbinden, um Zusammenhänge zu erfassen und neuartige Interpretationen zu nutzen.

silicon.de: Und wie profitieren Fluglinien wie die Lufthansa von dem Wissen, das man aus solchen Daten ziehen kann?

Küchler: Für Airlines wäre es beispielsweise denkbar, Applikationen zu entwickeln, die aktuelle Auslastung, Verkehrsströme und den Wettbewerb abbilden. Damit würde ein Revenue-Management-System ermöglicht, mit dem abhängig von all diesen Parametern der zum jeweiligen Kaufzeitpunkt optimale Preis erzielt werden kann.

silicon.de: Neben Airlines haben natürlich auch Unternehmen der Branchen wie Transport und Logistik, Energie oder der Tourismus vitales Interesse an solchen Daten und deren Auswertung. Kann man dadurch die vorhandenen Dienstleistungen einfach nur besser machen, oder werden durch solche Analysen auch neue Dienste oder Produkte möglich.

Auf Basis solcher Auswertungen lassen sich sicher neue Dienste und Produkte entwickeln, denn die Daten werden ja neu miteinander verknüpft und aus neuer Perspektive betrachtet. Das Prinzip hinter einem neuen Revenue-Management-System für Airlines beispielsweise, das den optimalen Preis zu einem bestimmten Kaufzeitpunkt ermittelt, lässt sich auch auf andere Branchen übertragen.

silicon.de: Welche Rolle spielt hier das In-Memory-Computing?

Küchler: In-Memory-Computing und Hadoop sind Technologien, die Big Data vorantreiben. Möglich geworden ist die In-Memory Technologie durch massive Preisreduktionen im Speicher-Umfeld und da dieser Trend sich weiter fortsetzen wird, wird auch In-Memory-Computing künftig eine immer größere Rolle spielen. Unsere Kunden können dadurch Wettbewerbsvorteile erlangen, da Auswertungen, die früher sehr lange gedauert haben, jetzt sehr schnell durchgeführt werden können. Ein gutes Beispiel dafür ist das Business Intelligence Realtime Reporting, mit dem tiefgreifende Analysen in Echtzeit durchgeführt werden können. In-Memory-Computing stellt in der Kombination mit Big Data also einen echten Mehrwert dar, weshalb Unternehmen bei ihren IT-Dienstleistern auch entsprechendes Wissen in diesem Bereich erwarten.

So hat SAP beispielsweise mit SAP HANA eine Technologie entwickelt, die die SAP In-Memory-Datenbank-Technologie und Hadoop integriert. Auf Basis dieses Systems können sowohl strukturierte als auch unstrukturierte Daten in großer Anzahl verbunden und analysiert werden. Und dies mit einer Geschwindigkeit und zu Kosten die noch vor wenigen Jahren ein solches Vorgehen unvorstellbar erscheinen ließen und jetzt die Phantasie der Entwickler anregen. Ein Beispiel ist das Revenue-Management-System für eine Fluggesellschaft. Ein wichtiges Tool im Revenue-Management-System ist der Forecast. Die Erstellung eines Revenue Forecasts einer Fluggesellschaft mittlerer Größe ist auf Grund der zu berücksichtigen Daten und Datenmodelle derart rechenintensiv, dass die Kalibrierung und der sich anschließende Test des Systems bis zu einer Woche benötigen. Mittels In-Memory-Datenbanken und entsprechender Rechenleistung durch Bündelung der Ressourcen in Hadoop Clustern könnte eine derartige Kalibrierung auf wenige Stunden reduziert werden. Damit kann an der eigentlichen Modellbildung noch intensiver gearbeitet werden und somit zur besseren Vorhersage genutzt werden.

silicon.de: Datenschutz war ja schon vor dem Big-Data-Zeitalter eine heikle Angelegenheit. Wie sieht das denn heute aus. Denken Sie, dass der Datenschutz auch für Big Data ausreicht, oder brauchen wir neue Regeln, die dem Missbrauch solcher Daten vorbeugen?

Küchler: Für Big Data gelten die gleichen gesetzlichen Regelungen wie für konventionelle Lösungen und sie sind auch ausreichend. Allerdings ist die Schutzbedarfsanalyse bei Big Data sehr wichtig, da vermeintlich nicht zusammenhängende Daten in Verbindung gesetzt werden. Also zum Beispiel Daten aus sozialen Netzwerken mit Daten aus den Airline-Buchungssystemen. Dazu gehören unter anderem personenbezogene Daten wie sie etwa im Revenue-Management-Umfeld und bei der Verarbeitung von Kreditkarten-Daten auftreten. Wie sind diese neuen, verbunden Daten einzuordnen – sind diese vom Schutzbedarf mit geringem, mittleren oder hohen Schutzbedarf einzuordnen? Der Datenschutz und die Datensicherheit sind für unsere Kunden sehr wichtig. Letztendlich sind Fluggesellschaften verpflichtet personenbezogene Daten ihrer Passagiere zu erfassen und müssen mit diesen sorgfältig umgehen – nicht nur aus gesetzlicher Sicht sondern auch auf Grund der damit verbundenen Image- und Marktwirkung. Zugleich ist es für die Leistungsfähigkeit von Big-Data-Lösungen entscheidend, dass der Datenschutz ohne Einschränkungen bei der Performance gewährleistet ist. Um die Datenschutzregeln bei Big Data umsetzen zu können, bedarf es daher neuer Technologien und Herangehensweisen.

silicon.de: Herr Küchler, wir danken für das Gespräch!

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Redaktion

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