IRQ 13-06: Start Button
Mit “Start me up” von den Rolling Stones hat Microsoft seinerzeit den Start-Button in Windows 95 beworben. Jetzt exhumiert der Konzern in Windows 8.1 diese bekannteste aller Schaltflächen. “This could be the last time”, wär’ dafür ja vielleicht der passende Song.
Freitag, 14. Juni, 4:30 Uhr, Grünwalder Forst. “Start me up” klingt aus den Ohrhörern des Windows-Phone. Auf einen bettflüchtigen Waldläufer wirkt das wie EPO auf einen Leistungskrüppel. “The lyrics to the song” von Jagger/Richards könnten “double entendre” interpretiert werden, steht in Wikipedia. “Zweideutig” heißt das.
Können sie nicht! Jedenfalls nicht von jemandem wie Unsereinem. Der denkt dabei immer nur an das Eine… an Windows. Mit “Start me up” hat Microsoft vor 18 Jahren für Windows 95 geworben. Das hat gepasst. Denn mit Windows 95 hat der Konzern seinerzeit den Start-Button eingeführt.
Und damit war denn auch die Wintel-Welt und das zugehörige Weltbild komplett. Jenes war eigenartig und geschlossen, fast wie das einer kommunistischen Partei: Rechts oben das “x” zum Wegklicken, daneben das Kästchen, um das Fester zum Vollbild zu vergrößern, und das “_”, um es zum Icon auf der Task-Leiste zu verkleinern. So schlicht sah die Welt aus, wie sie sich einem täglich auf dem Bildschirm darstellte.
Eigenartig ist diese Welt insofern, als dass man zum Herunterfahren des PC den Start-Button anklicken muss – so man den Rechner nicht mit Alt+Ctrl+Del aus- und wieder anschaltet. Das war vor allem bei Windows 95 des öfteren nötig. “You make a grown man cry”, wie’s in “Start me up” so treffend heißt.
Mann könne die “Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen, dass man ihnen ihre eigne Melodie vorsingt” schreibt Marx in der “Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie”. Und als Führungskader in der Redaktion des Zentralorgans der Branche, als das sich damals jede IT-Fachzeitschrift betrachtete, kannte man diese Melodie natürlich ganz genau. Man hörte sie ja jeden Morgen beim Waldlauf, den Windows-Song. “Start me up”.
Es gab damals noch eine historische Gewissheit, einen evidenten Trend. Dessen lyrische Form lautete: “If you start me up, I’ll never stopp, never stopp”. Und er war ganz offenkundig gestartet und damit nicht mehr zu stoppen. Oder um es in den Worten eines führenden Genossen zu formulieren – für Unsereins selbstverständlich nur ein Zeitgenosse: “Den Wintel-Trend in seinem Lauf hält weder Sun noch Apple auf.”
Überhaupt Apple! Das Unternehmen stand seinerzeit kurz vor dem Konkurs, obwohl es zwei Jahre zuvor das iPhone auf den Markt gebracht hatte. Jenes hieß Newton und hatte das Problem, dass man damit nicht telefonieren konnte. Der Monopolist Microsoft hat dann schließlich – 1997 – geholfen und Apple 150 Millionen Dollar zukommen lassen, um ein bisschen Konkurrenz-Kapitalismus zu simulieren.
Der Trend war eindeutig. Es lief auf eine alles umfassende Wintel-Welt hinaus, die selbstverständlich bald auch Apple einschließen würde, und das Unternehmen ist dann ja auch auf Intel-Prozessoren umgestiegen.
Intel entwickelte seinerzeit den Itanium-Chip, und Mainframer wie Unisys und Fujitsu-Siemens wollten damit ausfallsichere Wintel-Server bauen. “If you start me up, I’ll never stopp”.
Es war schön damals, im Zentralorgan über die Systemkonkurrenz zu berichten. Man wusste ja, wie sie ausgehen würde. Und mit dieser apokalyptischen Kenntnis konnte man ein schauriges Prozessor-Sterben prophezeien: MIPS, Alpha, PA-RISC, Sparc. Es hat sich immer bewahrheitet. – Na ja, bis auf Sparc halt.
Der Sparc-Entwickler Sun ist dann von Oracle übernommen worden. Und vor zwei Jahren hat Oracle sehr nachdrücklich verdeutlicht, dass der Itanium ein sterbendes System ist, und entwickelt seitdem keine Software mehr dafür.
Das ist schlimm! Nicht, dass einem die Sorge um die Profitabilität von Intel schlaflose Nächte bereiten und man deshalb kurz nach Sonnenaufgang durch den Wald rennen würde. Aber die historische Gewissheit, die man einmal besaß, sie ist perdu(e).
Vor allem wegen Apple. Einstmals gerettet von Microsoft, hat der zweite iPhone-Versuch des Konzerns 2007 schließlich hingehauen. Und der wertvollste IT-Konzern aller Zeiten ist denn auch Apple geworden und nicht Microsoft. Da fühlt man sich doch echt orientierungslos. – Nein, nicht im Wald, sondern in Sachen IT.
Apple ist – entgegen aller und insbesondere der eigenen Erwartungen – so erfolgreich geworden, dass Internet-Server heute nicht mit 64bittigen Itaniums entwickelt werden, so wie Intel es seinerzeit wollte, sondern mit ARM-Prozessoren. Das ist eine Variante dessen, was in diesen iGadgets steckt. Handy-Chips!
“Times are changing”, hat Bob Dylan gesungen. Aber dessen Songs eignen sich nicht als Begleitmusik zum Waldlauf. Stones hingegen passen halt immer.
Microsoft versucht denn auch erneut ein “Start me up”. In Windows 8.1 – übernächste Woche soll das zu sehen sein – wird es wieder einen Start-Button geben. Ansonsten aber schaut dieses eigenartige Stück Software aus wie iOS.
Ein Apple-Clone mit Start-Button! Marx schreibt im 18. Brumaire des Louis Bonaparte, dass die Geschichte sich zweimal ereignet, “das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce”.
Freitag, 14. Juni, 5:35 Uhr, Perlacher Forst – so heißt der Grünwalder Forst im Norden. Die Playlist des Windows-Phone – Windows mobile, versteht sich, kein Blicker verwendet schließlich ein neues Microsoft-Betriebssystem – sie ist abgespielt: 15 Stones-Titel, zwei von Deep Puple, jeweils einmal Cream und Black Sabbath. Die Lunge pfeift angenehm. Die Beinmuskeln sind euphorisch ob der Entspannung.
Nur das Gemüt ist noch nicht so recht beruhigt: Kann sich Unsereins, der so massiv mit seinen Prognosen daneben gelegen hat, eigentlich noch als Blicker fühlen? – Er kann nicht! Aber dessen war man sich eigentlich ja schon immer bewusst.
Schwerer wiegt die Frage: Existiert überhaupt etwas Beständiges, etwas Verlässliches in dieser Welt, mit der man befasst ist? – Das Windows-Phone startet die Playlist erneut. Skip! “Start me up. If you start me up, I’ll never stop”, röhrt Mick Jagger.
Das isses. Das hat Bestand! Passt ja auch prima zu diesem wunderbaren Tag, der gerade beginnt.