Sommer ist! Mit allem, was dazu gehört: Sonne, Lebensfreude und vor allem einem äußerst lehrreichen Sommertheater. Eine moderne Adaption des Tartuffe wird heuer gegeben.
Die Urfassung stammt von Molière. Ins Internet-Zeitalter übertragen hat das Stück Ed Snowden, ein Moralist und Weltverbesserer wie sein klassisches Vorbild. Thema der Satire ist die Heuchelei, bei Molière jene zu Zeiten des Gottesgnadentums, in der aktuellen Fassung die in der Informationsgesellschaft, welche in der Regel politisch die Form einer Demokratie hat. Ihrem Ausstoß an Hypokrisie tut das aber offenkundig keinen Abbruch.
Sowohl der Tartuffe von 1664, als auch der Tartuffe over TCP/IP basieren auf Tatsachen. Ed Snowden hat das mittlerweile sogar amtlich: In der US-Army dürfen seit diesen Monat keine Web-Seiten des Guardian mehr angesurft werden, die über Prism berichten. Das sei keine Zensur heißt es, sondern die Soldaten sollten davor bewahrt werden, sich geheime Regierungsdokumente auf ihre Rechner zu laden, was strafbar wäre.
Man könnte vielleicht schon diese seltsame Fürsorge als Heuchelei bezeichnen. Auf jeden Fall aber ist sie ein Beleg dafür, dass derzeit zumindest einer die Wahrheit sagt, nämlich Ed Snowden. Offenkundig hat er dem Guardian authentische Dokumente übermittelt.
Alle anderen pflegen einen doch eher kreativen Umgang mit der Wahrheit. So etwa die Luftsicherheitsbehörden von Italien, Spanien, Frankreich und Portugal. Diese Staaten verweigerten der Maschine des bolivianischen Präsidenten Evo Morales – in der Ed Snowden dann doch nicht saß – den Überflug – aus “technischen Gründen”, wie es zuerst hieß. Auch dazu kann also moderne Technik, in dem Fall die Luftfahrttechnik, dienen, als faule Ausrede. Das ist neu!
Altbekannt ist hingegen die Argumentation des Schweizer Bundespräsidenten Ueli Maurer. Snowden könne in der Schweiz kein Asyl bekommen, sagt der, denn der Mann “hat das Gesetz seines Landes gebrochen”. Derartiges hatten in der Bundesrepublik früher immer DKPler erklärt, wenn die DDR wieder mal wieder einen Bürgerrechtler eingesperrt hatte. Es ist erstaunlich welche Karriere post-stalinistische Heuchelei auch in der Informationsgesellschaft noch machen kann.
Der deutsche Innenminister Hans-Peter Friedrich postuliert derweil das “Supergrundrecht” der Sicherheit. Das kommt gut angesichts eines Abhör-Skandals. Man tut ihm aber wohl kaum Unrecht, wenn man ihm unterstellt, dass er damit nicht Sicherheit vor der NSA meint, sondern eher Sicherheit à la NSA.
Wäre der Mann politisch nicht so blass, er hätte das Zeug zur Hauptrolle im modernen Tartuffe: Die NSA sammelt Verbindungsdaten – auch von Bundesbürgern. Die empört das natürlich. Also muss Friedrich in den USA darauf hinweisen ganz leise zwar – und dass er diese Empörung teilte, hat er nun wirklich nicht gesagt – aber immerhin irgendwelche Bedenken wird er schon pflichtschuldig vorgetragen haben.
Gleichzeitig will er dasselbe, und zwar nicht nur bei transnationalen Telekommunikationsverbindungen, sondern bei allen. Vorratsdatenspeicherung nennt sich das hierzulande. Des Bundesverfassungsgerichts (am 2. März 2010) hat es bedurft, um festzustellen, dass der hiesige Staat mit seinen Bürgern nicht so umspringen darf wie ein ausländischer Geheimdienst.
Auch Deutschland hat Geheimdienste, sogar mehr als die USA. Einer davon ist das Bundesamt für Verfassungsschutz. Zu dessen Aufgaben gehört die Verhinderung von Wirtschaftsspionage, also dessen, was die NSA wohl betreibt. Der Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen ruft denn auch in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung nach “entsprechenden Ressourcen” (zur Abwehr von Cyberspionage).
Heuchlerisch wäre es, wenn da einer sein eventuelles Versagen zum Anlass nähme, um Ressourcen zu fordern wie jene, über die die NSA verfügt. – Aber so lange der Schutz einer recht liberalen Verfassung, die immerhin keine Vorratsdatenspeicherung zulässt, durch einen Geheimdienst wahrgenommen wird, sollte man dessen oberstem Repräsentanten derartiges natürlich nicht unterstellen.
Und dann sind da noch die Internet-Konzerne, deren Datensammlungen größer sind als jene der NSA und umfassender selbst, als die gesammelten deutschen Vorratsdaten es wären. Darauf haben sie die NSA zugreifen lassen – erzwungener Maßen, wie sie jetzt unisono barmen. Heute Nacht haben Apple, Google, Facebook und Microsoft in einem offenen Brief zu mehr Transparenz aufgerufen. – Sie selbst haben eine derartige Transparenz bislang nur der NSA eingeräumt.
Na ja. – Mollières Tartuffe wurde bald nach der Uraufführung verboten. Bei Ed Snowden hält man sich mit Verboten gar nicht erst auf. Für Schnüffler aller Länder ist klar, dass die Wahrheit über Ihresgleichen aufzudecken, immer verboten sein muss.
Ed Snowden ist jetzt der politische Spielball von Wladimir Putin, eines Mannes, den nur sein alter Kumpel Gerhard Schröder für einen lupenreinen Demokraten hält. Er hat etwas Ungeheuerliches getan: Er hat den Heuchlern des Internet-Zeitalters weh getan. Denn, wie ein Landsmann von Mollière, der Marquis des Sade, der Experte fürs Wehtun, es so treffend formuliert hat: “Nichts kann so sehr verletzen wie die Wahrheit.”
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Meine Güte, Mr. "Killer", da haben Sie es doch glatt geschafft, den armen Molière zu killen. Erst nennen Sie ihn "Molire", dann gar "Mollire". Dann doch besser: Müller.
Ein kleiner Tipp: Bei großem Unwissen schadet ein kleiner Blick in Wikipedia nicht.
Das habe ich anfänglich auch gedacht....
Aaaaber
lesen Sie den Artikel mal auf Silicon.de als HTML-Version, dann stimmt alles bis auf die Schreibweise im vorletzten Absatz. Der Akzent wird in der Mail-Version nicht richtig codiert.
Gruss
G.Schnelle
lieber Herr Killer, der Tartuffevergleich ist großartig und zeugt von kulturhistorischem Wissen, einem Sinn für Sinn, den man nicht bei Wikipedia nachlesen kann. Sie wissen, wen Molière damals meinte, jetzt schauen Sie sich einmal die Rede an, die der derzeitige oberste Würdenträger bei seiner ERSTEN(vgl.religionsinstitutionelles Symbolranking) Reise nach Lampedusa gehalten hat. Ich hoffe, kein Tartuffe!