September-Rückblick: Liberales Finale
Die Partei, der einst Theodor Heuss angehörte, ist aus dem Bundestag gewählt worden. Und ein anderer Liberaler lebt im Exil an einem Ort, wo man Menschen mit seinen Idealen ansonsten nun wirklich nicht vermutet: in Moskau. – Ein ganz seltsamer Monat war das wieder.
Liberal, heißt, von feiner Gesinnung zu sein. Liberalität steht für Toleranz, Eigenverantwortung und Selbstbewusstsein. Warum also wird die Partei, die hierzulande als die liberale gilt, ausgerechnet jetzt auf den Müllhaufen der Geschichte geworfen? Zu einer Zeit, da der Mangel an Liberalität allenthalben zutage tritt?
Die Dunkelmänner unter den Staatsdienern wollen die Emanzipation des Untertanen zum Souverän nicht wahr haben. – Überhaupt haben sie’s ja nicht so mit dem Dienen, es sei denn man betrachtet Überwachung als persönlichen Service. – Und allein das publik gemacht zu haben, reicht offenkundig aus, um einen wie Ed Snowden wegen Hochverrats zu verfolgen. Sonst hat er schließlich nichts verraten, weder irgendwelche Zielkoordinaten, noch Klarnamen. Er vertritt lediglich die eigentlich naheliegende Auffassung, dass der Souverän ein Recht darauf hat, zu wissen, was die von ihm bezahlten Staatsdiener in seinem Namen so treiben.
“Es ist dem Untertanen untersagt, den Maßstab seiner beschränkten Einsicht an die Handlungen der Obrigkeit anzulegen”, formulierte einst Gustav von Rochow (1792 – 1847). Zu verlangen, dass dem Untertanen deswegen die Handlungen seiner Obrigkeit am besten gleich zu verheimlichen seien, war allerdings nicht einmal dieser berüchtigte preußische Polizeiminister reaktionär genug.
Liberalen stellen sich angesichts solcher Zustände eigentlich doch genug lohnende Aufgaben, sollte man meinen. Ein Geheimdienst nach dem anderen erweist sich als der NSA vielleicht technisch unter-, keinesfalls aber als moralisch überlegen. Warum also ist die Partei, die das Ideal der Freiheit im Namen trägt, in Deutschland seit Wochenbeginn Vergangenheit?
Obwohl sonntagabendliche Fernsehplauderrunden selten Erhellendes zur Klärung ernstgemeinter Fragen beizutragen haben, lieferte doch Günther Jauch diesmal einen Hinweis: Um die edle liberale Gesinnung zu personifizieren, musste er den hochbetagten Gerhart Baum ins Studio bitten und Schwarz-weiß-Filme über Theodor Heuss einspielen. Vorzeigbare Liberalität jüngeren Datums existiert offenkundig nicht hierzulande.
Zumindest nicht in der FDP. Man stelle sich nur einmal vor, Jauch hätte Niebel oder Brüderle geholt. Die vom präsidialsten aller Moderatoren angeordnete Staatstrauer ob des Dahinscheidens einer Gründungspartei der Republik hätte sich in noch engeren Grenzen gehalten als eh schon.
Gut, die Piraten hatten’s auch mal versucht. Und dass hierzulande eine Zensur-Infrastruktur aufgebaut wird, haben sie immerhin verhindert. Aber ansonsten sollte ordentliche Liberale halt die Sorge um die Freiheit umtreiben und nicht der gruppendynamische Frust.
Wie also kann es weitergehen mit einem Liberalismus, der bis auf den Westerwelle und den Ponader gekommen ist? – Man muss es wohl halten wie Ed Snowden und solch wichtige Angelegenheiten wie die Liberalität in die eigenen Hände nehmen. Toleranz geht eben nur in Eigenverantwortung und mit Selbstbewusstsein.
Auf liberale Parteien verlassen kann man sich jedenfalls dabei nicht. Das hat sich diesen Monat auch wieder im europäischen Parlament gezeigt. Für den EU-Menschenrechtspreis vorgeschlagen wurde Ed Snowden nicht von der liberalen Fraktion, sondern von den Linken und Grünen.