Zukunft der Software: “Weniger ist mehr”

silicon.de: Man kennt das ja von Word oder Excel: Es gibt wahnsinnig viele Funktionen, in denen man sich kaum zurechtfindet. Aber wenn man eine bestimmte Vorstellung hat, kann man die nicht umsetzen.

Wengorz: Auf der einen Seite wird Software immer leistungsfähiger und komplexer, was viel Know-how für Installation, Implementierung, Wartung und Anwendung erfordert. Auf der anderen Seite sollen Fachanwender zunehmend eigenständig auf Softwarelösungen zugreifen und diese nutzen können – und dafür muss Software vor allem einfach zu bedienen sein.

Dieser Konflikt ist noch weitgehend ungelöst: Funktionsvielfalt wird oft schon per se als Hemmschuh angesehen und lässt mentale Barrieren entstehen, insbesondere aufseiten derjenigen Fachanwender, die die Software nur für ein begrenztes Themenspektrum nutzen.

silicon.de: Die meisten Unternehmen können oder wollen nicht in Schulungen investieren oder einen Experten intern heranzüchten, meist fehlt auch einfach die Zeit für die nötige Auseinandersetzung mit einer Software.

Wengorz: Mitarbeiter haben heutzutage oft nicht mehr ausreichend Zeit für Softwareschulungen – und schon gar nicht zum Auffrischen oder gar Ausbauen der Kenntnisse. Das bedeutet: Die Potenziale von Software werden häufig nicht einmal im Ansatz genutzt – oder sie bleiben einem exklusiven Nutzerkreis vorbehalten.

Das aber kann sich eigentlich keine Seite mehr leisten – weder der Softwareanbieter und schon gar nicht die anwendenden Unternehmen. Gerade Letztere sind ja darauf angewiesen, dass auch auf Arbeitsebene die Prozesse schneller und effizienter laufen – und dafür brauchen sie die Unterstützung innovativer Softwarelösungen.

silicon.de: Wie sieht es denn bei den aktuellen Megatrends, etwa bei Big Data, aus? Stehen wir da vor ähnlichen Problemen?

Wengorz: Die Situation ist zumindest vergleichbar. Was mit Software heute möglich ist, versetzt auch Fachleute immer wieder in Erstaunen – Big Data Analytics zum Beispiel schafft Dinge, die noch vor Jahren mit dem Vorläufer Business Intelligence völlig undenkbar waren. Die entsprechenden Werkzeuge sind allerdings noch zu oft auf IT-Fachleute zugeschnitten. Wenn Big Data wirklich den versprochenen Nutzen bringen soll, müssen IT-Ressourcen effizient genutzt werden, die Experten in den Fachabteilungen schnell Zugriff auf die Daten haben und diese einfach auswerten können, ohne dafür ein IT- oder Statistikstudium absolviert zu haben.

Um der Komplexität großer und teilweise unstrukturierter Datenmengen aus unterschiedlichsten Quellen gerecht zu werden, benötigen Unternehmen Lösungen, die die erforderliche hohe Performance und Skalierbarkeit bereithalten. Ansonsten besteht die Gefahr, dass zwar ein immens hohes Volumen an Daten gesammelt und vorgehalten wird, dieses jedoch nicht in aussagekräftige Information überführt wird und somit wertvolles Geschäftspotenzial verloren geht.

silicon.de: Es dürfte jedoch schwierig sein, das Konzept auf den Kopf zu stellen, denn viele Nutzer haben eben einfach ganz unterschiedliche Aufgaben und wollen daher auch ganz andere Dinge mit einer Software oder Lösung anstellen.

Wengorz: Der Markt verlangt nach Angeboten, die auf die Bedürfnisse der Kunden zugeschnitten sind. Es geht dabei um nichts weniger als um die Abkehr von komplexen Softwaresystemen hin zu kleinen Bausteinen oder Apps mit begrenztem und klar definiertem Funktionsumfang.

silicon.de: Wo sehen Sie denn mögliche Alternativen in der Bereitstellung von Software? Wären App-Stores oder auch On-Demand-Angebote oder eine Kombination aus beiden nicht eine Möglichkeit?

Jürgen Wengorz, Manager für den Bereich IT Solutions bei SAS Deutschland: “Der Markt verlangt nach Angeboten, die auf die Bedürfnisse der Kunden zugeschnitten sind. Es geht dabei um nichts weniger als um die Abkehr von komplexen Softwaresystemen hin zu kleinen Bausteinen oder Apps mit begrenztem und klar definiertem Funktionsumfang.”

Wengorz: Diese stellen sicherlich mögliche Alternativen dar. Denkbar wäre in diesem Kontext beispielsweise ein Unternehmens-App-Store, der die bestehende Palette an Anwendungen für die Nutzer im Unternehmen bereithält und flexibel nutzbar ist.

Wichtig ist, dass die Anwendungen oder Apps bestimmte Bedingungen erfüllen. Sie sollten über einen modularen Aufbau sowie eine überschaubare Zahl von Funktionen verfügen, on demand bestellbar sein, auf mobilen Endgeräten laufen und mobile Architekturen (HTML5 etc.) unterstützen. Hier wäre im Vorfeld zu klären, welches die zentralen Funktionen sind, die genutzt werden sollen.

silicon.de: Führen wir den Gedanken weiter: Das Anwenderunternehmen bezieht dann keine vollständige Lösung mehr, sondern nur noch den Teil, der relevant ist. Dann müsste sich aber doch eine Menge ändern, sowohl bei den Anwendern wie auch bei den Anbietern.

Wengorz: Ein solcher Ansatz erfordert selbstverständlich neue Strukturen – und zwar nicht nur in der IT. Prozessteilnehmer auf beiden Seiten – Softwareanbieter wie Nutzer – müssen sich mit den Herausforderungen auseinandersetzen, die die Evolution gewachsener Systeme und der Aufbau von etwas völlig Neuem mit sich bringen. Das gilt für die Technologieanbieter, deren Systeme aufeinander aufbauen, aber auch für die Unternehmen, in denen vielfach ein Wildwuchs an Systemen und Anwendungen besteht. Diese müssten, um Software-on-Demand zu ermöglichen, ihre Infrastrukturen so ändern, dass die Apps darauf zugreifen können.

silicon.de: Bei Unternehmenslösungen aber sind es doch meist Fachanwender, die darauf zugreifen?

Wengorz: Eine neue Herangehensweise bei der Anwendung von Software würde auch bei Management und Belegschaft eine Neuordnung erzwingen. Denn: Eine Verlagerung der IT-Kompetenzen in die Fachbereiche bedeutet automatisch, dass dort auch mehr Know-how und Wissen entstehen sowie mehr Analysekompetenz. Den Fachabteilungen muss damit mehr Freiheit überlassen werden – sonst laufen die Vorteile einer schnell und einfach zu bedienenden Software ins Leere.

silicon.de: Werden also aus Ihrer Sicht Konzepte wie das von Force.com – nur um ein Beispiel zu nennen –  mehr Gewicht bekommen?

Wengorz: Die Nachfrage nach Cloud-Angeboten oder die Bereitstellung von Applikationen als Service wird voraussichtlich weiterhin zunehmen, denn diese spielen einer „häppchenweisen“ modularen Nutzung in die Hände, insofern als die Software nicht mehr on premise installiert werden muss, sondern nach Bedarf abgerufen werden kann – und zwar zu jeder Zeit und von jedem Ort aus. Das kommt selbstverständlich auch dem zunehmenden Einsatz mobiler Endgeräte der Mitarbeiter im Geschäftsalltag entgegen.

silicon.de: Wenn alle mobil arbeiten, wäre der nächste Schritt das Arbeiten von beliebigen Orten aus. Sind künftig alle Angestellten im Homeoffice?

Wengorz: Der Trend zum mobilen Arbeiten, unter anderem aus dem Homeoffice, hat vor Jahren begonnen und wird das Arbeitsleben voraussichtlich deutlich umkrempeln. Damit ändern sich ganze Formen der Zusammenarbeit und der Kommunikation im Unternehmen.

Für die Softwareanbieter ändert sich aber fast noch mehr: Mit dem Beginn der Post-PC-Ära wären Software Vendors auch gleichzeitig Service Provider durch On-Demand-Konzepte. Von ihnen wird zukünftig – sollten sich die beschriebenen Trends durchsetzen – mehr Geschwindigkeit, aber auch mehr Kreativität bei der Entwicklung von Anwendungen erwartet. Dabei können diese Anwendungen – analog zu Apples App-Konzept – durchaus auch von externen Entwicklern stammen und nach entsprechenden Qualitätsprüfungen ins Portfolio übernommen werden.

silicon.de: Naja, solche Prognosen hat man schon vor einigen Jahren gehört. Sun Microsystems und IBM waren die Ersten und meines Wissens bislang auch die Einzigen, die konsequent auf Homeoffice gesetzt haben. IBM will sich darüber hinaus noch weiter reichende neue Organisationsformen verschaffen. Da wird sich kulturell noch viel ändern müssen.

Wengorz: Auf dem Weg zu Software von allen für alle sind vielversprechende Ansätze durchaus schon erkennbar: Lösungen wie Visual Analytics von SAS (für den Analysebereich) versetzen Fachanwender bereits heute in die Lage, eigenständig und ohne IT-Unterstützung Analysen zu erstellen – und dies ist eine elementare Voraussetzung für die Akzeptanz von Software sowie für das Arbeiten mit dieser von unterwegs oder im Homeoffice. Die dahinter stehenden Berechnungen für solche Lösungen sind äußerst komplex, die hohe Nutzerfreundlichkeit sorgt jedoch dafür, dass die Anwender davon nichts mitbekommen. Möglicherweise erleben wir gerade den Beginn einer Softwarerevolution – aus erster Hand und in der ersten Reihe.

Redaktion

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  • Ihren Ansatz einzelne Funktionalitäten einfach dazu zu ordern finde ich ja auch ganz richtig. Aber zu meinen, eine Firmensoftware wie in einem App Store von Apple oder Google zusammen bauen zu können halte ich für Nonsens. Man sieht es an dem ganzen Wildwuchs, für jede kleine nützliche Funktion eine andere App.
    Der richtige Weg ist meiner Meinung nach sich mal wieder auf Benutzerfreundlichkeit und Ergonomie von Software zu konzentrieren. Vor Jahren gab es mal ganz nette Ansätze dazu.
    Über das Zukaufen von Funktionen eine Oberflächengestaltung zu konfigurieren ist vielleicht ein Ansatz. Dem Anwender die Möglichkeit zu geben seine Prozesse einfach und effizient zu gestalten, darüber sollten die Softwareriesen wie SAP, Oracle, Microsoft und Konsorten mal nachdenken. Die Software ist das Werkzeug. Die Wertschöpfung passiert wo anders.

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