Big Data: “Egal wie groß und aus welcher Branche”

Alle Branchen und jedes Unternehmen wird über kurz oder Lang neue digitale Wege gehen müssen, wenn es am Markt Bestand haben will, glaubt Dr. Wolfram Jost, CTO der Software AG. Quelle: Software AG

Wolfram Jost ist seit Mitte 2010 Mitglied des Vorstandes der Software AG und verantwortet als CTO Forschung und Entwicklung des Unternehmens. Der Diplomierte Kaufmann und Wirtschaftsinformatiker kam durch die Übernahme von IDS Scheer zur Software AG.

silicon.de: Herr Jost, an anderer Stelle haben sie erklärt, Big Data ist keine Option, sondern ein Muss. Ich vermute, daran hat sich auch in den vergangenen Monaten nichts geändert?

Jost: Im Gegenteil. Der Druck auf die Unternehmen, Big Data Lösungen zu implementieren, hat sich seit dieser Zeit noch verstärkt. Grund ist die zunehmende Digitalisierung sämtlicher Unternehmensprozesse. Durch die fortschreitende Digitalisierung werden die Unternehmen von riesigen Datenmengen überschwemmt, und nun gilt es, aus der nahezu unendlichen Vielzahl und Vielfalt an Daten, die für die Entscheidungsfindung relevanten Zusammenhänge schnellstmöglich herauszufiltern. Die klassischen Verfahren der Datenerfassung, -speicherung und –analyse reichen da bei weitem nicht mehr aus. So wurden beispielsweise die sich heute im Einsatz befindlichen relationalen Datenbanksysteme vor mehr als zwanzig Jahren entworfen und damit zu einer Zeit in der die Ausgangssituation eine völlig andere war.

silicon.de: Natürlich lassen sich aus großen Datenmengen und natürlich aus den richtigen Daten interessante Erkenntnisse erzielen. Aber hängt denn wirklich der Erfolg jedes Unternehmens von dem Einsatz von Big Data ab. Gibt es Unternehmensgrößen oder Branchen, die nach wie vor weitermachen können wie bisher?

Jost: Nein, ein Unternehmen – egal wie groß und egal aus welcher Branche – wird sich nur dann lange konkurrenzfähig am Markt halten können, wenn es in diesen Bereich investiert. An der Digitalisierung geht kein Weg vorbei, sowohl im privaten als auch im wirtschaftlichen Bereich. Der intelligente Umgang mit geschäftskritischen Daten wird zu einem Wettbewerbsfaktor für alle Unternehmen. Extrem wichtig dabei sind Technologien zur Datenanalyse in Echtzeit. Schnelligkeit ist das entscheidende Wettbewerbskriterium, egal, zu welcher Branche ein Unternehmen gehört und wie groß es ist. Neben den Technologien ist aber auch der Mensch gefragt. Die Analyse kann zwar technologisch unterstützt werden, aber die Interpretation der Ergebnisse und damit die Entscheidungsfindung obliegen weiterhin dem Menschen.

silicon.de: Ich kenne Unternehmen, die aktuell mit großem Aufwand Daten sammeln, ohne diese derzeit gezielt auszuwerten. Irgendwann, so die Annahme, wird man einen Weg finden, diese Informationen in einen Wettbewerbsvorteil umzumünzen.

Jost: Das ist in der Tat der Fall. Unternehmen starten mit dem Sammeln von Daten, da dies der einfachere Teil ist. Das ist schon mal ein guter Schritt. Aber er reicht bei weitem nicht aus. Das wäre so, als würde man Musikdateien zwar downloaden, aber nicht anhören. Unternehmen müssen den gesamten Data Lifecycle, alos sammeln, speichern, abfragen und analysieren – implementieren. Nur dann entwickelt das Phänomen Big Date sein volles Potenzial.

silicon.de: Das zu analysierende Datenvolumen wird ja in den nächsten Jahren vermutlich nicht zurückgehen

Jost: Das Gegenteil wird der Fall sein. Sie können davon ausgehen, dass in Zukunft jedes Gerät, das mehr als fünfzig Euro kostet, intelligent wird. Das heißt, es bekommt einen Sensor und eine Programmierung, so dass es Daten senden und empfangen können wird. Häufig wird diese Kommunikation über das Internet abgewickelt werden. Der Datenumfang wird also weiter exponentiell steigen. Nur wer sich dieser Tatsache stellt, wird im Wettbewerb überleben. Unternehmen sollten sich jetzt mit Technologien und Prozessen beschäftigen, die ihnen helfen, mit allen Aspekten von Big Data umzugehen – Umfang, Vielfalt und Schnelligkeit.

silicon.de: Können Sie uns bitte ein praktisches Beispiel geben, wie sich Big Data sinnvoll einsetzen lässt?

Jost: Der Finanzmarkt ist ein eindrucksvolles Beispiel, wie Ereignisströme in Echtzeit identifiziert und analysiert werden, um daraus Muster zu erkennen, die nicht der Norm entsprechen. Betrugserkennung wird somit innerhalb von Millisekunden möglich, noch in dem Moment, in dem zum Beispiel eine Kreditkarte eingelesen wird. Oder Börsenanomalitäten: mit den heute möglichen Technologien hätte der Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008 mit Hilfe der richtigen Alarmsysteme und richtiger Interpretation vielleicht verhindert werden können.

silicon.de: Natürlich lassen sich mit Big Data auch Erkenntnisse gewinnen, die zu einem Aufschrei bei Datenschützern führt, oder die zumindest sagen wir mal, diskussionswürdig sind.

Jost: Jede technologische Weiterentwicklung birgt auch Risiken in sich. Das ist ein Naturgesetz. Das war bei der Erfindung des Autos oder des Flugzeugs auch nicht anders. Das ist aber kein Grund, diese Entwicklungen zu verdammen. Vielmehr müssen entsprechende gesetzliche Regelwerke erstellt, erlassen und wirksam umgesetzt werden. Das Thema Sicherheit muss und kann hierdurch wirksam adressiert werden. Tatsache ist aber auch, dass es eine absolute Sicherheit nicht geben wird.

Aber wir Menschen müssen uns auch generell überlegen, was wir bereit sind, für den technologischen Fortschritt und der damit verbundenen Zunahme an Wohlstand und Lebensqualität zu “bezahlen”. Die Sicherheit privater Daten im Allgemeinen und der Schutz der Privatsphäre im Speziellen wird sich in einer digitalen Gesellschaft anderes darstellen, als das noch vor zwanzig Jahren der Fall war. Die Digitalisierung und die damit verbundenen Vorteile gibt es nicht zum “Nulltarif”.

silicon.de: Lassen wir die politischen Fragen mal außen vor. Wenn ein Unternehmen umfassende Analyse-Technologien nutzt, muss man da nicht auch die entsprechenden organisatorischen Voraussetzungen für die Weiterverarbeitung und Verwertung dieser Informationen schaffen?

Jost: Das ist eine der wesentlichen Voraussetzungen, die sich in erster Linie darin abbildet, dass eine neue Spezies von Experten gebraucht wird. Die sogenannten “Data Scientists” beziehungsweise “Algorithmiker” müssen erstens in die gesamte Unternehmensorganisation integriert werden und nicht nur in die IT-Abteilung. Darüber hinaus ist eine weitere organisatorische Voraussetzung, dass die Analyseergebnisse allen Unternehmensebenen zur Verfügung gestellt werden und nicht nur den Führungskräften. Man spricht auch von einer “demokratischen” Datenauswertung.

silicon.de: Können Sie für unsere Leser den Begriff “Intelligent Business Operation” näher erläutern?

Jost: Der Begriff wurde ursprünglich von Gartner geprägt und beschreibt einen Arbeitsstil, der durch operationale Intelligenz in Echtzeit geprägt ist und schnelle Analysen mit den traditionellen Aktivitäten des täglichen Geschäfts im Unternehmen verbindet. Klassische Business Analytics-Tools liefern Analysen zeitverzögert, während IBO aktuelle Daten aus dem laufenden Betrieb abgreift und zeitnah zur Verfügung stellt.

Nachgelagerte Auswertungen sind damit zwar nicht veraltet, werden aber ergänzt durch kontinuierliche Geschäftsanalysen in Echtzeit, die wiederum intelligente Entscheidungen ermöglichen. Unternehmen haben damit ganz neue Möglichkeiten, Daten zu analysieren und Live-Einblicke in das laufende Geschäft zu gewinnen – um viele Dinge besser zu tun.

silicon.de: Immer mehr Anbieter sprengen mit entsprechenden Produkten vor, denn nach wie vor verlangen Big Data Projekte viel Handarbeit. Ich vermute mal die Software AG, die ja auch in den vergangenen Monaten fleißig interessante Unternehmen zugekauft hat, macht da keine Ausnahme?

Jost: Richtig, und der Markt ist bereits in einer Konsolidierungsphase. Wir haben im vergangenen Jahr zu diesem Thema eine Studie gestartet, die zu dem Ergebnis kam, dass viele Unternehmen noch unsicher sind, welche Tools sie wählen sollen. Mit unserer Akquisitionsstrategie haben wir darauf abgezielt, genau die Technologien zu erwerben, die sich nahtlos in eine umfassende Plattform für den Umgang mit Big Data integrieren lassen. Diese integrierte Plattform haben wir jetzt auf der CeBIT 2014 vorgestellt, und das Interesse unserer Kunden bestätigt uns in unserer Strategie.

silicon.de: Noch ein paar Technische Aspekte. Wie ermöglicht die neue Big Data Platform von Software AG die Analyse von Datenmassen (data at rest) und Datenströme (data in motion) zur selben Zeit?

Jost: Die Technologie basiert auf den beiden Produktfamilien Terracotta und Apama, die es erlauben, gespeicherte Datenmassen (data at rest) und Datenströme (data in motion) effizient und skalierbar zu verwalten und zu verarbeiten. Mithilfe des Real-Time Analytics Add-ons Presto können Analyseresultate dann schnell visualisiert und dargestellt werden. Aufgrund der HTML 5-Unterstützung steht die Visualisierung auch auf mobilen Endgeräten zur Verfügung. Durch die Verknüpfung von IBO und Big Data Management ist die IBO-Plattform in der Lage, riesige Datenmengen und Datenströme nicht nur in Echtzeit zu analysieren. Sie erkennt auch Trends und Abweichungen von bekannten Mustern und bietet Möglichkeiten, historische Daten und Kontextdaten in die Analysen einzubinden. Außerdem ermöglicht die neue Plattform die Analyse und Visualisierung von Prozess-, Infrastruktur- und Geschäftsdaten gleichzeitig. Die gewonnenen Einblicke und die abgeleiteten Informationen können mit Handlungsmaßnahmen verbunden werden und somit direkten Einfluss auf operative Geschäftsabläufe nehmen.

silicon.de: Welche Rolle spielt denn bei der Datenverarbeitung die Cloud? Bei Transaktionalen Systemen beispielsweise sehe ich großes Interesse aber wenig echte Projekte.

Jost: Die Frage, ob man die Big Data Software lieber als Cloud Service mietet oder als Softwareprodukt kauft wird von Unternehmen weltweit unterschiedliche entschieden. Die USA sind hier – wie so häufig – schon einen Schritt weiter. Hier wird neue Software verstärkt als Cloud Service gemietet. In Europa und speziell in Deutschland ist das noch nicht so der Fall. Hier bevorzugen die meisten Unternehmen noch das traditionelle Modell des Softwarekaufs. Beide Modelle haben Stärken und Schwächen. Aus diesem Grunde bieten wir als Software AG den Unternehmen beide Varianten zur Auswahl an. Letztendlich ist es somit die Entscheidung unserer Kunden, welches Modell sie wählen.

silicon.de: Herr Jost, wir danken für das Gespräch.

Redaktion

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