Kostenlose Dienste bezahlt der Nutzer mit seinen Daten

Der britische Designer und Netzaktivist Aral Balkan hat im Rahmen einer Veranstaltung des deutschen Software-Herstellers Open-Xchange in München Internetkonzerne wie Facebook und Google massiv für deren Umgang mit Anwenderdaten kritisiert. Während er bei Google primär die Datensammelwut des Suchmaschinenunternehmens verurteilt, beschuldigt er Facebook vor allem der Nutzermanipulation.

Aral Balkan auf dem Open Xchange Summit 2014 in München (Screenshot: ITespresso bei Vimeo).

In der Eröffnungsrede des Open Xchange Summit hinterfragte Balkan etwa, warum Facebook 19 Milliarden Dollar in eine Messaging-App wie WhatsApp investiert hat. Der Start-up-Gründer vermutet, dass sich das Social Network mit der Akquisition nicht nur die Handy-Nummern von inzwischen über 600 Millionen Nutzern weltweit erkaufen wollte, sondern auch das Recht, deren Chat-Konversationen zu belauschen, um weitere Informationen über die Anwender zu erlangen.

Noch schärfer kritisierte Balkan jedoch das Ende Juni publik gewordene Facebook-Forschungsprojekt, im Zuge dessen das Unternehmen den News Feed von insgesamt 689.003 englischsprachigen Nutzern manipuliert haben soll, um herauszufinden, wie sich positive beziehungsweise negative Ereignisse über Soziale Netzwerke verbreiten und auf die Stimmung der Nutzer auswirken. Im Rahmen dieses Experiments wurden den Anwendern dabei auch einige Meldungen vorenthalten.

Empört zeigte sich Balkan vor allem darüber, wie das Soziale Netzwerk auf die Entrüstung der Nutzer reagierte, die sich im Anschluss an die Veröffentlichung des Forschungsprojektes in der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Science einstellte: “Facebook entschuldigte sich nicht für das Experiment selbst oder die Forschungen in diesem Rahmen, sondern nur für die Art und Weise, wie der wissenschaftliche Beitrag das Experiment beschrieben und die Nutzer dadurch beunruhigt hat. Facebook kann sich auch gar nicht dafür entschuldigen, da es sich nur um eines von vielen Forschungsprojekten handelt, die sie tatsächlich veröffentlichen. Sie tun das die ganze Zeit, es ist ihr Geschäftsmodell.” Das Social Network habe dabei jedoch die Emotionen der Nutzer manipuliert, was man nicht auf die leichte Schulter nehmen dürfe.

Aral Balkan erkennt ein ähnliches Geschäftsmodell auch bei Google. Wie Facebook oder Twitter böte der Internetkonzern freie, aber geschlossene Produkte und Dienste an, für die der Nutzer jedoch einen beträchtlichen Teil seiner Daten abgeben und einen wesentlichen Teil seiner Privatsphäre aufgeben müsse. Als Beispiel nennt der Netzaktivist Gmail, bei dem Googles Rechner und Algorithmen die E-Mails der User mitlesen.

Gmail ist wie Passivrauchen

Laut Balkan ist dies zudem keine freie Entscheidung, die der Anwender selbst beeinflussen könnte: “Google liest ja nicht nur die E-Mails des Gmail-Nutzers mit, sondern auch jene Nachrichten, die jeder andere Anwender an den Nutzer schickt. Folglich spioniert Google auch die E-Mails aller Freunde und Arbeitskollegen aus. Setzt man eine benutzerdefinierte Domain ein, bekommen diese nicht einmal mit, dass Google ihre E-Mails liest. Es ist wie mit dem Rauchen und dem Passivrauchen. Es betrifft auch die Menschen um den Gmail-Nutzer herum.”

Aral Balkan auf dem Open Xchange Summit 2014 während seiner Keynote mit dem Titel “Free is a Lie” (Bild: Open-Xchange).

Google brauche jedoch diese Daten, damit seine freien Dienste und somit das Unternehmen selbst wachsen könnten. Der Internetgigant habe einmal klein angefangen – als Suchmaschine, die nicht einmal Nutzertracking betrieb. Heute ist es Balkan zufolge allerdings ein ganz anderes Unternehmen, das unzählige Dienste offeriert.

Neben Gmail zählt er dabei etwa auch den Dienst Picasa zur Bildarchivierung- und Verwaltung auf: “Google lässt hier Algorithmen zur Gesichtserkennung über die Bilder laufen, um zu verstehen, um wen es sich bei dem Nutzer und seinen Freunden handelt. Damit verdienen sie ihr Geld.”

Auch im Online-Speicherdienst Google Drive wird Balkan zufolge Spionage betrieben: “Google durchsucht dort alle Dateien des Nutzers, um ihn besser kennenlernen und verstehen zu können.” Für denselben Zweck überwache der Konzern auch Chats auf Google Hangouts.

Darüber hinaus gibt der Nutzer nach Angaben von Balkan auch freiwillig Daten heraus, die Google ansonsten nur unter großem Aufwand bekommen könnte. Als Beispiel dafür nennt er etwa den Captcha-Dienst ReCaptcha, der unter anderem sicherstellt, dass eine bestimmte Eingabe von einem Menschen und keinem Bot vorgenommen wurde. Auch das Augmented-Reality-Spiel Ingress der Google-Tochterfirma Niantic Labs, das für Android und iOS zur Verfügung steht, eigne sich beispielsweise für die Erhebung schwer zu bekommender Daten über die Laufmuster von Fußgängern.

Will man die ungebremste Datensammelwut Googles dadurch stoppen, dass man die Nutzung seiner Dienste beendet, so führt das Balkan zufolge nicht zwangsläufig zum persönlichen Sieg über den Internetkonzern. Denn Google könne immer noch auf Hardware zurückgreifen, die es dem Anwender bereitstellt: “Google gibt dem Nutzer einfach ein Nexus-Smartphone- oder Tablet an die Hand beziehungsweise stellt ihm Chromebooks zur Verfügung, die ja nun auch immer mehr in unsere Schulen vordringen. Dort setzt Google einfach seine hauseigenen Benutzernamen und Passwörter für den Anmeldevorgang auf dem Gerät ein. Dann ist es egal, welchen Dienst man nutzt. Google erhält auf diese Weise schließlich noch immer einige Daten des Anwenders.”

Das Geschäftsmodell der Überwachung

200 Prototypen von Project Tango hat Google im Frühjahr produziert (Screenshot: YouTube-Video “Say hello to Project Tango!)

Doch auch ein Boykott der Google-Geräte bringe nicht notwendigerweise den gewünschten Effekt. Als nächsten Schritt in Googles Sammeltaktik nennt Balkan nämlich “die Herstellung der Konnektivität zum Google-Netzwerk”. Hierfür werde etwa Google Fiber genutzt – ein Projekt zum Aufbau eines Hochgeschwindigkeits-Glasfasernetzes, mit dem User Gigabit-Zugriff auf das Internet erhalten: “Google gibt dem Anwender hier abermals Benutzername und Passwort an die Hand, um sich schnell und einfach mit dem Internet verbinden zu können”, erklärt der Netzaktivist die vermeintliche Strategie dahinter. In dem Zusammenhang bezeichnet Balkan Googles Project Loon, das in 20 Kilometern Höhe Internet via Ballons in entlegene Gegenden der Welt bringen soll, zudem als “Neokolonialismus”.

Google benötigt Balkan zufolge jedoch nicht nur Daten über die Nutzer, sondern auch Informationen über deren Umwelt. Als Beispiele führt der Designer hier Dienste wie Google Earth, Google Maps und Google Street View an. Auch für Orte, an denen der Internetkonzern nicht ohne Weiteres hinkomme, etwa in das Haus eines Nutzers, habe Google eine Lösung namens Project Tango parat. Dabei handelt es sich um ein Smartphone mit spezieller Hardware, das 3D-Kartierungen vornehmen kann und dabei alle in einem Raum befindlichen Objekte erfasst.

Im Allgemeinen bezeichnet Aral Balkan “das Geschäftsmodell der freien Dienste” als “das Geschäftsmodell der Überwachung”. Der Anwender sei für diese “Spyware 2.0” dabei nicht nur die Ware, die verkauft wird. Vielmehr seien Daten die Rohstoffe, aus denen ein detailliertes Nutzerprofil respektive ein virtuelles Selbst extrahiert werde.


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Andre Borbe

Andre ist Jahrgang 1983 und unterstützte von September 2013 bis September 2015 die Redaktion von silicon.de als Volontär. Erste Erfahrungen sammelte er als Werkstudent in den Redaktionen von GMX und web.de. Anschließend absolvierte er ein redaktionelles Praktikum bei Weka Media Publishing. Andre hat erfolgreich ein Studium in politischen Wissenschaften an der Hochschule für Politik in München abgeschlossen. Privat interessiert er sich für Sport, Filme und Computerspiele. Aber die größte Leidenschaft ist die Fotografie.

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  • Die Hysterie ist doch reichlich unehrlich und dient doch eher der persönlichen Profilierung sogenannter bzw. sich selbst ernannter "Netzaktivisten".

    Kein Anwender wird dazu gewzungen, Produkte von Google u.a. zu benutzen. Das diese Unternehmen angeblich "gegen den Willen" der Anwender Daten erfassen, die nicht auch andere erfassen können, kann nur dort möglich sein, wo sich Netzanwender bis heute noch nicht mit den grundlegenden Funktionsprinzipien von Web und Co. vertraut gemacht haben, was ich nach fast zwanzig Jahren privater Internetnutzung in Deutschland für bezeichnend halte. Angesichts der Intensität und Intensivität, mit der Menschen heute das Web nutzen ist erstaunlich, welch geringes Interesse und persönliche Ressourcen der grundlegendsten Allgemeinbildung über das Medium entgegengebracht wird. Es ist ja nicht so, als ob die Anwender keine paar Stunden Zeit hätten, um sich auch nur einmal mit der Funktion des Netzes auseinanderzusetzen, während sie fast schon Jahre ihrer Lebenszeit für dessen "Konsum" aufwenden. Das Internet war eben nie ein auf reinen Konsum beschränktes Medium und sollte demnach auch nicht, um der Faulheit einiger Rechnung zu tragen, vom Staat in diese Richtung gestutzt werden, sei es technisch wie juristisch.

    • "Hysterisch" trifft die aktuelle Diskussion in Deutschland, glaube ich, mitunter ganz gut. Manche Dienste nutze ich eben nicht oder nur sehr rudimentär, seien sie auch noch so verlockend. Aber das will der Anwender ja auch wieder nicht.

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