IRQ 14-11: Es reicht!

#Aufschrei, Hashtag, Rainer Brüderle Edward Snowden Prism

silicon.de stellt die Rubrik “Rückblick” zum Jahresende ein. Unser Kolumnist Achim Killer nimmt das zum Anlass zu einem – ausnahmsweise sehr persönlichen – Rückblick auf – na ja, den silicon.de-Rückblick halt.

Um es vorwegzuschicken: Kein vogelfreier Zeilenschreiber gibt einen Auftrag zurück, der im Wesentlichen darin besteht, Abends eine Flasche Cabernet Sauvignon aufzumachen, sich davon zu ein paar absonderlichen Gedanken anregen zu lassen und die dann möglichst gefällig in Worte zu kleiden. Nein, an mir liegt es diesmal nicht: silicon.de spart die Rubrik ein.

Recht besehen aber – und was bleibt einem schon anderes übrig, als gefällte Entscheidungen recht zu besehen – könnte man auch sagen: Es reicht!

Es ist schließlich einiges passiert, seit der silicon.de-Wochenrückblick am 6. November 2000 – damals noch unter der Überschrift: Backslash – zum ersten Mal erschien. Backslash war ein schöner Name. Darin klang an, dass unter dieser Rubrik nach wieder einmal fünf grauen Werkeltagen mit all ihren kleinen und großen Gemeinheiten zurückgeschlagen wurde, und zwar mit der aller brutalsten Gewalt, die einem friedfertigen Schreiber zu Gebote steht: einem bisschen Satire und Ironie halt.

Und dann schlug gleich der Leser zurück. “Bitte, so einen Mist nicht per Mail verbreiten”, stand in einem der ersten Kommentare zum silicon.de-Newsletter mit meinem Rückblick. Das habe ich mir sehr zu Herzen genommen und deshalb später zwei Jahrgänge in Buchform per Papier verbreitet.

Anderen hat die Rubrik besser gefallen. Zu meinem größten Erstaunen waren darunter auch Parteigliederungen sämtlicher Bundestagsfraktionen und sogar die jetzt nicht mehr im Bundestag vertretene Partei. Sie alle haben schon Rückblicke auf ihre Web-Seiten kopiert. Einfach so, wie man’s wohl macht im Internet.

Bei mir nachgefragt, ob sie einen Artikel übernehmen darf, hat nur die Sozialistische Zeitung, Köln. Aus Wikipedia erfährt man, wer da dahintersteht: Die Publikation wurde als Organ der Vereinigten Sozialistischen Partei Deutschlands gegründet, welche wiederum ein Zusammenschluss der trotzkistischen Gruppe Internationaler Marxisten und der Albanien-orientierten KPD/ML war. – Es tut gut, zu wissen, dass es hierzulande wenigstens noch eine politische Kraft gibt, die das bürgerliche Eigentum auch im Internet-Zeitalter hochhält.

Am schönsten waren aber die Rückblicke, die nicht erschienen sind. 2010 war das. Ein Chefredakteur hatte mir signalisiert, wie er sich ausdrückte, dass es so nicht ginge. Das fand ich ungehörig. Wahrscheinlich hat es über 100.000 Jahre Kulturgeschichte bedurft, um ein so prächtiges Kommunikationsprotokoll wie die menschliche Sprache zu entwickeln. Da sollte man die Signale in den Niederungen der M2M-Kommunikation und der hohen Politik belassen. Also hab’ ich das Rückblick-Schreiben erst einmal bleiben lassen.

Es war herrlich! Monatelang haben die Leser protestiert und dabei sehr viel Freundliches über mich gepostet. Danach ging’s noch einmal vier Jahre weiter. Die Kommentare der Leser waren lehrreich und erbaulich, der Cabernet Sauvignon demnach gut investiert und der Zuspruch reichhaltig. Also: Es reicht!

Schließlich: Was will man mehr als Kolumnist? – Na ja, vielleicht noch, dass die Welt ein bisschen besser wird – unter dem Eindruck des ironisch gesprochenen Worts. – Das aber wird sie nicht! Zu nichts tendiert die Welt weniger als dazu, besser zu werden.

Und gerade das macht einem das Geschäft als Schreiber so schwer. Im Jahr 2000, als der erste Rückblick erschien, sieben Jahre, bevor es “one more thing” auch mit Telekommunikationsanschluss gab, da konnte George Orwell’s genialer Roman 1984 noch als Horrorvision der Überwachung gelten. Heute fragt man sich: Was aber ist Orwell’s Televisor gegen ein Handy?

Geschichten verderben mittlerweile schnell. Überhöht man heute die Gegenwart ins Satirische oder Makabere, macht schon morgen irgendein CxO ein Big-Data-Projekt und ein Geschäftsmodell daraus. Schauriger Science Fiction und Satire gehen im Zeitalter von Google und Facebook nicht mehr. Da wird man immer von der Wirklichkeit überholt. Denn die schreibt halt einfach die besseren Geschichten.

Aber so an die 500 Geschichten hab ich doch für silicon.de geschrieben. Mir war’s eine Freude. Einigen Lesern auch. Das ist viel. Das reicht. Es reicht.