Um es vorwegzuschicken: Kein vogelfreier Zeilenschreiber gibt einen Auftrag zurück, der im Wesentlichen darin besteht, Abends eine Flasche Cabernet Sauvignon aufzumachen, sich davon zu ein paar absonderlichen Gedanken anregen zu lassen und die dann möglichst gefällig in Worte zu kleiden. Nein, an mir liegt es diesmal nicht: silicon.de spart die Rubrik ein.
Recht besehen aber – und was bleibt einem schon anderes übrig, als gefällte Entscheidungen recht zu besehen – könnte man auch sagen: Es reicht!
Es ist schließlich einiges passiert, seit der silicon.de-Wochenrückblick am 6. November 2000 – damals noch unter der Überschrift: Backslash – zum ersten Mal erschien. Backslash war ein schöner Name. Darin klang an, dass unter dieser Rubrik nach wieder einmal fünf grauen Werkeltagen mit all ihren kleinen und großen Gemeinheiten zurückgeschlagen wurde, und zwar mit der aller brutalsten Gewalt, die einem friedfertigen Schreiber zu Gebote steht: einem bisschen Satire und Ironie halt.
Und dann schlug gleich der Leser zurück. “Bitte, so einen Mist nicht per Mail verbreiten”, stand in einem der ersten Kommentare zum silicon.de-Newsletter mit meinem Rückblick. Das habe ich mir sehr zu Herzen genommen und deshalb später zwei Jahrgänge in Buchform per Papier verbreitet.
Anderen hat die Rubrik besser gefallen. Zu meinem größten Erstaunen waren darunter auch Parteigliederungen sämtlicher Bundestagsfraktionen und sogar die jetzt nicht mehr im Bundestag vertretene Partei. Sie alle haben schon Rückblicke auf ihre Web-Seiten kopiert. Einfach so, wie man’s wohl macht im Internet.
Bei mir nachgefragt, ob sie einen Artikel übernehmen darf, hat nur die Sozialistische Zeitung, Köln. Aus Wikipedia erfährt man, wer da dahintersteht: Die Publikation wurde als Organ der Vereinigten Sozialistischen Partei Deutschlands gegründet, welche wiederum ein Zusammenschluss der trotzkistischen Gruppe Internationaler Marxisten und der Albanien-orientierten KPD/ML war. – Es tut gut, zu wissen, dass es hierzulande wenigstens noch eine politische Kraft gibt, die das bürgerliche Eigentum auch im Internet-Zeitalter hochhält.
Am schönsten waren aber die Rückblicke, die nicht erschienen sind. 2010 war das. Ein Chefredakteur hatte mir signalisiert, wie er sich ausdrückte, dass es so nicht ginge. Das fand ich ungehörig. Wahrscheinlich hat es über 100.000 Jahre Kulturgeschichte bedurft, um ein so prächtiges Kommunikationsprotokoll wie die menschliche Sprache zu entwickeln. Da sollte man die Signale in den Niederungen der M2M-Kommunikation und der hohen Politik belassen. Also hab’ ich das Rückblick-Schreiben erst einmal bleiben lassen.
Es war herrlich! Monatelang haben die Leser protestiert und dabei sehr viel Freundliches über mich gepostet. Danach ging’s noch einmal vier Jahre weiter. Die Kommentare der Leser waren lehrreich und erbaulich, der Cabernet Sauvignon demnach gut investiert und der Zuspruch reichhaltig. Also: Es reicht!
Schließlich: Was will man mehr als Kolumnist? – Na ja, vielleicht noch, dass die Welt ein bisschen besser wird – unter dem Eindruck des ironisch gesprochenen Worts. – Das aber wird sie nicht! Zu nichts tendiert die Welt weniger als dazu, besser zu werden.
Und gerade das macht einem das Geschäft als Schreiber so schwer. Im Jahr 2000, als der erste Rückblick erschien, sieben Jahre, bevor es “one more thing” auch mit Telekommunikationsanschluss gab, da konnte George Orwell’s genialer Roman 1984 noch als Horrorvision der Überwachung gelten. Heute fragt man sich: Was aber ist Orwell’s Televisor gegen ein Handy?
Geschichten verderben mittlerweile schnell. Überhöht man heute die Gegenwart ins Satirische oder Makabere, macht schon morgen irgendein CxO ein Big-Data-Projekt und ein Geschäftsmodell daraus. Schauriger Science Fiction und Satire gehen im Zeitalter von Google und Facebook nicht mehr. Da wird man immer von der Wirklichkeit überholt. Denn die schreibt halt einfach die besseren Geschichten.
Aber so an die 500 Geschichten hab ich doch für silicon.de geschrieben. Mir war’s eine Freude. Einigen Lesern auch. Das ist viel. Das reicht. Es reicht.
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Wohl wahr, die guten Zeiten sind vorbei. Auf zu neuen Ufern...
Eigentlich schade...
Achim Killers Beitrag war ein Alleinstellungsmerkmal.
Machmal braucht es den Hofnarren, um im Jubelchor bei König EDV doch noch eine andere Sicht der Dinge zu gewinnen.
Damit geht definitiv eine der Höhepunkte dieses Newsletters verloren, zu selten trifft man in solcher Art Publikationen auf jemandem der so virtuos mit der deutsche Sprache umzugehen vermag wie Achim Killer. Aus meiner Sicht äußerst bedauerlich… :-(
ein Holländer.
Danke für die erbaulichen Momente durch all die Jahre Herr Killer.
Schade drum - sehr schade. Dann gibt's eigentlich keinen Grund mehr auf silicon.de zu lessen. Den Rest der News findet man zu Hauf auch in den anderen Portalen.
Grade diese treffenden Kommentare werden mir fehlen.
Aber vielleicht hat Herr Killer ja ein Herz für seine Fans und trinkt seinen Cabernet für einen eigenen Blog weiter?
OH JAAA
ein block - ein blog - ein ...
ich mag bissige Kommentare
der heimlich leser
Sehr schade!
Ich werde seinen amüsanten und treffenden Blick auf die Welt vermissen.
Schade, dass diese kontroverse Rubrik verschwindet. Man - d.h. der Schreiber dieser Zeilen - war zwar nicht immer einverstanden mit den Inhalten, aber auf jeden Fall waren sie treffend formuliert und luden zum Nachdenken ein. Außerdem hat der Mann mit dem bedrohlichen Namen den doch sehr technischen Charakter des Newsletters mit satirischen und humorvollen Einwürfen aufgelockert. Da muss ja die Flut der Protestbriefe schon sehr angeschwollen sein, dass ein Chefredakteur eine solche Rubrik einstellt....;-(
Frank Raudszus
Danke Achim für Deine lesenswerten Rückblicke, auf die ich mich immer gefreut habe. Ob als Kollege beim Konradin Verlag oder bei NME, ich mag Deine Schreibe und hoffe doch sehr Dich an anderer Stelle weiterhin als Quelle für heiter/spöttische IT-News lesen zu können.
Schade & Danke für die feine Art, die Tatsachen zu entblößen.
Vermutlich ist nicht Alles dem Rotwein geschuldet...
Wirklich Schade.
Nunja - dem Tracking geschuldet, war der Rückblick ja nun schon länger nicht mehr komplett im Posteingang - und damit eine Hürde höher - zumindest bei mir, hat es dadurch erfolgreich verhindert, jeden Rückblick zu lesen. Manchmal kam dann die Erinnerung und ich habe ihn gesucht, gefunden und genossen. Nein, man musste nicht jede Einsicht teilen, dazu sind wir Menschen zu individuell in unseren Ansichten. Zum Nachdenken brachte es einen aber -fast- immer, sofern man noch nicht komplett eingerostet ist. "Versteh'n Sie Spass"/Satire, ist aber bei manchem High Flyer ohne Bodenhaftung(?) schwieriger.
Es reicht - vielleicht - und das die Realität die Satire manches Mal überholt - so what, was soll's.
Danke