Optisch hat Microsoft bereits das Betriebssystem Windows 8 auf sämtlichen Geräteplattformen – vom Desktop-PC bis zum Smartphone – harmonisiert, doch technisch rücken die klassische und die mobile IT-Welt erst jetzt mit dem einheitlichen Windows-10-Kernel zusammen. Vor allem bei Unternehmen, die ihren Mitarbeitern mobile Applikationen zur Verfügung stellen wollen, weckt das neue Betriebssystem hohe Erwartungen. Peter Grabowski, Senior Consultant und Windows-Experte bei Computacenter erklärt im Gespräch mit silicon.de, worauf es bei einer erfolgreichen Migrationsstrategie ankommt.
silicon.de: Herr Grabowski, Microsoft zeigt häppchenweise, was wir von Windows 10 erwarten können. Welche Funktionen gibt es, die für gewerbliche Anwender interessant sind?
Grabowski: Einen besonderen Mehrwert verspricht das neue Betriebssystem für Unternehmen, die Arbeitsplätze und Prozesse mobilisieren wollen. Mit den “Windows Universal Apps” soll es möglich sein, eine App für alle Windows-Geräteplattformen zu entwickeln, wodurch Unternehmen nicht nur Entwicklungskosten senken, sondern unterschiedliche Endgeräte auch flexibler als bislang einsetzen können.
silicon.de: Aus welchem Grund machen nach wie vor viele Unternehmen um Windows 8 einen Bogen und fühlen sich mit Windows 7 am wohlsten?
Grabowski: Windows 7 ähnelt noch am ehesten dem Look & Feel von Windows XP, das vielen Nutzern sehr vertraut ist. Zudem erwies sich der Vorgänger von Windows 8 direkt als sehr performant und zuverlässig. Die Bedienung von Windows 8 hingegen erfordert für viele eine radikale Umstellung, denn es wurde explizit für die Bedürfnisse von Endgeräten mit Touchscreens optimiert. Bei stationären Usern haben sich diese im Unternehmensumfeld aber bislang noch nicht durchgesetzt. Die meisten gewerblichen Nutzer arbeiten nach wie vor mit dem klassischen Desktop. Mit Windows 10 rückt Microsoft den traditionellen Desktop daher nun wieder stärker in den Vordergrund. Ein weiterer Grund, warum viele Unternehmen auf Windows 8 zurückhaltend reagiert haben, ist die Verzahnung des Betriebssystems mit den hauseigenen Cloud-Diensten. Der damit verbundenen Weitergabe von Geschäftsdaten an Dritte stehen Unternehmen kritisch gegenüber – insbesondere solche, die noch keine eigene Cloud-Strategie haben.
silicon.de: Was unterscheidet Windows 8 von 10?
Grabowski: Was die bisher präsentierten Builds zeigen, bügelt Microsoft einige Windows-8-Mängel aus. So benötigte beispielweise jeder Nutzer bislang einen Microsoft-Account, um Apps aus dem Store zu beziehen, sodass die IT-Abteilung keinerlei Kontrolle über die installierten Anwendungen hatte. Mittlerweile ist es möglich, den Store über einen Unternehmens-Account zu nutzen, sodass der App-Zugang reglementiert werden kann. Der wichtigste Schritt von Windows 8 zu 10 ist jedoch die geräteübergreifende Vereinheitlichung des Kernels, die erstmals ein durchgängiges Gerätemanagement ermöglicht. Damit einhergehend ist die Verfügbarkeit von Universal Apps – ein wichtiges Signal für strategische Entscheidungen im Enduser-Computing.
silicon.de: Für welche Unternehmen lohnt das Upgrade auf Windows 10?
Grabowski: Aufgrund des absehbaren Support-Endes müssen sich alle Unternehmen, die aktuell Windows 7 nutzen, mit dem neuen Betriebssystem auseinandersetzen. Jetzt noch Windows 8 oder 8.1 einzuführen, empfiehlt sich nicht. Anders sieht dies bei Unternehmen aus, die bereits eine der beiden letzten Windows-Versionen nutzen. Auch für einige von ihnen dürfte Windows 10 angesichts der angekündigten neuen Features interessant sein. Fakt ist aber auch: Wenn die eigenen Mitarbeiter reibungslos und gut mit Windows 8 oder 8.1 arbeiten können, gibt es aus Unternehmenssicht keine Notwendigkeit, jetzt schon an ein Upgrade zu denken.
silicon.de: Sollten interessierte Unternehmen direkt nach der Veröffentlichung auf die neue Version umsatteln?
Grabowski: Der Austausch des Betriebssystems alleine verschafft noch keine Vorteile. Unternehmen sollten diese Entscheidung in den Kontext ihrer Enduser-Computing-Strategie einbinden. Die entscheidenden Fragen sind: Gibt es eine über das Betriebssystem hinausgehende Strategie, die Windows 10 besser als das bisherige Betriebssystem unterstützt? Deckt Windows 10 die Anforderungen der Fachbereiche ab? Ist die Infrastruktur entsprechend ausgelegt? Und gibt es Kapazitäten für ein Migrationsprojekt? Sind die Voraussetzungen auf Unternehmensseite gegeben, dann spricht nichts gegen eine sofortige Migration.
silicon.de: Zu Zeiten von Windows XP und Vista galt die Faustregel: “Zunächst mal das erste Service Pack abwarten”. Mittlerweile hat Microsoft die Release-Politik verändert. Gibt es aus Ihrer Sicht eine vergleichbare Regel?
Grabowski: Pauschal abzuwarten, in der Hoffnung eine höherwertige Qualität zu erhalten, ist aus meiner Sicht nicht zielführend. Falls Microsoft die neue Strategie wie angekündigt umsetzt, müssen wir uns zukünftig ohnehin intensiver mit sogenannten Inplace-Upgrades beschäftigen. Ähnliches betreibt Apple bei seinem Betriebssystemen iOS und OS X seit einiger Zeit. Diese Upgrades kommen der Idee von einem Service Pack nahe, beinhalten aber zumeist auch neue Funktionen, mit denen sich Unternehmen auseinandersetzen müssen.
silicon.de: Es gibt nach wie vor Anwender, die unter Windows 8 oder 8.1 aktuelle Grafikkarten nicht zum Laufen kriegen. Sind mit Windows 10 ähnliche Kompatibilitätsprobleme zu befürchten?
Grabowski: Microsoft verspricht im Zuge der Windows-10-Installation ein reibungsloses Upgrade. Grundsätzlich sollte man der Annahme, dass alles, was unter Windows 7, 8 und 8.1 funktioniert, auch auf der neuen Version läuft, jedoch nicht blind vertrauen. Unternehmen setzen auf eine Vielzahl von Eigenentwicklungen, deren Kompatibilität mit Windows 10 möglichst frühzeitig geprüft werden sollte. Letztlich sollte in jedem Fall eine umfangreiche Evaluation und Pilotphase im Vorfeld einer Migration durchgeführt werden. Nur so lassen sich eventuelle Kompatibilitätsprobleme frühzeitig erkennen und beheben.
silicon.de: Welche Vorbereitungen sollten Unternehmen vor dem Umstieg treffen?
Grabowski: Eine sorgfältige Planung und eine an die Bedürfnisse des Unternehmens angepasste Strategie entscheiden über den Erfolg der Migration. Die zentrale strategische Weichenstellung ist die Entkopplung von Daten und Applikationen vom Betriebssystem. Dann muss tatsächlich nur das Betriebssystem neu installiert werden. Applikationseinstellungen und Benutzerprofile, die vorher beispielsweise in einem zentralen Cloud-Dienst gespeichert wurden, können danach automatisiert wieder aufgespielt werden. Aber auch die zeitliche Planung ist wichtig: Fixe Termine wie der Geschäftsabschluss und andere IT-Projekte, die den Rollout verzögern können, sollten im Vorfeld berücksichtigt werden.
silicon.de: Windows 10 soll das Nutzererlebnis vereinheitlichen und verschiedene Plattformen wie Laptop und Smartphone zusammenführen. Sehen Sie dadurch neue Chancen für Anwenderunternehmen?
Grabowski: Ja, mit Windows 10 sollte die Einbindung mobiler Endgeräte in die Arbeitsprozesse und die IT-Infrastruktur einfacher werden. Zum einen können die unterschiedlichen Geräteplattformen durch die Vereinheitlichung des Windows-Kernels effizienter administriert werden. Und zum anderen können Unternehmen mit den “Universal Apps” sichere Enterprise-Apps für unterschiedliche Endgeräte entwickeln, mit denen Mitarbeiter unterwegs produktiv arbeiten können.
silicon.de: Mit Windows 10 will Microsoft den Google-Glass-Konkurrenten HoloLense einführen. In welchen Unternehmen und Anwendungsfeldern könnte diese Technologie eingesetzt werden und inwiefern unterscheidet sie sich von anderen Datenbrillen?
Grabowski: HoloLens ist die Überraschung der letzten Windows-10-Präsentation. Der Unterschied zu ähnlichen Produkten ist die Vermischung von virtuellen und realen Bildern. Anders als Google Glass, die reale Inhalte mit digitalen Informationen anreichert, entstehen mit HoloLens neue Kombinationen aus beiden Welten – echte Hologramme in bemerkenswert hoher Qualität. Microsoft stellt sich einen Einsatz im Gaming-Bereich vor. Doch auch für andere Branchen ist die HoloLens durchaus interessant. Ich denke da etwa an Architektur, Mode, Produktgestaltung oder auch Lifestyle. Spannend wäre es beispielsweise, die eigene Wohnung virtuell mit den Produkten eines Möbelherstellers einrichten zu können.
silicon.de: Größere Migrationen waren schon ohne mobile Geräte ein komplexes Unterfangen. Tut sich dadurch eine weitere Baustelle auf?
Grabowski: Im Gegensatz zu Notebooks standen Smartphones und Tablets bislang selten im Fokus einer Betriebssystem-Migration. Diese Endgeräte werden von vielen Unternehmen als Parallelwelt behandelt, was angesichts der weiten Verbreitung nicht mehr zeitgemäß ist. Unternehmen brauchen eine EMM-Strategie (Enterprise Mobility Management) und einen kompetenten Dienstleister, der Erfahrungen in diesem Bereich mitbringt. Dann ist auch die Migration kein Hexenwerk mehr.
silicon.de: Werden Migrationen von EMM-Anbietern unterstützt?
Grabowski: Noch steht Windows 10 nicht final zur Verfügung. Aber EMM-Anbieter sind gut beraten, Unternehmen den Schulterschluss zwischen der klassischen und der mobilen IT-Welt möglichst einfach zu machen. Im Systemmanagement wird bereits deutlich, dass die beiden Welten zusammenrücken. Microsoft schafft dies etwa durch die Integration von Intune, dem hauseigenen Verwaltungstool für mobile Geräte und Anwendungen, in den System Center Configuration Manager. Aber auch andere Anbieter sind hier aktiv.
silicon.de: Was gilt es in diesem Zusammenhang zu beachten?
Grabowski: Für Unternehmen wird es, wie bereits erwähnt, höchste Zeit, sich mit einer EMM-Strategie zu befassen. Wenn sie eine Schatten-IT verhindern wollen, müssen sie stärker auf die Anforderungen der Anwender eingehen, speziell wenn es um das Designen von Unternehmenslösungen geht. Die Mitarbeiter erwarten heute auch im Beruf jene Flexibilität und Usability bei den genutzten Systemen, die sie aus dem privaten Umfeld kennen.
silicon.de: In vielen Unternehmen sind bislang Android und iPhone tonangebend. Glauben Sie, dass Windows 10 sich auf die Verbreitung von Windows-Smartphones positiv auswirken wird?
Grabowski: Die geräteübergreifende Vereinheitlichung des Windows-Kernels bietet Unternehmen Anreize, die Windows-Phone-Plattform neu zu bewerten. Mit dem einheitlichen Kernel verweist Microsoft auf eine breitere Plattformbasis und verschenkt das neue Betriebssystem quasi an alle bisherigen Windows-Nutzer. Daher werden sich Softwareanbieter alleine unter wirtschaftlichen Aspekten Windows 10 nicht verschließen können, wovon auch die Gerätehersteller profitieren können.
silicon.de: Herr Grabowski, wir danken für das Gespräch.
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