Die NSA soll über Jahrzehnte das Bundeskanzleramt ausspioniert haben. Das geht aus Dokumenten hervor, die Wikileaks veröffentlicht hat. Darunter befindet sich eine Selektorenliste mit Telefonnummern von engen Mitarbeitern und Vertrauten von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Der US-Geheimdienst hat offenbar auch ihre Vorgänger Helmut Kohl und Gerhard Schröder überwacht.
Wikileaks hat darüber hinaus drei Abhörprotokolle der NSA von Gesprächen der Bundeskanzlerin öffentlich gemacht. Die Protokolle sind streng geheim und beinhalten Gespräche zu wirtschaftspolitischen Plänen und außenpolitischen Einschätzungen der Regierung. In 2009 abgefangenen Telefonaten ging es etwa um mögliche Lösungen der Finanzkrise und um die Situation im Iran.
Wie eng das Überwachungsnetz um Merkel war, zeigt die Zielliste. Diese enthält etwa 20 Telefonnummern allein aus ihrem Büro im Bundeskanzleramt. Daraus schließt Wikileaks auch, warum sich die Regierung Obama so schnell bereit erklärte, die Überwachung von Angela Merkel selbst einzustellen. Dem Weißen Haus reiche es aus, das Umfeld der Bundeskanzlerin auszuspionieren. Denn die Kanzlerin könne die Regierungsgeschäfte nicht nur mit Selbstgesprächen führen.
Der Rechercheverbund von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung bekam die am Mittwochabend veröffentlichten Dokumente vorab zur Prüfung. Die Selektorenliste enthält unter anderem auch die Durchwahlen von Merkels Büroleiterin Beate Baumann, Kanzleramtsminister Peter Altmaier sowie Staatssekretär Klaus-Dieter Fritzsche, der für die Koordination der Geheimdienste verantwortlich ist. Mit aufgeführt als “parlamentarischer Merkel-Berater” ist ebenfalls Volker Kauder, Fraktionschef der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag.
Auch Mitarbeitern der Regierungen Helmut Kohl und Gerhard Schröder hat die NSA überwacht. Der älteste Eintrag galt Johannes Ludewig, der als Kohl-Vertrauter für die Wirtschaftsabteilung im Kanzleramt verantwortlich war und 1994 dort ausschied. Während Schröders Amtszeit spionierte der Geheimdienst unter anderem Kanzleramtsminister Bodo Hombach, der sicherheitspolitische Berater Michael Steiner und Ernst Uhrlau aus, der für die Aufsicht über die Nachrichtendienste verantwortlich zeichnete.
Die bis heute gültige Mobilfunknummer von Ronald Pofalla, dem früheren Kanzleramtsminister der Regierung Merkel, fehlt ebenfalls nicht in der Zielliste. Das entbehrt deshalb nicht der Ironie, weil gerade Pofalla immer wieder durch das gezielte Herunterspielen der US-Spionage auffiel. So erklärte er im Sommer 2013 als amtierender Kanzleramtsminister die NSA-Abhöraffäre für beendet. “Die Vorwürfe sind vom Tisch”, sagte er damals. Noch in der letzten Woche sagte er im NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestags, es sei bis heute nicht erwiesen, dass das Handy der Kanzlerin abgehört wurde.
Vor einer Woche veröffentlichte Wikileaks bereits Dokumente, die eine intensive Wirtschaftsspionage in Deutschland aufzeigten, die die NSA offenbar seit Ende der Neunziger Jahre betrieb. Weitere Geheimunterlagen der Enthüllungsplattform verwiesen darauf, dass die NSA auch Mitglieder der französischen Regierung sowie der französischen Wirtschaft ausspioniert hat. Zwischen 2006 und 2012 wurden demnach die Staatspräsidenten Jacques Chirac, Nicolas Sarkozy und François Hollande gezielt abgehört.
[mit Material von Bernd Kling, ZDNet.de]
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