Mit 404 Ja-Stimmen bei 148 Gegenstimmen und 7 Enthaltungen beschließt der Bundestag erneut die im Volksmund als Vorratsdatenspeicherung bezeichnete “Speicherpflicht für Verkehrsdaten“. Der umstrittene Gesetzentwurf von CDU/CSU und SPD wurde in der vom Rechtsausschuss geänderten (PDF) und ebenfalls kritisierten Fassung angenommen. Da es sich um eine namentliche Abstimmung handelte, lässt sich auf der Website des Bundestestages nachvollziehen, wie die Abgeordneten im Einzelnen abgestimmt haben.
Das Gesetz verpflichtet Telekommunikationsunternehmen, Internetprovider und andere Zugangsanbieter, Telekommunikationsverkehrsdaten sämtlicher Bürger verdachtsunabhängig zu speichern. Dem neuen Gesetz zufolge müssen diese Daten darunter gewählte Rufnummern, Inhalte von SMS und genutzte IP-Adresse zehn Wochen lang vorgehalten werden. Für die bei der Nutzung von Mobildiensten anfallenden Standortdaten ist eine Speicherfrist von vier Wochen vorgesehen. Vom Gesetz ausdrücklich ausgenommen sind die Inhalte von E-Mails.
Der Bundestag hat außerdem beschlossen, “sobald die notwendigen statistischen Grundlagen vorliegen”, die Anwendung des Gesetzes zu evaluieren. Damit soll vor allem geprüft werden, ob es sich positiv auf Strafverfolgung und “Gefahrenabwehr” auswirkt. Nach Ansicht der Koalition berücksichtigt der verabschiedete Entwurf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs zur Vorratsdatenspeicherung. Zahlreiche Organisationen, Bürgerrechtler, Juristen und Industrieverbände sehen das allerdings anders.
“Es ist fraglich, ob die angestrebten Ermittlungserfolge einen derart starken Eingriff in die Grundrechte der Bürger rechtfertigen”, zweifelt etwa Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder. Sein Verband bemängelt auch die Eile, mit der das Gesetz auf den Weg gebracht wurde. Dadurch sei die “intensivere Diskussion dieses umstrittenen Themas” zu kurz gekommen. “Auf die Telekommunikationswirtschaft käme nun ein hoher technischer und personeller Aufwand zu. Nach Schätzungen des Bitkom entstehen zudem Kosten im “mittleren dreistelligen Millionenbereich”.
Dass die betroffenen Unternehmen im Gesetzgebungsverfahren nicht gehört wurden, führt zudem zu zahlreichen Ungereimtheiten. Als Beispiel nennt Bitkom-Sprecher Rohleder die Formulierung, wonach “die Speicherung entkoppelt vom Internet” erfolgen soll. Es sei aber völlig unklar, wie diese Vorgabe umzusetzen ist.
Oliver Grün, Präsident des Bundesverband IT-Mittelstand e.V. (BITMi), hatte bereits früher diese Woche bemängelt, dass nicht vollständig geklärt sei, wer von dem Gesetz überhaupt betroffen ist. “Bei der derzeitigen Tendenz, Regelungen sehr restriktiv auszulegen, könnten nicht nur große Telefongesellschaften, sondern auch Mittelständler und Privatpersonen unter die harten Auflagen der Vorratsdatenspeicherung fallen.” Beispielsweise um die geforderte Trennung von Daten in verschiedene Kategorien mit unterschiedlichen Speicherfristen umzusetzen, drohe zahllosen Firmen hoher bürokratischer und teurer Aufwand.
Auf eine weitere Ungereimtheit hatte Patrick Breyer, Mitglied der Piratenfraktion im des Schleswig-Holsteinischen Landtag, hingewiesen. Bereits heute sei über die Hälfte der Anfragen zur Identifizierung von Internetnutzern dynamischer IP-Adressen erfolglos, weil IP-Adressen beim sogenannten Carrier-Grade-NAT-Verfahren mehrfach vergeben werden. Die Vorratsspeicherung von Port-Nummern ist im Gesetz aber nicht vorgesehen ist.
Weil aber bald auch die Deutsche Telekom das Carrier-Grade-NAT-Verfahren im Festnetzbereich einsetzen wird, erhöhe sich die Quote erfolgloser IP-Abfragen noch.
“Die Unternehmen müssen sich auf eine längere Phase der Rechtsunsicherheit einstellen, weil das Gesetz mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder vor dem Verfassungsgericht landen wird”, so das Fazit von Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder.
Davon geht auch die Digitale Gesellschaft e.V. aus. Sie befürchtet “ein erneutes grundrechtliches Fiasko”. Schließlich seien ähnliche Gesetze in der Vergangenheit bereits zweimal höchstrichterlich kassiert worden. Auch die EU-Kommission habe das Vorhaben als Verletzung des Unionsrechts gegeißelt. Nachdem aber auch beim ersten gescheiterten Vorstoß zur Komplettüberwachung der Bürger der Bundesregierung keinerlei Sanktionen oder politische Folgen zu spüren waren, scheint das Risiko, erneut ein Gesetzt auf den Weg zu bringen, das nicht im Einklang mit dem Grundrecht steht, für die Vertreter im Bundestag verkraftbar zu sein.
Kai-Uwe Steffens vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung (AK Vorrat) hatte bereits Mitte der Woche erklärt, “die hartnäckigen, nachweislichen Verstöße der Telekommunikationsunternehmen entkräften jedes Vertrauen, dass Vorratsdaten bei ihnen sicher aufgehoben sein könnten.” Seiner Ansicht nach schafft die Vorratsdatenspeicherung “ein unverantwortliches Risiko von Datenmissbrauch, Datenverlust und Datenklau.”
Besonders ärgerlich dürfte das Gesetz für Vodafone sein. Das hat der Rechtsanwalt Johannes von Rüden angemerkt. “Vodafone hat sich bisher stets geweigert, Telekommunikationsdaten seiner Nutzer zu speichern. In Filesharing-Verfahren konnten Rechteinhaber so nie die jeweiligen Anschlussinhaber ausfindig machen.” Das Unternehmen hatte sich dabei auf eine Entscheidung des Oberlandgerichts Düsseldorf aus dem Jahr 2013 berufen, wonach es nicht dazu verpflichtet werden kann IP-Adressen zu speichern, so lange es in Deutschland keine Vorratsdatenspeicherung gibt.
“Wir rechnen damit, dass Vodafone-Nutzer nach Einführung der Vorratsdatenspeicherung massenhaft abgemahnt werden”, so von Rüden heute in einer Stellungnahme. Denn über die Jahre habe sich bei Vodafone-Nutzern die Mentalität eingestellt, dass “da schon nichts passiert”. Jetzt warnt von Rüden: “Für viele dürfte es zu einer echten Überraschung kommen.”
Der Berliner IT-Security-Anbieter Steganos empfiehlt Internetnutzern anlässlich des Bundestagsbeschlusses generell die Installation einer VPN-Software. “VPN-Anbieter können nach derzeitiger Gesetzeslage nicht dazu verpflichtet werden, Überwachungsmaßnahmen technisch oder organisatorisch umzusetzen. Die Bundesnetzagentur hat uns im Rahmen der Meldepflicht bestätigt, dass wir als sekundärer Erbringer von öffentlichen Telekommunikationsdienstleistungen unter eine entsprechende Ausnahmeregelung fallen”, erklärt Geschäftsführer Gabriel Yoran heute in einer Stellungnahme. Er verweist dazu auf Paragraf 3, Absatz 2, Nummer 1 der Telekommunikations-Überwachungsverordnung (TKÜV).
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