Glaubt man Stefan Rief und seinem Team vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO), dann ist die Zukunft der Arbeit eine coole Angelegenheit. Menschen stehen vor riesigen Touch-Displays, auf denen komplexe Zusammenhänge visualisiert sind. Alle Daten sind blitzschnell im Netz verfügbar. Die Büros sind sogenannte Smart Rooms, die sich sensorgesteuert und automatisch auf die persönliche Arbeitssituationsstimmung einstellen. Da wird einmal die Beleuchtung auf den Arbeitstisch konzentriert, dann die Klimaanlage hochgefahren, die Telefone bei Sitzungen automatisch auf leise gestellt usw.
Das zumindest prophezeit die Fraunhofer-Studie Office 21. Die Büro-Utensilien der Gegenwart sind dann verschwunden. Es gibt dann keine USB-Sticks mehr, keine Kabel und vor allem: kein Papier.
Die Idee vom “papierlosen Büro” geistert seit Jahrzehnten durch die Branche, mittlerweile ist sie zu einer Art tragischem Running Gag geworden, denn noch vor einigen Jahren wurde in Unternehmen gedruckt, was das Zeug hält. Inzwischen hat sich die Lage doch etwas geändert. Das Schlüsselwort heißt Dokumentenmanagement-System, in der Branche auch unter dem Kürzel DMS bekannt.
Unternehmen wie Kyocera, Lexmark oder Xerox, die in erster Linie durch Drucker und Kopierer bekannt geworden sind, stellen sich schon seit Jahren auf die vermeintlich papierlose Zukunft ein. Dabei geht es nicht nur darum, die Zahl der Ausdrucke und damit die Druckkosten zu verringern. Das Ziel ist vielmehr, den Umgang mit Dokumenten so zu organisieren, dass diese jederzeit und schnell zur Verfügung stehen. Alle dokumentenbasierten Aufgaben sollen möglichst reibungslos in die Geschäftsprozesse eingebunden werden.
Kyocera Document Solutions Deutschland, eine hundertprozentige Tochter des japanischen Hightech-Konzerns Kyocera, hat dafür einen eigenen Geschäftsbereich aufgebaut. Das hat Kyocera kürzlich auf einer Veranstaltung in München bekannt gegeben. Für die Ankündigung hatte Kyocera eine passende Umgebung ausgesucht, das Smart Village in München. In dem Gebäudekomplex können Start-ups und Kreative Büroflächen, Seminar- und Tagungsräume mieten, die kreativ-entspanntes Arbeiten ermöglichen sollen.
Das Ambiente im Stil einer lockeren Studenten-WG sollte schon mal einen Ausblick auf die Arbeitswelt der Zukunft bieten. Lounge-ähnliche Sitzlandschaften, Holzpaletten und Fußballschuhe als Wandschmuck, aber keine Regale für Aktenordner, denn Papier braucht dann keiner mehr, so die versteckte Botschaft.
Geleitet wird der neue Geschäftsbereich von Dietmar Nick, stellvertretender Geschäftsführer und Senior Direktor Vertrieb bei Kyocera. Schon zum Start werden vier fertige DMS-Lösungen für kleine und mittelständische Unternehmen angeboten. Die Lösungen sollen den Workflow und “die gesamte Bandbreite an Arbeitsvorgängen” nachbilden. Konkret geht es dabei um die Digitalisierung von Prozessen “rund um Personalakten, Kunden- und Projektverwaltung, Lieferanten- und Bestellakten und Vertragsmanagement”.
Die Software ist fertig konfektioniert. Laut Kyocera ist es für kleinere Unternehmen günstiger, die vorhandene IT-Infrastruktur an die DMS-Plattform anzupassen, als sich Software maßschneidern zu lassen. Vom Erstgespräch bis zur Inbetriebnahme sollen laut Dietmar Nick maximal drei Monate vergehen.
Der Einstieg in eine umfassende DMS-Lösung gilt als erster großer Schritt in die digitale Transformation. Denn nach Lesart der Experten sind Unternehmen, die in Zukunft noch auf papierbasierte Geschäftsprozesse setzen, nicht mehr wettbewerbsfähig.
Allerdings sind auf dem Weg ins Büro der Zukunft noch viele Fragen offen. Das zeigt eine Studie des eingangs erwähnten Fraunhofer IAO, das beim Thema Dokumentenmanagement mit Kyocera zusammenarbeitet. Die Studie wurde zwischen September 2015 und Januar 2016 unter knapp 700 Führungskräften in Deutschland durchgeführt. Zu ganz ähnlichen Ergebnissen kommen Studien von Xerox und IDC.
So sind einerseits alle Unternehmen bemüht, das Drucken im Haus besser zu organisieren und Dokumente zu digitalisieren. Laut Fraunhofer drucken 43 Prozent der Mitarbeiter in Unternehmen “kaum noch” aus. 48 Prozent speichern Dokumente überwiegend digital. Als Vorteile werden dabei vor allem der schnelle Austausch von Dokumenten sowie der Zeit- und ortsunabhängige Zugriff genannt. Nicht zu vergessen, dass weniger Papier auch weniger Aktenordner benötigt, was wiederum die Stellflächen im Büro reduziert.
Mit der Digitalisierung ist es aber noch lange nicht getan. Erst eine durchdachte DMS-Lösung hilft, Dokumente schnell wiederzufinden. Genau das ist aber laut IDC nach wie vor ein großes Problem. In der IDC-Studie “Print & Document Management in Deutschland 2014” geben 42 Prozent der Befragten an, dass die Suche nach Dokumenten im Unternehmen immer noch “das größte Kopfzerbrechen” bereitet. Jeder, der schon mal eine Telefonnummer gesucht hat, die ein Geschäftspartner in einer E-Mail der letzten Wochen aufgeschrieben hat, kann davon ein Lied singen. Das Problem sind oftmals unstrukturierte Daten, die schwerer zu finden sind, als wenn sie in Tabellen oder Listen abgelegt sind.
Auch größere Unternehmen haben mit dem freien Fluss der Information ihre liebe Not. Durch die Vielzahl von Anwendungen, deren Dokumente zu einander teilweise nicht kompatibel sind, bilden sich schnell Datensilos, die den Workflow hemmen.
Doch von einem umfassenden DMS sind viele Unternehmen noch weit entfernt. Nachzulesen ist das auch in dem Xerox-Report mit dem Titel “Digitisation at Work”, für den insgesamt 600 IT-Entscheidern in großen europäischen und nordamerikanischen Unternehmen, darunter auch aus Deutschland, befragt wurden.
Darin sagen mehr als die Hälfte der Befragten aus, dass 55 Prozent der Geschäftsprozesse immer noch papierbasiert seien. 90 Prozent geben an, dass sie “über gute Tools zur Druckanalyse verfügen”. Nach Ansicht der Xerox-Experten werden diese jedoch nicht ausreichend eingesetzt.
Ausgesprochen beliebt ist Papier beispielsweise bei Besprechungen. Das macht die bereits erwähnte Fraunhofer-Studie deutlich. Zwar arbeiten alle gern digital, doch bei Besprechungen nutzen zwei Drittel der Teilnehmer “größtenteils Papierprodukte”. Dazu heißt es in der Studie: “Viele Dinge werden lieber in Papierform erledigt, weil IT-Geräte zu umständlich sind.”
Für die Fürsprecher der digitalen Transformation ist dies eine Erkenntnis, die sie nicht so gerne hören. So schön wie mit einem Kugelschreiber auf einem Notizblock, schreibt es sich eben auf dem Tablet nicht. Ganz zu schweigen davon, dass für Skizzen auf dem Tablet-PC mindestens ein Stift mit Gummispitze, besser ein Digitizer-Stift mit drucksensitiver Spitze nötig ist. Die gute alte Kombination aus DIN-A4-Papier und Kugelschreiber ist in Sachen Ergonomie und Bedienfreundlichkeit eben immer noch unschlagbar.
Ein weiteres Hindernis für den schnellen Abschied von Papier ist, dass viele Unternehmen Papierdokumente immer noch als Referenz betrachten. Das geben zumindest 65 Prozent der Befragten in der Xerox-Studie an.
Trotz all dieser Hürden sind Experten darin einig, dass die Umstellung auf DMS mehr Produktivität bringt und deshalb unvermeidlich ist. Hat ein Unternehmen erst mal ein Dokumentenmanagementsystem eingeführt, folgt der zweite Schritt hin zum Enterprise Content Management. Hierbei werden alle Inhalte, mit denen die Mitarbeiter sich beschäftigen, organisiert und in ein Workflow eingebunden.
Für Marktforscher und Lösungsanbieter wie Kyocera oder Xerox öffnet sich hier ein riesiger Markt. Dazu gehören auch Beratungsleistungen. Kyocera beispielsweise hat gerade ein “Beratungstool” vorgestellt. Dabei wird in einer Potenzialanalyse das Informationsmanagement und der Workflow aller Daten geprüft und auf dieser Basis Handlungsempfehlungen ausgesprochen, wie etwa ein DMS im jeweiligen Betrieb aussehen könnte.
Bereits im vergangenen September hatte Kyocera das Unternehmen Ceyoniq übernommen. Der ECM-Spezialist aus Bielefeld soll das Portfolio des Dokumentenmanagement-Spezialisten-Kyocera ergänzen. Dabei bleibt Ceyoniq als eigenständiges Unternehmen erhalten. Auch Mitbewerber Xerox drängt sich schon seit längerem auf dem ECM-Markt. In dessen Portfolio findet sich unter anderem die ECM-Plattform Docu Share
In dem bereits erwähnten Report von Xerox findet sich übrigens eine bemerkenswerte Zahl. In 90 Prozent der Unternehmen soll Papier schon 2018 weitgehend ausgedient haben. Eine sehr gewagte Prognose, denn bis 2018 sind es keine zwei Jahre mehr. Deutlich realistischer sieht das die Studie des Fraunhofer IAO. Dessen kühne Visionen vom papierlosen smarten Büro mit seinen futuristischen Displays soll erst ab 2025 Realität werden. Sollte Fraunhofer Recht behalten, dann haben Notizblock-Nostalgiker also noch eine ziemlich lange Gnadenfrist.
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