Netzwerkausrüster Brocade will den WLAN-Spezialisten Ruckus Wireless übernehmen. Der Übernahmevereinbarung zufolge erhalten Anteilseigner von Ruckus 6,45 Dollar in bar und 0,75 Brocade-Aktien für jedes Ruckus-Papier. Auf Grundlage des Aktienwerts bei Handelsschluss am 1. April 2016 hat die Transaktion ein Gesamtwert von rund 1,5 Milliarden Dollar.
Zwar bietet Brocade bereits seit 2009 eigene WLAN-Produkte an, konnte damit aber bislang nicht den großen Durchbruch schaffen. Laut Brocade-CEO Lloyd Carney soll sich das mit der Übernahme, die voraussichtlich Ende Juli abgeschlossen sein soll, nun ändern: “Wireless-Technologie ist ein entscheidendes Element in modernen, neuen IP-Netzwerkarchitekturen. Die Netzwerklösungen von Ruckus Wireless werden Brocades derzeitige Angeboten für Storage, Rechenzentren, Campus- und Mobility-Networking-Lösungen eine schnell wachsende und hochgradig komplementäre Produktkategorie ergänzen.”
Die beiden Partner nehmen für sich in Anspruch, gemeinsam dann Nummer 1 bei Storage Area Networking, Nummer 1 bei WLAN für Service Providern, Nummer 2 bei Rechenzentrumsvernetzung, sowie Nummer 3 bei Enterprise WLAN und Enterprise Edge Networking in den USA und Europa zu sein. Allerdings nennen sie für dies kühne Behauptungen keine Grundlage. Zumindest im sich gegenwärtig stark verändernden und sehr dynamisch entwickelnden WLAN-Marktsegment dürfte der Anspruch einer etwas objektiveren Sicht nur schwer standhalten können.
Bis vor kurzem nahm zum Beispiel Gartner beide Firmen wegen ihrer unklaren Pläne für 802.11ac gar nicht in seine Analyse des Marktsegments auf. Dort setzten sich Cisco, HP und Aruba Networks immer mehr von den anderen Mitbewerbern ab. In der jüngsten, 2015er-Ausgabe des “Magic Quadrant Report for Wired and WLAN Access Infrastructure” konnten Cisco und Hewlett Packard Enterprise (nach der Übernahme von Aruba Networks) ihre Position festigen, aber Huawei und Dell aufrücken.
Ruckus Wireless wird darin von Gartner als der bestpositionierte Nischenanbieter gesehen und liegt nahezu gleichauf mit Juniper Networks. Dem Hersteller gestanden die Marktforscher in ihrem Bericht zwar weniger Innovationskraft zu als dem ebenfalls auf WLAN-Infrastrukturen spezialisierten Aerohive, aber dafür mehr Potenzial, den Markt erfolgreich zu bearbeiten. Brocade wurde auch aufgenommen, rangiert aber in Bezug auf Innovationskraft knapp hinter Ruckus Wireless und Mitbewerbern wie Avaya und Extreme Networks, in Bezug auf Durchsetzungskraft am Markt auch noch hinter D-Link.
Die ungünstige Einstufung durch Gartner dürfte aber zum Teil auch darauf zurückzuführen sein, dass Brocades Geschäft und Gartners Kriterien nicht ganz konform gehen. In der Praxis hat Brocade bis vor kurzem offenbar häufig mit Aruba Networks zusammengearbeitet (PDF). Die Kompatibilität der gemeinsamen Angebote hat sich Brocade auch bescheinigen lassen (PDF) – ebenso übrigens wie die zu den Meraki-Produkten von Cisco (PDF) und denen von Ruckus Wireless (PDF). Offenbar hat man aber nach dem Kauf von Aruba Networks durch Hewlett-Packard die Notwendigkeit gesehen, den Komplettangeboten von HPE und Cisco eine eigene, durchgängige Lösung entgegenzusetzen, anstatt nur darauf zu hoffen, in Teilbereichen zu glänzen und da zum Zuge kommen zu können.
Nach Abschluss der Übernahme im Herbst erhofft man sich zunächst einmal dadurch einen Schub, dass die jeweils anderen Vertriebskanäle dann auch in den Verkauf der Produkte des anderern Herstellers einsteigen. Auch das ist optimistisch: Erstens dürften die Vertriebspartner in der Regel bereits jetzt auch mit anderen Herstellern zusammenarbeiten, zweitens dürfte es eine Weile dauern, bis das neu sortierte Portfolio am Markt als solches bekannt geworden und eventuelle Vorteile gegenüber den Offerten von Cisco und HPE auch als solche wahrgenommen werden.
Drittens werden die beiden großen Mitbewerber sich nun auch in den von Brocade angepeilten vertikalen Märkten, darunter Großunternehmen (in denen sie ohnehin schon vertreten sind), Bildungswesen, Behördengeschäft, Hotel- und Gastronomiegewerbe sowie bei Service Providern, die WLAN-Infrastrukturen aufbauen, noch stärker als bisher gegen Brocade positionieren. Zudem dürfte Brocade in einigen dieser Marktsegmente starke Konkurrenz durch das gewöhnlich sehr preisaggressive Huawei zu spüren bekommen, in anderen durch Dell, die sich beide in den vergangen beiden Jahren als Alternative etabliert haben und diese Position nicht ohne Gegenwehr aufgeben werden.
Bessere Chancen hat Brocade wahrscheinlich bei großen Neuinstallationen im Bereich Internet of Things (IoT), Konzepten für Smart Cities oder Projekten, in denen WLAN als Ergänzung zu LTE zum Zuge kommt. Hier können sowohl Brocade als auch Ruckus Wireless bereits auf etablierte Kundenbeziehungen aufbauen. Außerdem bringt Ruckus Wireless mit dem Smart Cell Gateway (PDF) ein Produkt ein, das zehntausende von Access Points und hundertausende von Nutzern unterstützt. Damit könnten Mobilfunknetzbetreiber etwa sogenannte “Hotspot 2.0-Konzepte” umsetzen – also Kunden in Ballungsräumen direkt per WLAN ins Internet schicken, anstatt sie über die wesentlich aufwändigere Mobilfunkinfrastruktur zu versorgen.
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