Gebrauchtsoftware: Behörde muss 1500 Microsoft-Office-Lizenzen neu ausschreiben
Das hat die Vergabekammer Westfalen entschieden. Ihrer Ansicht nach war es vom Kreis Steinfurt vergaberechtswidrig, gebrauchte Software im Ausschreibungstext auszuschließen. Die Entscheidung könnte weitreichende Folgen haben.
Der nordrhein-westfälische Kreis Steinfurt muss einen Auftrag über die Beschaffung von rund 1500 Lizenzen von Microsoft Office neu ausschreiben. Das hat die Vergabekammer Westfalen jetzt auf Antrag des Gebrauchtsoftwarehändlers Soft & Cloud AG aus Greven bei Münster entschieden. In dem Verfahren hat die für die Nachprüfung von Vergabeverfahren öffentlicher Auftraggeber zuständige Stelle in allen Punkten auf die Seite des Händlers gestellt. Der könnte damit eine für die gesamte öffentliche Beschaffungspraxis in Deutschland und die Gebrauchtsoftwarebranche bedeutsame Entscheidung herbeigeführt haben.
Die Soft & Cloud AG hatte einen Nachprüfungsantrag gegen die aus seiner Sicht vergaberechtswidrige Ausschreibung des Kreises eingereicht. Den begründete sie damit, dass die Behörde bei ihrer ursprünglichen Ausschreibung Ende vergangenen Jahres gebrauchte Software ausdrücklich ausgeschlossen hatte. Als Bieter waren ausschließlich Volumenlizenzpartner von Microsoft (wörtlich: “Ziel der Ausschreibung ist der Abschluss eines Select Plus Vertrages mit der Firma Microsoft”) zugelassen. Davon gibt es in Deutschland lediglich ein gutes Dutzend. Diese Einschränkungen wurden mit einer “unklaren Rechtslage” sowie dem “Risiko von Strafzahlungsforderungen durch Microsoft” begründet.
Allerdings sind die angeführten Gründe aus Sicht der Vergabekammer nicht zutreffend: “Eine ‘gebrauchte’ Software mit einer ‘gebrauchten’ Lizenz ist von der Neufassung nicht zu unterscheiden”, heißt es in der Begründung ihres Beschlusses. Die angeführten rechtlichen Bedenken des Kreises Steinfurt hält die Kammer für “sachlich nicht nachvollziehbar”. Sie verweist in dem Zusammenhang auf die Beschlüsse des Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahr 2012 (PDF) und des Bundesgerichtshofs von 2014.
Durch sie wurde der Handel mit gebrauchter Software endgültig legalisiert, unabhängig davon übrigens, ob die Programme auf einem physischen Datenträger oder per Download übertragen werden. Laut BGH ist zudem auch die Aufspaltung von Volumenlizenzen für den Weiterverkauf rechtlich sauber möglich. Unbestritten bliebt bei all dem natürlich, dass sich die Software nicht “vermehren” darf: Wer zusätzliche Lizenzen erschafft oder Kopien in Verkehr bringt, für die keine Lizenz vorliegt, macht sich immer noch strafbar.
Laut Michael Helms, Vorstand von Soft&Cloud hat der Beschluss der Vergabekammer Westfalen “Signalwirkung” und schiebe “der weit verbreiteten Diskriminierung von gebrauchter Software bei öffentlichen Ausschreibungen endgültig einen Riegel vor”. Helms zufolge ist es nach wie vor die Regel, dass Lizenzen zweiter Hand bei öffentlichen Ausschreibungen ausgeschlossen werden.
Der Händler, dessen Unternehmen europaweit agiert, führt das auf die mangelnde Kenntnis der Rechtslage bei IT-Verantwortlichen und auf die Drohkulisse der Softwarehersteller zurück, die teilweise mit falschen Behauptungen für Verunsicherung sorgten. Für sie schaffe der Beschluss der Vergabekammer endgültig Klarheit.
Auch Marc Opitz, Experte für Vergaberecht der Kanzlei Kapellmann Rechtsanwälte und Rechtsbeistand der Soft & Cloud AG erklärt: “Die Entscheidung ist in dieser Form einmalig in Deutschland und hat Präzedenzcharakter.” Die nun erforderliche neue Ausschreibung werde man “genau prüfen” und gegeben falls “nochmals rechtliche Schritte einleiten”.
Helms fügt hinzu: “Der Umgang mit Steuergeldern, wie er hier praktiziert werden sollte, ist höchst fragwürdig.” Die vom Kreis Steinfurt ausgeschriebenen Office-2016-Lizenzen könnten ihm zufolge “ohne Abstriche bei der Produktqualität gebraucht bis zu 50 Prozent günstiger erworben werden.” Nach Einschätzung von Helms hätte der Auftrag in seiner ursprünglich vorgesehenen Form etwa ein Volumen von rund 400.000 Euro gehabt. “Das bedeutet, dass der Kreis ohne Not über 200.000 Euro mehr ausgeben wollte als eigentlich nötig gewesen wäre. Jetzt wird er zum Sparen gezwungen.”
Anderswo teilen öffentliche Auftraggeber die Bedenken der Verantwortlichen im Kreis Steinfurt übrigens nicht. So hat sich zum Beispiel schon 2013 die Polizei Thüringen für Gebrauchtsoftware entschieden und 2014 die Stadt Nürnberg den Schritt gemacht. Außerdem ist zum Beispiel vom Bundessozialgericht in Kassel, den Städten München und Fürth, sowie den Stadtwerken Cottbus bekannt, das sie Gebrauchtsoftware erworben haben. In Nordrhein-Westfalen sind die Stadt Witten sowie der Kreis Viersen Nutzer von Second-Hand-Lizenzen.