Mitel will Polycom für rund 1,96 Milliarden Dollar übernehmen
Der kanadische Spezialist für Telefonanlagen und Telefonapparate zahlt damit einen Aufschlag von 22 Prozent für die Aktien des US-amerikanischen Audio- und Videokonferenzanbieters. Der konnte in den vergangen Jahren seine früher unangefochtene Position im Bereich Audiokonferenzen nicht in das veränderte Marktumfeld hinüberretten.
Der kanadische Telefoniespezialist Mitel hat die Übernahme der US-amerikanischen Firma Polycom, eines ausgewiesenen und im Markt gut etablierten Spezialisten für Audio- und Videokonferenzen, angekündigt. Für den Pionier im Bereich Audiokonferenzen werden die Kanadier gemäß der Übernahmevereinbarung rund 1,96 Milliarden Dollar bezahlen. Das entspricht einem Aufschlag von 22 Prozent auf den Wert der Polycom-Aktie vom 15. April. Pro Anteilsschein gibt es 3,12 Dollar in bar und 1,31 Mitel-Stammaktien. Wie üblich ist für die Transaktion noch die Zustimmung der Aufsichtsbehörden sowie der Aktionäre erforderlich.
An den Polycom-Aktionären zumindest sollte sie nicht scheitern. Die dürften froh sein, ein derartiges Angebot zu bekommen. Denn aus einer einst nahezu unangefochtenen Position im Audio-Konferenzbereich heraus hat sich Polycom im Laufe der Zeit zu einem zwar technisch nach wie vor gut aufgestelltem und durch zahlreiche Partnerschaften auch gut im Markt verankerten, aber lediglich in einer Nische erfolgreichem Anbieter gewandelt. Zu schaffen machte ihm einerseits, dass mittlerweile jedes Mobilgerät über Mikrofon und Kamera verfügt und sich damit grundsätzlich zur Einwahl in Konferenzen nutzen lässt. Dadurch wurde das Geschäft mit speziellen Konferenzendgeräten schwieriger.
Andererseits kamen auch immer mehr und immer besser funktionierende, meist cloud-basierenden Dienste für Telefon- und Videokonferenzen auf den Markt. Die bieten zwar oft nicht dieselbe Qualität wie Systeme von Polycom und anderen, spezialisierten Anbietern, sind für die Anwender – auch in Firmen – aber offenbar oft genug ausreichend gut. Das gilt insbesondere, wenn mit bereits bekannten Personen konferiert werden soll.
Die naheliegende Strategie, das Angebot um Videokonferenzsysteme zu erweitern, brachte keine entscheidende Trendwende. Hier besetzen den lukrativen High-End-Markt einerseits Firmen wie Cisco, andererseits drängten preisaggressive Anbieter wie Lifesize, Logitech oder Vidyo von unten nach. Zudem wurden in den vergangenen Jahren Konferenz und Kollaborationsdienste nicht nur von Telekommunikationskonzernen, sondern auch etablierten IT-Firmen wie Citrix sowie spezialisierten Start-ups wie BlueJeans Networks oder Veeting Rooms angeboten – um nur einige beispielhaft zu nennen. Des Weiteren sorgten auch Anbieter wie Nfon oder Unify, die den noch jungen Markt für Unified Communication as a Service (UCaaS) mitbestimmen, der sich ausgesprochen dynamisch entwickelt, für zusätzlichen Druck auf traditionelle Anbieter von Konferenzsystemen wie Polycom.
Und schließlich bedrängten neue, aus ganz anderen Bereichen kommende Anbieter die etablierten Marktteilnehmer. Firmen wie Jabra und Sennheiser tragen mit ihren Angeboten von Anfang an den neuen und flexibleren Arbeitsgewohnheiten in Firmen Rechnung. Sie ermöglichen es, auch unkompliziert irgendeinen Raum in einen Konferenzraum zu verwandeln. Jabra kann das mit dem Speak 810 eher für kleine Räume, Sennheiser TeamConnect Wireless schafft das auch bei größeren und bei höheren Ansprüchen.
Dennoch ist Polycom nicht zu unterschätzen: die entwickelten Technologien haben ebenso ihren Wert wie die umfassenden Partnerschaften mit diversen Branchengrößen, darunter Cisco, Microsoft in Bezug auf dessen Angebote Skype for Business und Office 365, sowie mit Avaya. Ob die nach der Übernahme langfristig fortbestehen ist zumindest im Fall von Avaya zweifelhaft.
Für Mitel, das aktuell mit Vidyo kooperiert, ist der Kauf von Polycom also durchaus sinnvoll. Erstens schwächt er Mitbewerber, zweitens bringt er Technologie-Know-how ins eigene Unternehmen, das bislang von extern hinzugeholt werden musste und drittens baut es die Position des Anbieters im Markt durch die Partnerschaften von Polycom aus. Mitel hat nach mehreren wenig erfolgreichen Anläufen – unter anderem im Kielwasser von HPs Netzwerksparte – im deutschsprachigen Markt erst ab 2014 richtig Fuß fassen können. Es übernahm damals die ebenfalls aus Kanada stammende Firma Aastra, die sich wiederum in den Markt hierzulande zwischen 2003 und 2005 mit den Übernahmen von Ascom, der EADS-Telefonanlagensparte und dem deutschen Traditionsunternehmen DeTeWe eingekauft hatte.