Das Ende des Mooreschen Gesetzes: Was treibt den Fortschritt nun voran?
Über 50 Jahre lang beschrieb dieses Gesetz akkurat die Evolution des Computerchips, womit es zum Tragpfeiler des gesamten digitalen Fortschrittes wurde. Lars Jaeger, der Autor dieses Gastbeitrags für silicon.de, zieht Bilanz.
Es gilt als Grundgesetz und Wahrzeichen der digitalen Revolution: das Mooresche Gesetz. Im Jahr 1965, nur wenige Jahre nach Erfindung der integrierten elektronischen Schaltung, behauptete der Halbleiter-Pionier und spätere Mitbegründer der Firma Intel, Gordon Moore, dass sich die Anzahl der Komponenten auf einem integrierten Schaltkreis pro Flächeneinheit jedes Jahr verdoppeln wird. Später modifizierte er die Zeitspanne auf zwei Jahre, und schließlich formulierte sein Intel-Kollege David House das Gesetz in seiner heutigen geläufigen Form: die Rechenleistung von Computerchips verdoppelt sich alle 18 Monate.
Über 50 Jahre lang beschrieb dieses Gesetz akkurat die Evolution des Computerchips, womit es zum Tragpfeiler des gesamten digitalen Fortschrittes wurde. Doch würde die Welt so viel anders aussehen, wenn die Verdoppelung in langsameren Schritten gekommen wäre, zum Beispiel nur alle fünf oder zehn Jahre?
Wer das fragt, versteht die mathematische Dynamik exponentiellen Wachstums nicht. So wären im Fall, dass sich die Rechenleistung der Chips seit 1965 nur alle fünf Jahre verdoppelt hätte, die heutigen Chips nur den 15 Millionstel Teil so schnell, also ungefähr so schnell wie die Chips im Jahr 1981. Das Smartphone (eingeführt im Jahr 2007) gäbe es erst im Jahr 2104.
Noch dramatischere Konsequenzen hätte eine Verdopplungszeit von 10 Jahre gehabt: Wir wären heute computertechnisch erst im Jahre 1974, und das Handy gäbe es erst im Jahre 2243! Moore selbst war sich der Tragweite “seines Gesetzes” sehr bewusst, was ihn solche Wunderdinge wie Heimcomputer, digitale Armbanduhren, selbstlenkende Fahrzeuge und “persönliche tragbare Kommunikationsgeräte” (also Handys und Smartphones) voraussagen ließ.
Nun ist das Mooresche Gesetz natürlich kein Naturgesetz, schon allein deshalb, weil ewiges exponentielles Wachstum jegliches Naturgesetz bricht. Es lässt sich vielmehr als ökonomisches Gesetz verstehen. Einmal formuliert und popularisiert, bildete es den Rahmen der Entwicklungspläne in der Halbleiterindustrie, denen es wiederum zu verdanken ist, dass das Wachstum der Computer-Rechenleistung bislang tatsächlich exponentiell verlief.
So legt die Halbleiter-Industrie seit den 1990er Jahren alle zwei Jahre einen expliziten Fahrplan vor, um die Arbeit von Hunderten von Herstellern und Zulieferern so zu koordinieren, dass das Mooresche Gesetz seine Gültigkeit behält – was es eher zu einer “sich selbst erfüllenden Prophezeiung” als einem “Gesetz” werden ließ.
Dabei kam den Herstellern zugute, dass die Chips bis heute so vielseitig einsetzbar waren, dass es ihrer nur sehr wenige verschiedene Arten bedurfte – hauptsächlich Prozessoren und Speicher-Chips, die sich dann großen Mengen verkaufen ließen. Das ermöglichte den Unternehmen, immer wieder das notwendige Kapital für die Entwicklung der nächsten Chip-Generation aufzubringen. Allein Marktführer Intel investiert jährlich rund zehn Milliarden US-Dollar in Forschung und Entwicklung, wovon ein signifikanter Anteil dazu verwendet wird, das Mooresche Gesetz zu erfüllen.
Doch bereits 1989 gab es erste Warnungen, dass die Bauteile zu klein wurden. Das erste Problem ist die Hitze, die unvermeidlich entsteht, wenn immer mehr Stromkreise auf immer kleinere Flächen integriert werden. Denn Elektronen, die sich immer schneller durch immer kleinere Schaltkreise bewegenden, heizen die Chips immer stärker stark auf.
Doch noch grundlegender ist das zweite Problem: Die elektronischen Strukturen erreichen unterdessen Größenordnungen von circa 10 Nanometer. Und in etwa fünf Jahren sollen es nur noch zwei bis drei Nanometern sein. Dies entspricht der Größenordnung von circa zehn Atomen.
Spätestens dann herrschen die Gesetze der Quantenmechanik komplett über das Geschehen, und die in der Quantenwelt herrschende Unschärferelation macht das Verhalten der Elektronen und somit das der Transistoren hoffnungslos unzuverlässig (was hauptsächlich an dem dann einsetzenden “quantenmechanischen Tunnelstrom” liegt).
So sagte Moore 2007 selbst das Ende seines Gesetzes voraus und gab ihm damals noch 10 bis 15 Jahre, bis eine fundamentale physikalische Grenze erreicht sein sollte. Und dort sind wir unterdessen fast angekommen. So basiert auch der im März 2016 von der Halbleiter-Industrie vorgelegte Fahrplan für die weitere Chip-Entwicklung der nächsten Jahre erstmals nicht mehr auf dem Mooreschen Gesetz. Und in seinem letzten Jahresbericht schreibt Intel, dass sich die Firma in der Zukunft nicht mehr am Mooreschen Gesetz orientieren werde.
So ist wohl einer der fundamentalen Treiber des technologischen Fortschritts der letzten 50 Jahre schon bald ausgereizt, und eine bahnbrechende Entwicklung unseres Zeitalters findet sein Ende. Ist dies der Anfang vom Ende des elektronischen und digitalen Fortschritts per se? Keineswegs, behaupten die Chip-Hersteller. Was zu Ende geht, ist die uniforme und gemeinsame Anstrengung einer gesamten Industrie, das Mooresche Gesetz einzuhalten.
In der Zukunft werden die Chiphersteller sehr viel differenziertere und spezifischere Wege gehen müssen. Dabei wird es nicht mehr darum gehen, die Chips allesamt besser zu machen und sie dann uniform für die diversesten Anwendungen einzusetzen. Man wird eher von den Anwendungen selbst ausgehen, die unterdessen so verschieden sind wie Smartphones, Computerspiel-Grafik und Supercomputer bis hin zu Cloud-Datenzentren, und dann bestimmen, welche Chips wofür am geeignetsten sind. Und mit der Entwicklung mobiler und mit sehr vielfältigen Bedürfnissen kommenden Computern sind solche Differenzierungen im Chipdesign auch bereits zu einer ökonomischen Notwendigkeit geworden. Denn die neuen mobilen Anforderungen erfordern die Herstellung vieler verschiedener Recheneinheiten, von denen hingegen jeweils viel weniger verkauft werden.
Und dies beschränkt das verfügbare Kapital für ihre Entwicklung und Herstellung. Daniel Reed, Vizepräsident für Forschung der University of Iowa, formuliert dies wie folgt: “Ich würde wetten, dass uns das Geld ausgeht, bevor uns die Physik stoppt”. Reed vergleicht die zukünftige Entwicklung in der Chipfertigung mit der Entwicklung von Flugzeugen. Eine Boeing 787 ist nicht schneller als eine 707 aus den 1950er Jahren – aber sie sind völlig unterschiedliche Flugzeuge. Die 787 kommt mit Innovationen wie vollständig elektronischen Kontrollen und einem Rumpf aus Kohlenstofffasern. Das wird in der Entwicklung von Computern ähnlich sein. “Es wird weiterhin Innovationen geben, aber sie werden nuancierter und komplizierter sein.”
Aber es gibt auch die Aussicht auf grundlegend neue Ansätze, denen die Grundlagenforschung heute bereits nachgeht, und die den technologischen Fortschritt für Computer beständig fortschreiten lassen und vielleicht sogar dem Mooreschen Gesetz zu andauernder Gültigkeit verhelfen könnten. Dazu zählen alternative Trägermaterialen für die elektronische Schaltkreise wie Graphen oder Kohlenstoffnanoröhrchen, spintronische Elemente (die nicht wie herkömmliche elektronische Schaltungen mit sich bewegenden Elektronen arbeiten, sondern mit den umklappenden Spins der Elektronen), neuromorphe Systeme (deren Elemente sich an der neuronalen Struktur unseres Gehirns orientieren), die Integration von Speicher- und Prozessor-Funktionalität in das gleiche Bauteil (so genannte “Mem-Computer”), eine dreidimensionale Chip-Architektur (in der statt flache Schaltkreise auf die Oberfläche eines Silizium-Wafers zu ätzen, dünne Siliziumschichten mit Schaltkreisen übereinander gestapelt werden – was allerdings nur bei Speicherchips funktioniert, bei denen es kein Wärmeproblem gibt, da sie nur bei einem Speicherzugriff Energie verbrauchen), und zuletzt auch die mögliche Entwicklung eines Quantencomputers, der die gesamte digitale Welt revolutionieren könnte.
Auch wenn diese Alternativen bislang kaum den Schritt aus dem Labor heraus geschafft haben, werden der Chip- und Computer-Industrie kaum die Ideen zum weiteren Ausbau der digitalen Möglichkeiten ausgehen. Interpretiert man daher das Mooresche Gesetz allgemeiner, dass sich einfach der Nutzen der elektronischen Grundbausteine für Benutzer und Endverbraucher alle 18 Monate verdoppelt, so ist davon auszugehen, dass das Gesetz noch lange seine Gültigkeit behalten wird.
Denn der menschlichen Kreativität sind kaum Grenzen gesetzt. Die nächste digitale Revolution wird schon bald nach Abschluss der ersten Revolution, die mit dem Mooreschen Gesetz in seiner herkömmlichen Form zu Ende zu gehen scheint, beginnen. Auf jeden Fall treten wir in ein neues und zweifellos aufregendes Zeitalter des technologischen Fortschrittes ein.