Werner von Siemens hatte in einer 150 Quadratmeter großen Werkstatt im heutigen Berlin Friedrichshain Zeigertelegrafen gefertigt. Damit war er im Jahr 1847 sozusagen ein Startup. Mut und Erfindergeist ist aber vielleicht das was dem Weltkonzern Siemens heute am meisten fehlt. Eine Anstellung bei dem Münchner Konzern kam noch vor wenigen Jahren quasi einer Verbeamtung gleich und ähnlich dynamisch wie eine Behörde agierte auch Siemens, das sich in den zurückliegenden Jahren vor allem auf Kernbereiche zurechtstutzte und alle anderen Sparten nach und nach abstieß.
Das soll sich aber jetzt mit der neuen Unternehmensgruppe next47 (in Anlehung an das Gründungsjahr 1847) ändern. Siemens will in den nächsten fünf Jahren in diesen Bereich 1 Milliarde Euro in “Disruptive Ideen” investieren.
Der neue Bereich wird kommissarisch von Technik-Vorstand Siegfried Russwurm geleitet und startet ab 1. Oktober in Berkeley, Shanghai und München. next47 soll, wie es von Siemens heißt, das “beste aus zwei Welten” kombinieren: “Flexibilität, Schnelligkeit und Unabhängigkeit mit einer globalen Kundenbasis, langjähriger Erfahrung, Glaubwürdigkeit und Finanzkraft”. Die neue Einheit wird weitgehend eingenständig agieren, aber dennoch auf Konzernressourcen zugreifen können.
Zudem soll nex47 auch die bereits bestehenden Start-up-Aktivitäten von Siemens erweitern. Die neue Organisation soll Siemens-Mitarbeitern aber auch externen Vordenkern “Freiräume für Innovationen” ermöglichen und das “ohne die organisatorischen Einschränkungen eines Konzerns”, betont Russwurm.
“Siemens war 1847 selbst ein Start-up – gegründet in einem Berliner Hinterhof”, sagte Joe Kaeser, Vorstandsvorsitzender der Siemens AG. “Mit next47 folgen wir den Idealen unseres Unternehmensgründers und schaffen eine wichtige Innovationsbasis für die Weiterentwicklung von Siemens.” Die neuen Projekte sollen sich an den Siemens-Kernthemen Elektrifizierung, Automatisierung und Digitalisierung orientieren.
Bereits im April 2016 wurde zusammen mit Airbus ein next47-Projekt vereinbart. Gemeinsam wollen beide Unternehmen die Elektrifizierung der Luftfahrt entwickeln, bis 2020 soll die technische Machbarkeit von hybrid-elektrischen Antriebssystemen für kleinere Luftfahrzeuge bis hin zu mittelgroßen Passagierflugzeugen nachgewiesen werden. Künstliche Intelligenz, autonome Maschinen, dezentrale Elektrifizierung und vernetzte Mobilität sind wie auch Blockchain-Anwendungen ebenfalls Fokus-Themen der neuen Innvoationssparte.
Siemens ist als großer Konzern eigenen Gesetzen unterworfen. Vorstandchef Joe Kaeser erklärte etwa, dass die Hälfte aller Siemens-Produkte und -Services vor 10 Jahren so noch nicht auf dem Markt waren. Auch wenn das Unternehmen Entwicklungen vorantreibt, fehlt dennoch der Start-up-Charakter. Wenn Siemens auf der einen Seite in Windkraftanlagen investiert und auf der anderen Seite den Fracking-Lieferanten Dresser-Rand für 7,8 Milliarden Dollar übernimmt zeigt das, welch unterschiedliche Erwartungen das Unternehmen erfüllen muss.
2014 hatte Kaeser berichtet, dass Siemens es abgelehnt hatte, in Cisco Systems zu investieren, weil das Unternehmen eine Konkurrenzzechnologie zu den eigenen Telefonanlagen darstellte. Heute heißt die Telefon-Sparte Unify und hat mit Siemens nichts mehr zu tun. Cisco hingegen ist ein prosperierendes Unternehmen.
Kaeser, der selbst mehrere Jahre im Silicon Valley verbracht hat, will nun vermehrt den Spirit dieser Innovationsschmiede auf Siemens übertragen – getreu dem Motto: Man probiert etwas aus, und wenn es nicht klappt, dann versucht man etwas anders. Weil man sich das aber mit einem 350.000 Mitarbeiter starken Team nicht erlauben kann, wird diese Innovationskraft in das Versuchslabor next47 ausgegliedert.
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