Die Digitalisierung beziehungsweise digitale Transformation der Wirtschaft, oft unter dem Schlagwort “Industrie 4.0” zusammengefasst, sei in Wahrheit viel mehr als das, erklärte Olaf Röper, Ex-CIO (Chief Information Officer) der ThyssenKrupp Industrial Solutions AG, auf dem diesjährigen Executive Roundtable der top itservices. Weil sich das menschliche Verhalten durch digitale Technologien immer schneller ändere, so Röper, stünden Wirtschaft und Gesellschaft vor der Frage, ob es richtig ist, zu versuchen, die Digitalisierung umfassend zu beherrschen oder den anscheinend unaufhaltsamen Trend einfach laufen zu lassen.
Zu seinen Executive Roundtables lädt top itservices, Anbieter von Personaldienstleistungen im Bereich IT & Engineering, regelmäßig Verantwortliche für Technologie und organisatorische Transformation zum Gedanken- und Erfahrungsaustausch ein. “Impulsvorträge bilden dabei den Anstoß für meist sehr angeregte Diskussionen“, erläutert Dr. Nils Middelberg, Leiter Strategie und Marketing von top itservices. Bei der jüngsten Veranstaltung ging es unter anderem um die Voraussetzungen im Unternehmen für den digitalen Wandel und darum, wie sich die Rolle der CIOs in dem Zusammenhang ändere. Bei der CIO-Diskussionsrunde waren IT-Verantwortliche des Landmaschinenherstellers Claas, des Abfüll- und Verpackungsanlagenherstellers KHS, des Werkzeugmaschinenbauers DMG Mori (Ex-Gildemeister) und der Geschäftsbank HSBC Trinkaus & Burkhardt vertreten. Moderiert wurde die Runde von Olaf Röper.
Beherrschen oder laufen lassen: Offenbar tendieren Unternehmen zu der zweiten Haltung – beziehungsweise überschätzen sich bei weitem, was die bereits erreichten Ziele angeht. Das zumindest legen Umfrageergebnisse des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) nahe: Auf einer Skala von 1 (Digital wenig entwickelt) bis 6 (Digital voll entwickelt) schätzen Unternehmen der Informations- und Kommunikationsbranche sich naturgemäß sehr hoch ein: mehr als 90 Prozent sehen sich auf Stufe 4 oder höher. Um 70 Prozent liegen im Vergleich dazu die Branchen Industrie- und sonstige Dienstleistungen, bei knapp 60 Prozent der Handel. Auch im Verkehrs- und Gastgewerbe sehen sich mehr als die Hälfte der Unternehmen auf Digitalstufe 4 oder besser.
Branchenkenner diagnostizieren Selbstüberschätzung, unterstützt auch durch Ergebnisse einer Umfrage des IT-Branchenverbands Bitkom: Demnach unterschätzen einerseits die Geschäftsleitungen gerade kleiner und mittelständischer Unternehmen die Bedeutung der IT. Andererseits, so Gregory Blepp vom IT-Dienstleister NetDescribe GmbH, hätten die IT-Verantwortlichen in diesen Unternehmen nur selten vor der Herausforderung gestanden, Daten aus allen Geschäftsprozessen so auszuwerten, dass sie dem Management neue, wertvolle Erkenntnisse liefern.
Gerade das aber sei die Erwartung. Das Motto: “Die Daten sind doch da, also wo ist das Problem?” sei eines der typischen Missverständnisse zwischen IT und Business. Erfolgreiches IT-Management in Zeiten der Digitalisierung setze unter anderem voraus, dass Daten in Echtzeit bereitgestellt werden und dass das Beharren auf Zuständigkeiten ein Ende hat. Blepps Forderung daher: “Silos aufbrechen”.
Noch einen Schritt weiter ging Dr. Hubert Staudt, Vorstand von top itservices. Wer erfolgreich sein will, müsse den Mut haben, Ideen und Modelle aus anderen Branchen zu “leihen”. Zwei Beispiele nannte er: Vorbild für Verlage wie Springer seien heute nicht mehr andere Verlage, sondern es sei Facebook, das mit seinen extrem wirkungsvollen Mechanismen der Nutzerbindung künftig als Rollenmodell diene. Und die Post orientiere sich in Zukunft nicht mehr an anderen Logistikern und Zustelldiensten, sondern an Amazon mit seinem voll-integrierten, digitalen Service-Modell, das auf präzisen Kenntnissen der Vorlieben und Konsummuster der Kunden beruht – also auf Daten.
Digitalisierung, das ist unter anderem die Entwicklung von Diensten, mit denen Einkommen auf der Basis von Daten erzielt wird, definierte im Forum Philip Vospeter, Head of Digital Transformation und damit der interne Botschafter der Digitalisierung beim Landmaschinenhersteller CLAAS KGaA mbH im ostwestfälischen Harsewinkel. Das setzte allerdings einen Kulturwandel auf allen Ebenen einer Organisation voraus: “Der Mindset muss passen, sonst funktioniert die ganze Digitalisierung nicht”.
Digitaler Mindset – damit ist das Bewusstsein auf allen Ebenen eines Unternehmens für die möglichen Auswirkungen digitaler Technik auf die Geschäftsmodelle gemeint. Um das zu erreichen, seien Impulse von außen unverzichtbar, stellte Peter Schneider fest. Der Geschäftsführer und CIO der ABLE Management Services GmbH bezweifelte generell, dass ein Unternehmen die erforderliche Innovationskraft für die digitale Transformation aus sich selbst heraus aufbringen kann. Das gelte es auf allen Ebenen zu berücksichtigen, so Thomas Siekmann, Chief Digital Officer (CDO) bei der Müller Lila Logistik AG: in der IT selbst, aber auch bei Personalauswahl und –rekrutierung in allen Bereichen.
Bei CLAAS, schilderte Philip Vospeter, seien die ersten Schritte zur Digitalisierung gemacht: Die “Digitale Agenda” ist in der Geschäftsstrategie verankert und die Tochtergesellschaft CLAAS E-Systems entwickelt elektronische Bordsysteme für Landmaschinen. Das Geschäftsmodell der Ostwestfalen befindet sich ebenfalls bereits auf digitalen Pfaden. Beispiel: Früher verlief die Lieferkette ausschließlich über Händler, heute können smarte Services, zum Beispiel maschinenbezogene Software, direkt über den Online-Shop bestellt werden. Claas ist zudem wesentlich beteiligt an 365farmnet.de, einer Online-Lösung für das komplette Management landwirtschaftlicher Betriebe, von der Anbauplanung bis zur Ernte, vom Acker bis zum Stall, von der Dokumentation bis zur Betriebsanalyse.
Und die Zukunft schildert Vospeter so: Landwirtschaftliche Lohnunternehmer arbeiten auf der Fläche, teils mit selbstfahrenden Maschinen. Mähdrescher etwa bewegen sich dann, per Satellit gesteuert, auf optimalen Wegen, um den Ackerboden möglichst wenig zu verdichten. Transport-Traktoren werden unterdessen zum Abtanken möglichst ressourcenschonend an den optimalen Übergabepunkt gesteuert.
Hunderte von Sensoren melden unterdessen in Echtzeit den technischen Zustand jeder Maschine an den Hersteller, um Wartungsbedarfe oder Schäden möglichst schon präventiv zu erkennen und auf Wunsch des Maschinenbesitzers entsprechende Maßnahmen einzuleiten. Während die Maschine noch läuft, werden Ersatzteile – teils per Drohne – zum Einsatzort gebracht. Mithilfe von 3D-Videos, die per Augmented-Reality-Brillen ins Realbild eingespiegelt werden, nehmen dann die Maschinenführer oder Kräfte von lokalen Partnerunternehmen des Herstellers die Reparatur schnell und kostengünstig selbst vor, anstatt auf hochspezialisierte, teure Mechaniker zu warten.
Entsprechende interne Prozesse müssen Hersteller wie CLAAS allerdings noch entwickeln, räumt Vospeter ein. Noch sei die interne Organisation, etwa im Kunden-Support, nicht auf derartige digitale Endkundenbeziehungen eingerichtet. Und es gehe sogar schon weiter, so der CLAAS-Mann, der Branchengrenzen verschwinden sieht: Zum Beispiel könnten Saatguthersteller oder -händler, sogar Softwarefirmen, den Endkunden eine komplette Service-Kette von der Saat über die Wachstumsüberwachung und Düngung bis hin zur Ernte anbieten und mit Landmaschinenherstellern in Wettbewerb treten.
An der Digitalisierung sind alle beteiligt. Die Frage nach der Rolle der IT-Verantwortlichen in den Unternehmen ist darum in der Fachdiskussion etwas aus dem Fokus gerückt. Olaf Röper glaubt denn auch, dass “kooperative Verantwortung” geschaffen werden müsse. “Die Leute von der IT kennen die Technologie und die aus dem Business kennen die Schwächen im Prozess”.
Dennoch komme den CIOs weiterhin eine wichtige Rolle zu, stellten Christian Niederhagemann vom Abfüll- und Verpackungsanlagenhersteller KHS GmbH und Michael Holuch vom Werkzeugmaschinenbauer DMG Mori AG (Ex-Gildemeister) fest. Speziell bei der Digitalisierung von Fertigungsprozessen für die Industrie 4.0 seien IT-Manager gefragt, und zwar am intensivsten in der Vorab-Analyse geeigneter Technologien sowie als Umsetzer von besonders innovativen Projekten. Dabei komme es schon mal vor, “dass die IT das Business, also die Fachabteilungen, vor sich her treibt”, so Niederhagemann. Holuch nennt den Grund für die Wichtigkeit der CIOs in diesem Kontext: IT-Lösungen für die Industrie 4.0 gebe es nicht von der Stange zu kaufen, vielmehr müssten sie individuell entwickelt werden.
Auch Christoph Kecher, Leiter der Softwareentwicklung bei der Geschäftsbank HSBC Trinkaus & Burkhardt AG, ist überzeugt, der Anstoß zu Prozessveränderungen in Richtung Digitalisierung komme oft aus der IT-Abteilung, die damit als Innovationstreiber fungiere. Das müsse im Übrigen agil und entschlossen vor sich gehen, weil Start-up-Firmen – im Finanzbereich als “Fintechs” (Financial Technology Companies) bezeichnet – sonst unaufhaltsam an den etablierten Unternehmen vorbeizögen.
“Der Kunde ist der stärkste Treiber der Digitalisierung”, stellt der Unternehmensberater Klaus Strumberger fest, der zuvor als CIO des Finanzunternehmens MLP AG einschlägige Erfahrungen gesammelt hat. Anbieter von Produkten und Dienstleistungen müssten Mut zu frühzeitigen Digitalisierungsaktivitäten und zu “Trial and Error” haben, um erfolgreiche Angebote machen zu können.
Dazu gehöre auch, das Risiko von Fehlschlägen in Kauf zu nehmen, danach schnell die Reißleine zu ziehen und schnell wieder aufzustehen. Und diese Bereitschaft sei in Deutschland viel zu wenig ausgeprägt.
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guter Artikel - trifft den kern.
Gerade mittelständische Unternehemen überschätze sich. Problem sind die "Datensilos" und heterogene Landschaften. Überall wurde etwas "dazugestrickt und gebastelt". Bei uns geben sich die externen Berater die Klinke in die Hand. Eigene Leute werden nicht weitergebildet. Es wird am falschen Ende gespart. Langfristige Planung, Konzeption und Struktur ist oft nicht vorhanden. Viele Mittelständler fahren mit Vollgas in ihr Datengrab.