Traumberuf IT-Freelancer? Traumberuf IT-Freelancer!
In keiner Branche ist das Wachstum so hoch wie in der IT-Branche. Goldene Zeiten für Projektmanager, Security-Experten und SAP-Gurus. Auch Personaldienstleister, die IT-Fachkräfte vermitteln, freuen sich über gute Geschäfte. Wenn nur der Zeitdruck nicht wäre.
Die Bank hat ein Problem. Es dauert vier lange Tage, bis sie für einen neuen Kunden das Konto eingerichtet hat. Bei der Konkurrenz um die Ecke dauert das nur vier Stunden. Nun haben sich die IT-Abteilung und die Kollegen vom Kundenservice auf ein Projekt geeinigt, das die Eröffnung des Kontos deutlich beschleunigen soll. Projektziel: maximal drei Stunden pro Kontoeröffnung. Zwei Monate lang haben die Teams diskutiert, analysiert, Anforderungskataloge erstellt, Meilensteine festgelegt. Jetzt kommt die praktische Umsetzung. Das für das Projekt erforderliche Budget wurde vor wenigen Stunden freigegeben. Die Realisierung sollen freiberufliche IT-Spezialisten erledigen. Die Bank zahlt gut.
Der leitende Projektmanager ruft beim Personaldienstleister an, der hoffentlich die passenden Freelancer in seiner Datenbank hat. Er erklärt, welche Art Spezialisten er sucht. Weil das Projekt durchgeplant und das Budget freigegeben ist, benötigt man die neuen Mitarbeiter natürlich schnell. Die können am besten schon morgen um acht anfangen.
Das Telefonat ist beendet, es ist 15 Uhr. Jetzt hat auch der Personaldienstleister ein Problem. Wie soll er auf die Schnelle die für diese Aufgabe nötigen, hochkarätigen Spezialisten organisieren? Der zuständige Recruiter klemmt sich sofort ans Telefon und versucht infrage kommende Freelancer zu kontaktieren.
Diese Situation ist vielleicht etwas vereinfacht geschildert, jedoch nicht untypisch für den Arbeitsalltag bei den Personaldienstleistern der IT-Branche. Sie sind zuständig für die “Rekrutierung, Vermittlung und Steuerung von IT-Freelancern” wie es im Branchenjargon heißt. Ihre Kunden benötigen Monate, bis sie ihre Projekte durchgeplant haben, aber wenn sie damit fertig sind, muss es plötzlich schnell gehen und die IT-Freelancer sollen sofort loslegen.
Diese und andere Probleme wurden auf einer Veranstaltung des Marktforschungs- und Beratungsunternehmens Lünendonk diskutiert. Anlass war die Vorstellung der aktuellen Studie “Der Markt für Rekrutierung, Vermittlung und Steuerung von IT‐Freelancern in Deutschland”.
Wie die Dienstleister arbeiten
Die Personaldienstleister und Recruiter beschäftigen ganze Abteilungen, die sich allein um die IT-Freelancer kümmern. Sie telefonieren mit ihnen, organisieren Veranstaltungen, aktualisieren die Profile der Freelancer und halten die Datenbank aktuell. “Wir kümmern uns sehr intensiv um IT-Freelancer”, erklärte Jörn Bäumer, Bereichsleiter Contracting bei der Hays AG auf der Lünendonk-Veranstaltung. Bei Hays sind täglich allein 100 Mitarbeiter damit beschäftigt, die Freiberufler bei Laune zu halten.
IT-Freelancer haben es gut. Sie arbeiten in einer Branche, die wesentlich höhere Zuwachsraten aufweist als die Gesamtwirtschaft. Sie sind begehrte Spezialisten. Und sie werden gut bezahlt. Laut Lünendonk haben 2015 in Deutschland rund 92.000 freiberufliche IT-Experten die Aufträge unter sich aufgeteilt. Sie kamen auf einen Gesamtumsatz von satten 9,2 Milliarden Euro.
Hoher Bedarf an Spezialisten
Ein Grund für den Boom ist der gefühlte oder echte Nachholbedarf, den viele Unternehmen bei der Digitalisierung verspüren. Sie alle stehen unter hohem Innovationsdruck. Die gute Gesamtkonjunktur in Deutschland trägt ebenfalls dazu bei, dass CEOs und CFOs (Chief Financial Officer) Geld locker machen. Deshalb werden zurzeit besonders viele Projekte gestartet. Das hat auch damit zu tun, dass Computertechnik heute in praktisch allen Abteilungen zu Hause ist. Deshalb haben neun von zehn Unternehmensprojekten einen IT-Bezug.
Auch die Vermittler und Dienstleister profitieren. Denn zunehmend sprechen die Unternehmen ihre IT-Freelancer nicht mehr selbst an, sondern beauftragen Agenturen und Dienstleister damit, den Richtigen zu finden. Und hier ist wie eingangs erwähnt, die Geschwindigkeit ein entscheidender Faktor. “Viele Unternehmen haben oft nicht die Möglichkeit, langfristig zu planen. Wenn sie Fachkräfte suchen, muss das dann ganz schnell gehen”, meinte Hartmut Lüerßen, Lünendonk-Partner bei der Präsentation der Studie.
Der Zeitdruck bringt die Recruiter oftmals in eine schwierige Situation. “Denn hoch qualifizierte IT-Freelancer, die zu Hause rumsitzen und auf den Anruf warten, davon gibt es nicht viele”, meint Jörn Bäumer von der Hays AG. In solchen Situation günstig für die Agenturen sind die sogenannten MSP-Geschäfte (Managed Services), auf die Thomas Götzfried, Vorstand der Goetzfried AG hinwies. Darin garantiert der Recruiter dem Kunden, dass er die Mitarbeiter mit den passenden Qualifikationen herbeischafft, kann aber selbst entscheiden, welche Mitarbeiter dies sind. Laut Lünendonk stiegen von 2014 auf 2015 die Umsatzanteile des MSP-Geschäfts von 10,4 auf 11 Prozent.
Hubert Staudt, Vorstand, Top IT Services AG, einem der großen Anbieter unter den Dienstleistern, wünscht sich deshalb bei allen Beteiligten – Agenturen, Unternehmen und Freelancern – mehr langfristiges Denken. “Ein Unternehmen könnte beispielsweise sagen, dass es in drei Monaten wahrscheinlich Leute mit bestimmten IT-Skills braucht”. Der Haken dabei: Freiberufler und Selbstständige und haben wenig Lust, ihren Terminkalender für Aufträge zu blockieren, die sie “wahrscheinlich” bekommen. Sie füllen ihn lieber mit Aufträgen, die mit einer verbindlichen Zusage verbunden sind.
Welche Spezialisten besonders begehrt sind
Die größte Nachfrage besteht derzeit nach SAP-Spezialisten. Außerdem sind Security-Experten besonders gefragt. Eine Ursache hierfür ist der Trend zum Cloud Computing, der gerade in Deutschland auch mittlere und kleine Unternehmen erfasst, gleichzeitig aber viele Sicherheitsfragen aufwirft. Beste Jobaussichten haben auch Projektmanager und Spezialisten für Big Data oder Cloud Computing. Nach wie vor gefragt sind auch die Evergreens der Programmierszene, die Java-Experten.
Hubert Staudt von der Top IT Services AG verwies in der Diskussionsrunde darauf, dass die Branche nicht nur die kreativen und innovativen Experten braucht. Er erklärte das mit einer Fußball-Metapher: “Gesucht werden nicht nur die Top-Leute, die in die Offensive gehen und Innovationen bringen. Unternehmen benötigen auch in der Defensive zuverlässige Leute. Die erledigen die weniger attraktiven, intelligenten Fleißaufgaben.” Für qualifizierte IT-Freelancer ist übrigens die Beherrschung der englischen Sprache wichtiger als Deutsch. Deshalb suchen viele Personaldienstleister europaweit nach geeigneten Mitarbeitern.
Die neue Gesetzeslage
Ein Problem sehen die Manager der Personaldienstleister in den bisherigen gesetzlichen Rahmenbedingungen. Diese regeln die sogenannte Arbeitnehmerüberlassung und die Vergabe von Dienst- und Werkverträgen. Diese Rahmenbedingungen haben bisher offenbar vielfach für Verwirrung gesorgt, zumal “jedes Unternehmen das Gesetz anders interpretiert”, wie Jörn Bäumer erklärt. Er befürchtet, dass die Gesetzgebung im Sozialversicherungsbereich die Innovationskraft der Unternehmen schwächt.
Langsam scheint sich die Situation zu entspannen, denn seit Juni 2016 liegt ein überarbeiteter Gesetzentwurf auf den Tisch, den das Bundeskabinett beschlossen hat. Bis zum Jahresende soll das Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen sein. Dann können auch die Agenturen wieder auf mehr Planungssicherheit setzen.
Umsatzwachstum bei Personaldienstleistern
Die gute Nachricht zum Schluss: Trotz der vieldiskutierten Probleme laufen die Geschäfte bestens. Die Top-Anbieter im Bereich Rekrutierung haben laut Lünendonk 2015 ihren Umsatz durchschnittlich um 11 Prozent gesteigert. Insgesamt wurde ein Umsatzvolumen von mehr als 1,8 Milliarden Euro erzielt, wie aus der Marktsegmentstudie 2016 von Lünendonk hervorgeht. Auch die Zukunft sieht ziemlich rosig aus. 2016 soll das Marktwachstum durchschnittlich 7,6 Prozent betragen, 2017 sogar 8,2 Prozent.
Den Spitzenplatz bei den Agenturen nahm 2015 die Hays AG aus Mannheim ein. Sie verzeichnete einen Gesamtumsatz von 1,5 Milliarden Euro, 2014 waren es noch 1,35 Milliarden Euro gewesen. Seinen Mitarbeiterstamm hat Hays im selben Zeitraum von 1400 auf 1500 erhöht. Das Unternehmen hat zurzeit 17 Niederlassungen in Deutschland. Die steigenden Umsätze der Personaldienstleister sind auch ein Zeichen dafür, dass IT-Freelancer in Deutschland dringend gebraucht werden – spätestens dann, wenn die Bank wieder mal ein Problem hat.