Wie Digitalisierung die Versicherungsbranche verändert
Wie Uber und Mytaxi in der Taxibranche oder Google und Tesla im Automobilsektor sorgen FinTechs und InsurTechs in der Banken- und Versicherungswelt für Bewegung. Um ihre Positionen zu verteidigen, müssen die bisherigen Champions IT-gestützte Prozesse schneller, effizienter und flexibler gestalten, erklärt Karsten Kirsch im Gastbeitrag für silicon.de.
Wenn Publikumsmedien über Digitalisierung berichten, geht es häufig um Handfestes: Selbstfahrende Autos, lernfähige Roboter oder Virtual-Reality-Brillen schaffen es in letzter Zeit regelmäßig in die Hauptnachrichten zur besten Sendezeit. Weniger offensichtlich, aber mindestens ebenso radikal verläuft der digitale Wandel in der Finanz- und Versicherungswirtschaft.
Zunächst waren es die so genannten FinTechs, die sich aus den Geschäftsprozessen der Banken die Rosinen herauspickten und als eigenständige Geschäftsmodelle zu vermarkten begannen. Unternehmen wie Bergfürst, Solarisbank oder N26 sind inzwischen sogar als Banken offiziell zugelassen.
Gleichzeitig bringen InsurTechs nach dem gleichen Prinzip Bewegung in den Versicherungsmarkt. So wurden 2015 laut WMD Brokerchannel weltweit über 800 Millionen Dollar in InsurTech-Start-ups investiert. Sie verfolgen meist das Ziel, die Versicherungsbranche zu verändern oder zu erneuern. Zwar können diese neuen Player bei weitem nicht mit dem Leistungsportfolio einer Allianz, Gothaer oder Axa konkurrieren, aber das müssen sie auch nicht. Denn gerade die Spezialisierung auf kleine Bereiche des Marktes hilft, Geschäftsrisiken zu minimieren und effizienter zu arbeiten. So lassen sich bestimmte Services günstiger anbieten und Kunden gezielter ansprechen.
Ein Beispiel dafür liefert die SituatiVe GmbH in Düsseldorf mit ihrem Angebot “Appsichern“. Egal ob Stadionbesuch, Kita-Ausflug oder Radtour: per Smartphone oder Tablet können Kunden Kurzzeitversicherungen für bestimmte Situationen abschließen. Auch das Fahren des eigenen Autos durch Freunde oder Familienmitglieder lässt sich über die App kurzfristig versichern. Die Situative GmbH übernimmt dabei die Rolle des Maklers. “Spot Insurance” heißt das Geschäftsmodell im Versicherungsfachjargon.
Einen anderen Ansatz wählten die Anbieter von Versicherungs-Apps Getsafe oder Knip. Sie ermöglichen dem Benutzer das einfache Management der Verträge per Smartphone. Nach dem gleichen Prinzip funktioniert allesmeins, eine App für die Verwaltung von Versicherungsverträgen und Finanzprodukten unterschiedlicher Anbieter.
Innovativ heißt mehr als nur mobil
Dass InsurTechs mehr können, als bestehende Geschäftsprozesse zu zerlegen und auf mobilen Endgeräten verfügbar zu machen, zeigt das Angebot Friendsurance der Alecto GmbH in Berlin. Mit mehr als fünf Jahren am Markt gehört das Unternehmen bereits zu den etablierten Anbietern unter den InsurTechs. Auch Friendsurance ist im Grunde eine Online-Variante der klassischen Maklertätigkeit, allerdings mit einer Besonderheit: Friendsurance verspricht Versicherungsnehmern bis zu 40 Prozent Beitragsrückzahlung bei Schadensfreiheit durch das so genannte Peer-to-Peer-Insurance-Konzept. Dazu werden die Versicherten in kleinen Gruppen zusammengefasst, von deren Beiträgen ein Teil in einen gemeinsamen Topf wandert.
Kleinere Schäden werden aus diesem Topf beglichen, größere an die jeweilige Versicherung weitergereicht. Am Ende eines Jahres wird dann der Inhalt des Topfes unter den schadensfreien Mitgliedern aufgeteilt. Nach Angaben des Unternehmens erhielten Anfang 2015 mehr als vier Fünftel (84 Prozent) der Versicherten eine Rückzahlung. Mit der seit Mai verfügbaren kostenlosen App für Android und iOS können Kunden ihre Versicherungen direkt vom Smartphone um den Schadensfrei-Bonus erweitern und ihre Versicherungen online verwalten. Verträge mit voraussichtlicher Beitragsrückzahlung werden dazu im digitalen Versicherungsordner angezeigt.
Erfolgsgeheimnis der InsureTechs: konsequent einfach
Hauptadressaten der InsurTechs und ihrer Apps sind die jungen Zielgruppen, die mit dem herkömmlichen Bild einer Versicherung wenig anfangen können. Für diese technologieaffinen Millennials hat Kundennähe mit dem Aufsuchen einer Bankfiliale oder einem Besuch vom Versicherungsvertreter wenig zu tun. Sie wollen per Smartphone mit dem Anbieter kommunizieren. InsurTechs haben das verstanden und ihre Prozesse konsequent auf Einfachheit für den Kunden getrimmt. Beispielsweise muss der Nutzer einer Versicherungs-App seine persönlichen Daten in der Regel nur einmal angeben. Anschließend werden sie passwortgeschützt im Benutzerkonto gespeichert. Das beschleunigt jeden weiteren Abschluss zusätzlich. Gezahlt wird ebenfalls einfach und schnell per Kreditkarte oder mit verschiedenen Online-Payment-Verfahren.
Hier haben die traditionellen Versicherungskonzerne quer durch alle Sparten noch einigen Nachholbedarf. Wenn sie nicht bald handeln, laufen sie ernsthaft Gefahr, die jüngeren Versicherungsnehmer an die neuen Wettbewerber zu verlieren. Denn weltweit erkennen bereits immer mehr Gründer und Investoren die Chancen für InsurTechs: Nach Angaben des Blog Daily Fintech waren 2015 mindestens 40 InsurTech-Firmen aktiv. Aber auch etablierte Anbieter mischen mit. So brachte der Makler Hoesch & Partner die App “asuro” für das Versicherungsmanagement per Handy an den Start. Und die Allianz bietet mit “Clare” eine App zum Versichern von Handy oder Tablet. Dabei erkennt die Software automatisch das zu versichernde Gerät.
Doch in weiten Teilen der Branche endet die Digitalisierung immer noch beim Scannen von Papierdokumenten oder bei der elektronischen Rechnungsverarbeitung. Das Rationalisierungs- und Innovationspotenzial das gerade in der mobilen Internetnutzung besteht, bleibt weitgehend ungenutzt. Um diesen Missstand zu beseitigen, müssen die Unternehmen ihre IT-Abteilungen besser in die Geschäftsprozesse einbinden.
Carlo Velten, CEO der Crisp Research AG, rät in diesem Zusammenhang, die Rollen von Corporate IT und Product IT klar zu definieren und ihre Zusammenarbeit zu fördern: “Unternehmen brauchen die Möglichkeit, neue Anwendungen und Prozesse schnell in Proof-of-Concepts (PoCs) oder Minimal Viable Products (MVP) umzusetzen und zu testen. Dazu gehört, dass man Anwendungen auf Cloud-Plattformen schnell skalieren kann – und nötigenfalls auch wieder einstampfen.”
Neue IT-Anwendungen müssten aus der Sicht des Nutzers entwickelt werden und die User Experience in den Mittelpunkt rücken. Dabei, so Velten, sind neben klassischen Managementdisziplinen der IT wie Sourcing oder Projektmanagement vor allem Anwendungsentwickler, Datenanalysten, Schnittstellen-Programmierer und Cloud-Architekten gefragt, die sich nicht nur mit den neuen Technologien auskennen, sondern auch in interdisziplinären Teams mit den Fachbereichen zusammenarbeiten. Einige Versicherungen haben dazu auch bereits eigene Organisationen für die Entwicklung und Förderung von Innovationen gegründet. Ihre Vorbilder: Start-ups.