Der deutsche Mittelstand ist über eine frühe Phase der Digitalisierung noch nicht hinausgekommen und vergibt damit erhebliche strategische Potenziale. Das geht aus einer Studie von KfW Research und einer vom Infas-Institut im Auftrag der Förderbank KfW durchgeführten, repräsentativen Umfrage hervor. Demnach ist nur jedes fünfte Unternehmen ein “digitaler Vorreiter”, ein Drittel befindet sich dagegen noch im “Grundstadium der Digitalisierung”. Nach Ansicht der Studienautoren droht kleinen und mittelgroßen Unternehmen damit die Gefahr, den Anschluss zu verlieren.
Immerhin 80 Prozent der Mittelständler haben zwar bereits erste Digitalisierungsprojekte umgesetzt, diese hatten aber überwiegend einen relativ geringen Umfang. Insbesondere Unternehmen mit weniger als zehn Mitarbeitern gaben dafür weniger als 10.000 Euro jährlich aus und planen meist auch keine höheren Ausgaben. Besonders häufig zählen der Studie zufolge Mittelständler mit weniger als 50 Mitarbeitern in Bezug auf Digitalisierung zu den Nachzüglern.
Als Grundstadium der Digitalisierung bezeichnet die KfW es, wenn bei Firmen selbst Grundlegendes Anwendungen wie ein eigener Internetauftritt unterdurchschnittlich verbreitet ist. Die Hälfte der Unternehmen im Mittelfeld nutzt etwa einzelne Anwendungen digital vernetzter Information und Kommunikation. Als “digitale Vorreiter” werden Unternehmen bezeichnet, die schon auf digitale Produkte, Dienstleistungen, Apps oder Industrie 4.0 setzen. Erst kürzlich haben übrigens Salesforce.com und die Experton Group ein einfaches Online-Tool vorgestellt, mit dem Unternehmen feststellen können, auf welcher Station sie bei ihrem Weg in die Digitalisierung gerade sind.
“Die mittelständische Wirtschaft schöpft das Potenzial der Digitalisierung bisher bei weitem noch nicht aus“, erklärt Jörg Zeuner, Chefvolkswirt der KfW Bankengruppe, zu den Ergebnissen der Studie. “Die meisten mittelständischen Unternehmen bauen ihre Digitalisierung zwar aus, gehen dies jedoch überwiegend in kleinen Schritten an.”
Als Grund für Verzögerungen bei der weiteren Digitalisierung nennen 67 Prozent der Unternehmen mangelnde IT-Kenntnisse der Mitarbeiter. 62 Prozent fühlen sich durch Anforderungen von Datenschutz und Datensicherheit ausgebremst, 58 Prozent durch eine unzureichende Internetgeschwindigkeit. 59 Prozent scheuten aus ihrer Sicht hohe Investitions- und Betriebskosten.
32 Prozent der Befragten verweisen auf Finanzierungsprobleme. Die scheinen oft dadurch bedingt zu sein, dass Digitalisierung nicht als strategisches Projekt wahrgenommen wird, sondern eher als Experiment oder Zusatzoption, die sozusagen “aus der Portokasse” finanziert werden. Das wird sich nach Ansicht von KfW-Chefvolkswirt Zeuner aber ändern: “Der Finanzierungsbedarf in der Breite des Mittelstandes wird sich erhöhen, wenn die Unternehmen in Zukunft eine stärkere Dringlichkeit der Digitalisierung wahrnehmen.”
Einen positiveren Eindruck vom Stand der Digitalisierung hatte kürzlich das Institut für Mittelstandsforschung Bonn (IfM). Eine rvon ihm durchgeführten Erhebung zufolge sind deutsche KMU im europäischen Vergleich ganz vorne dabei. Sie setzen demnach besonders häufig Software für Enterprise Resource Planning (ERP) sowie Customer Relationship Management (CRM) ein. Allerdings stagniert der IfM-Studie zufolge die Verbindung der Geschäftsprozesse mit denen von Zulieferern und Kunden. Grund dafür soll mangelndes Vertrauen in die Cloud sein.
Offenbar gehen KfW und IfM von unterschiedlichen Prämissen aus, wenn sie von “Digitalisierung” sprechen. Während die KfW eher die Vernetzung, die Anbindung von eigenen Produkten, deren Fernsteuerung- und Wartung sowie die digitale Abwicklung von Geschäftsprozessen darunter versteht, misst das IfM eher den Durchdringungsgrad mit Software in Teilbereichen der Unternehmen. Doch alleine das Vorhandensein diverser Software reicht nicht.
Darauf hatten IDC und Microsoft bereits im vergangenen Jahr hingewiesen. Einer Umfrage der Marktforscher im Auftrag von Microsoft zufolge rechneten damals 80 Prozent der KMU damit, dass Informationstechnologie einen zunehmenden Einfluss auf das eigene Geschäftsmodell hat und gingen 78 Prozent davon aus, dass es immer umfassender auf Informationstechnologie basiert. Denoch glaubten weniger als die Hälfte, dass sich ihr aktuelles Geschäftsmodell nachhaltig verändern muss, damit sie erfolgreich bleiben.
Als dringende “Digitalisierungsaufgaben” für ihre Firmen sahen die Befragten vielmehr die Verbesserung der Betriebsabläufe (44 Prozent), Kostensenkungen (43 Prozent) und eine Steigerung der Produktivität (37 Prozent). Entwicklung neuer Produkte und Services sowie die Möglichkeit, schneller zu Innovationen zu kommen, nannten lediglich 26 respektive 21 Prozent.
Damit, so Lynn-Kristin Thorenz, Director Research & Consulting bei IDC Central Europe, damals auf einer Presseveranstaltung im Rahmen der CeBIT, sei “der Innovationsgedanke schwach ausgeprägt.” Doch das sei riskant: “Viele Firmen investieren in moderne Lösungen, aber in kleineren Unternehmen fehlt häufig noch ein übergreifender strategischer Ansatz mit Blick auf innovative Geschäftsmodelle.” Dazu kommt, dass nur ein Drittel annimmt, dass branchenfremde Unternehmen oder Start-ups ihr Geschäftsmodell gefährden. Dieses Risiko hält die Analystin für unterschätzt.
“Die bevorstehende vierte industrielle Revolution (Industrie 4.0), die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Wertschöpfungskette und disruptive Technologien wie der 3D-Druck haben das Potenzial, Geschäftsmodelle strukturell zu verändern. Unabhängig von Unternehmensgröße und Umsatz müssen Firmen ihre Produkte, ihre Prozesse und ihr Geschäftsmodell heute permanent überprüfen, nach Effizienzsteigerungsmöglichkeiten suchen und Innovationen fördern”, führte Hagen Rickmann, Geschäftsführer Geschäftskunden Telekom Deutschland GmbH, kürzlich im Gastbeitrag für silicon.de aus.
Seiner Ansicht nach heißt das Ziel Zukunftssicherheit. “Die lässt sich nur erreichen, wenn die Entscheider die Digitalisierung als Chance begreifen. Wenn sie so viele interne und externe Prozesse wie möglich digitalisieren und ihren Kunden jederzeit Kontaktmöglichkeiten bieten. … Digitalisierung ist dabei kein reines IT-Thema, sondern bedeutet in erster Linie das ständige Hinterfragen des eigenen Tuns.” Auch Unternehmen, die in ihrem Marktsegment noch komfortabel unterwegs sind, sollten mit der Digitalisierung beginnen. “Denn wer die Transformation entspannt angehen kann und noch nicht unter einem Veränderungsdruck steht, der hat gute Chancen, seine Marktanteile noch weiter auszubauen.
Gerhard Schlabschi, Director Systems, Technology & Cloud Computing bei Oracle in Europa, stellt in einem Kommentar für silicon.de vor allem die Bedeutung der Cloud bei der Digitalisierung heraus: “IT-Effizienz wird zunehmend zum Schlüssel zu geschäftlichem Erfolg; CEOs und Geschäftsführer fordern daher energisch plausible und gangbare IT-Strategien für den Weg in die Zukunft und erhöhen den ‘Druck auf dem Kessel’. Die Suche nach effizienten Lösungen sowohl für klassische Geschäftsprozesse, als auch für neue Technologien zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit führt CIOs unweigerlich in die Cloud.”
Die Digitalisierung der Industrie macht aber auch die IT zum entscheidenden Produktionsfaktor in allen Geschäftsbereichen. Dadurch sind dann auch neue Führungsqualitäten gefragt. Schlabschi weiter: “Cloud-Technologien ermöglichen und treiben den Wandel von IT-Abteilungen – weg von operationaler Fertigungstiefe, hin zu einem wesentlich breiteren Aufgabenspektrum mit deutlich mehr Geschäftsrelevanz als in der Vergangenheit. Der Weg in die Cloud erfordert daher die ganze Innovationskraft und Führungsstärke von CIOs, denn gerade in puncto Cloud gehen Fachabteilungen gerne ihren eigenen Weg und buchen Services, die ihren ganz spezifischen Bedürfnissen hinsichtlich Funktionalität und Kosten entgegenkommen.”
[mit Material von Bernd Kling, ZDNet.de]
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