[Update] Wie laut darf man im Wohngebiet im Home Office stöhnen?
Das Verwaltungsgericht München muss sich heute mit einem besonderen Fall von Home Office befassen: Die Nachbarn wollen einer 24-Jährigen im bayrischen Ampfing untersagen, ihr nicht ganz Home-Office-typisches Gewerbe in der eigenen Wohnung auszuüben. Das Urteil könnte dennoch wegweisend dafür sein, was im Home Office erlaubt ist und was nicht
Das Verwaltungsgericht München beschäftigt sich heute im Streit zwischen einer 24-Jährigen und dem Landratsamt Mühldorf am Inn am ersten Verhandlungstag mit der Frage, was genau im Home Office erlaubt ist beziehungsweise welche Tätigkeiten als Home-Office-Tätigkeiten gelten. Für Aufsehen sorgt der Fall vor allem deshalb, weil die Klägerin für eine Erotik-Webcam bekannt ist – sich also zu Hause vor der Kamera auszieht und die Aufnahmen kostenpflichtig im Web verfügbar macht.
Auf Betreiben der Nachbarn, die sich durch diese Tätigkeit und wohl auch einige andere Aktivitäten der offenbar recht freizügig lebenden jungen Dame – darunter der Produktion von erotischem Bild- und Videomaterial sowie den damit einhergehenden Besuchsverkehr – gestört fühlen, hatte ihr das Landratsamt untersagt, zuhause ein Gewerbe auszuüben. Wie das Regionalportal Innsalzach24 berichtet hatte, droht ihr bei jeder Zuwiderhandlung ein Bußgeld von 2000 Euro. In dem Bescheid habe die zuständige Abteilung des Landratsamtes Mühldorf auch deutlich gemacht, dass es ihr darum gehe, den “Wohnfrieden in der Siedlung” zu wahren.
Sie argumentiert, die Wohnung liege in einem Wohngebiet, für das der Bebauungsplan kein Gewerbe vorsehe. Nach Auffassung der Behörde handelt es sich auch nicht um einen “Telearbeitsplatz” – also ein klassisches Home Office. Das begründet sie damit, dass die 24-Jährige mit ihrer Tätigkeit “Außenwirkung entfaltet”.
Auch um eine freiberufliche Tätigkeit handelt es sich laut Landratsamt nicht. Laut Bescheid ist nicht erkennbar “dass bei einem Erotikchat im Wege freier schöpferischer Gestaltung Eindrücke, Erlebnisse und Erfahrungen der Bauherrin durch das Medium einer bestimmten Formensprache zur unmittelbaren Anschauung gebracht würden”. Eine “freiberufsähnliche” Tätigkeit liege ebenfalls nicht vor. Dazu sei “ein gewisser Standard an individueller geistiger oder schöpferischer Qualifikation” erforderlich. Aber: “Solche Qualifikationen erfordert eine solche Tätigkeit aber nicht.” Man kennt sich offenbar aus …
Die meisten klassischen Home-Office-Arbeitsplätze dürften die vom Landratsamt genannten Hürden nehmen. Interessant wird das Urteil und vor allem die Urteilsbegründung des Verwaltungsgerichts München dennoch. Denn möglicherwiese enthält sie auch Aussagen dazu, welche Voraussetzungen ein als Arbeitszimmer deklariertes Zimmer einer Wohnung erfüllen muss. Laut Bayerischem Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit unterliegt zum Beispiel auch der “Büroraum in der eigenen Wohnung der Arbeitsstättenverordnung und der Bildschirmarbeitsverordnung und muss einer Gefährdungsbeurteilung unterzogen werden können.”
In dem Streit in Ampfing zum Beispiel den berichten zufolge auch ins Feld geführt, dass die Tätigkeit aus dem laut Plan als Kinderzimmer deklarierten Raum ausgeführt wird. Dieser und einige weitere Aspekte – etwa die postulierte “Außenwirkung” oder inwieweit eine Tätigkeit die Anforderungen an eine freiberufliche Tätigkeit erfüllt, könnten unter Umständen für weitere Verfahren interessant werden. Denn selbst wenn jetzt in Ampfing die Vorwürfe in Bezug auf das “Home Office” nur ein Vorwand sein sollten, weil andere Bereiche des Lebenswandels die Nachbarn stören, so könnte die Urteilsbegründung – je nachdem wie sie ausfällt – auch anderswo und bei weniger umstrittenen Tätigkeiten herangezogen werden, um missliebigen Nachbarn eins auszuwischen.
Update 6. Oktober 2016, 15 Uhr 05: Wie das den Fall aus nächster Nähe begleitende Regionalportal Innsalzach24.de berichtet, hat das Verwaltungsgericht München entschieden, dass die 24-Jährige ihrer Tätigkeit nicht mehr aus der Wohnung im oberbayerischen Ampfing nachgehen darf. Die Urteilsbegründung liegt silicon.de noch nicht vor. Innsalzach24.de zufolge wird die Entscheidung aber damit begründet, dass “die Tätigkeit in nicht unerheblichem zeitlichen Umfang stattfindet und dem am Wohnort angemeldeten Gewerbe der Klägerin, also der dauerhaften und regelmäßigen Erwerbstätigkeit, dient”. Vereinfacht gesagt muss für die Anerkennung eines “Home Office” wohl zumindest an einem anderen Ort ein zentrales Büro vorhanden sein. Einem Gewerbe nur aus dem “Home Office” nachzugehen scheint also nicht zulässig zu sein.