Dell/EMC betont Wahlfreiheit für Endkunden
Auf Details zu Produktstrategie und Channel-Organisation werden Kunden, Partner und Konkurrenz noch bis Februar warten müssen. Doch auf der ersten gemeinsamen Veranstaltung in Deutschland gab es Grundinformationen zur künftigen Ausrichtung und darüber, wie sich das Unternehmen in Zukunft gliedert.
Dell in Deutschland wird eine Doppelspitze haben. Statt sich für einen Geschäftsführer zu entscheiden und damit möglicherweise den anderen Unternehmensteil zu verprellen, wird Dell Deutschland in Zukunft gleichberechtigt von der derzeitigen Dell-Deutschland-Chefin Doris Albiez und vom bisherigen EMC-Boss Dinko Eror geführt. Jeder von ihnen übernimmt zudem die Leitung des Vertriebs an eine bestimmte Kundengruppe: Eror wird die rund 100 Enterprise-Kunden des hiesigen Marktes betreuen, Albiez die Segmente Commercial (Mittelständler unterhalb der Enterprise-Ebene) und Public. Auch die Handelspartner berichten an diesen Bereich.
Kunden, die nicht ausschließlich über den Channel bedient werden, erhalten einen hauptzuständigen Vertriebsbetreuer im Unternehmen. Wer das im Einzelnen ist und ob diese Person von Dell oder EMC kommt, wird in den nächsten Monaten insbesondere Matthias Zastrow beschäftigen, der derzeit als Leiter strategischer Vertrieb des zukünftig vereinigten Unternehmens fungiert. Außerdem soll er die Vertriebsteams zusammenschweißen. Neben dem strategischen Vertrieb gibt es noch nach Produkten oder Produktgruppen sortierte Fachspezialisten, die den Kundenbetreuern zuarbeiten, also etwa mit zum Kunden gehen.
Insgesamt gliedert sich die neue, ab Februar effektiv wie unten beschriebene Großfirma mit dem Holding-Namen Dell Technologies in zwei Bereiche: Dell Inc. einerseits und die strategischen Allianzpartner (Strategically Aligned Partners) VMware, SecureWorks und Pivotal andererseits.
Unterhalb des Daches der Dell Inc. wiederum befinden sich drei Sparten: erstens die Client Services Group unter Leitung von Jeff Clark (Dell), in die beispielsweise Laptops und andere Endgeräte für den Arbeitsplatz eingehen, zweitens die Infrastructure Solutions Group unter Leitung von David Goulden, aktuell EMC-CEO, und drittens den Bereich Global Services, der für lösungsorientiertes Consulting, Installation und Support zuständig ist. Er wird von EMC-Servicechef Howard Elias geführt. Außerdem leitet er das übergeordnete Integrationsteam.
Der Sicherheitsspezialist RSA und der Cloud-Service-Provider Virtustream sind in die Infrastrukturgruppe eingebettet. Sie behalten aber wohl zumindest vorläufig ihre Markennamen.
Allerdings dürfen sie im Gegensatz zu den drei Allianzpartnern ihre Produkte nicht selbst an im Wettbewerb stehende Drittunternehmen lizenzieren beziehungsweise in marktfähige Kooperationslösungen mit solchen Anbietern integrieren. Interessant ist auch, dass die Konvergenzprodukte in einer speziellen Gruppe innerhalb der Infrastrukture Solutions Group, der Convergent Infrastructure Solutions Division (CISD), unter weltweiter Leitung von Chad Sakac, zusammengefasst werden.
Allianzpartner bleiben selbständig
Die relative Selbständigkeit der drei Allianzpartner liegt nahe, schließlich sind zumindest sowohl VMware als auch Pivotal mehr oder weniger mit allen Infrastrukturanbietern im Geschäft, so dass sich ein vollständiger Verlust ihrer Selbständigkeit eher zum Nachteil dieser Unternehmensbestandteile auswirken dürfte. Zastrow ließ im Gespräch mit der Presse durchblicken, dass ein Abgehen von diesem Kurs einige Großkunden nachhaltig verprellen würde.
Zudem bleibt VMware nach heutigem Wissensstand an der Börse, und die immer wieder auftauchenden Gerüchte um Pat Gelsinger, dem derzeitigen Chefs des Virtualisierungmarktführers, gemutmaßten baldigen Abschied wurden entschieden dementiert. Wer die Gebräuche der Branche lange genug kennt, wird derartige Dementis allerdings mit der nötigen Vorsicht genießen.
Gelsinger hin oder her, Eror ließ bei einer Präsentation vor deutschen Journalisten im Vorfeld des EMC/Dell-Forums, das in der Mainzer Rheingoldhalle stattfand, durchblicken, dass gerade NSX in Zukunft eine wichtige Rolle spielen soll. Die Technologie soll Workloads in Multicloud-Umgebungen Beine machen. “Bisher ist es kaum möglich, einen Workload mit seiner IP-Adresse zu verschieben”, orakelte er und verwies auf die im Oktober in Barcelona stattfindende europäische VMworld.
Sonderrollen für Virtustream und Pivotal
Ein weiteres Filetstück aus dem EMC-Portfolio ist der Cloud-Dienstleister Virtustream. Mit dessen professionellen Services im Bereich Enterprise-Anwendungen und Storage will EMC anspruchsvolle Großunternehmen von der Auslagerung zumindest von Teilen ihrer IT in die Cloud überzeugen. Brian Gallagher, der bei EMC viele Jahre für Symmetrix und nun im gemeinsamen Unternehmen für die aufstrebende Cloud Management Group zuständig ist, wurde nicht müde zu betonen, die Zukunft gehöre auf absehbare Zeit der Hybrid Cloud, und für den öffentlichen Teil dieses Angebots habe man mit Virtustream etwas Exzellentes im Portfolio.
Gallagher baut derzeit eine Gruppe von Mitarbeitern auf, die Pivotal, der Open-Source-DevOps-Umgebung Cloud Foundry und Vitrustream zuarbeitet. Cloud Foundry ist sehr wichtig für EMC. Die Open-Source-Plattform für DevOps, zu der bisher Pivotal und EMC am meisten beitragen, allerdings auch IBM, HPE und viele andere, liegt mittlerweile wichtigen Cloud-Umgebungen zugrunde, darunter IBM Bluemix, HP Helion, oder auch SAP HANA.
Derzeit arbeitet eine zweistellige Mitarbeiterzahl für Gallaghers Gruppe, laut Gallagher wächst sie aber. Gallagher legt Wert auf die Feststellung, dass es Dell/EMC nicht darum gehe, Branche oder Kunden zu dominieren: “Andere, etwa Amazon, machen ihre Plattform gar nicht öffentlich. Und wir wollen, dass andere mehr beitragen und stärker Einfluss nehmen.” Jeder könne sich auf Wunsch seine eigene Distribution der Cloud Foundry stricken, viele hätten freilich dazu weder Manpower noch Zeit.
Produktschicksale noch ungeklärt
Wie es mit einzelnen Produkten weitergeht, ist naturgemäß noch recht unklar. Eins scheint jedoch schon heute trotz aller Kontinuitätsbekundungen absehbar: Dells Speicherprodukte werden keine große Rolle mehr spielen. Laut Gallagher sind für Dell/EMC zukünftig vor allem Dells Server sowie die Enterprise-Integrationsplattform beziehungsweise der Service Boomi interessant. Von den Speicherlösungen war keine Rede mehr.
Auch so manche Kooperation des Herstellers könnte schwereren Zeiten entgegengehen. So stellt sich die Frage, warum das fusionierte Unternehmen das Geschäft mit den Hyperkonvergenzlösungen von Nutanix, einem erfolgreichen Dell-Partner, weiterführen sollte, wenn man mit Vxrail selbst Entsprechendes im Portfolio hat.
In Mainz war von Nutanix jedenfalls genau so wenig zu sehen wie in den zahlreichen Präsentationen von Dells Speicherlösungen. Auch für den Einsatz von Cisco-Servern in konvergenten Vxblocks gibt es keinen portfoliobedingten Grund mehr, allerdings wurde die Kooperation mit dem Hersteller vor Kurzem erst einmal um weitere fünf Jahre verlängert. Bei näherem Hinsehen ließen sich sicher noch weit mehr solcher Punkte finden, auch wenn beide Unternehmen glaubwürdig versichern, es gebe “sehr wenige” Überschneidungen im Produktprogramm.
Die ersten neuen Lösungen hat EMC/Dell schon für die erste gemeinsame Weltkonferenz versprochen, die noch in diesem Jahr in Austin/Texas stattfindet. In Mainz hielt man sich fast vollständig bedeckt – immerhin wurde von Dinko Eror kurz ein neuer, besonders dünnes Convertible über die Bühne getragen, dessen Tastatur sich hinten aufs Display klappen lässt, was das gesamte Gerät in ein Tablet verwandelt. Diese Neuerung soll wohl zum Jahresanfang die Verbraucher erreichen.
In nahezu allen bedienten Infrastrukturmärkten (Server, Storage, Konvergenzsysteme, Cloud etc) reklamiert Dell/EMC Marktführerschaft und beruft sich auf IDC-Zahlen. Wie man weiß, sind Statistiken geduldig, so war noch nicht einmal klar, ob sich die Behauptung auf Umsätze oder Stückzahlen bezieht.
Weniger anfechtbar sind die Kennzahlen, die Dell/EMC mit an den Start bringt: Aktivitäten in 180 Ländern, 140.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die nun ein wenig euphemistisch Team-Members heißen sollen, davon über 30.000 im Kundenservice, ein Umsatz von 74 Milliarden Dollar und 20.000 Patente sind eine gute Ausgangsbasis, um sich mit dem großen Konkurrenten HPE auf allen Gebieten zu messen. Weil der sich aber von Druckern und Endgeräten getrennt hat, hinkt ein Vergleich zwischen den beiden Giganten natürlich, und man darf gespannt sein, wie sich die gegensätzlichen Strategien auf die Position der Rivalen auf dem Enterprise-IT-Markt auswirken.