Der Megatrend Digitalisierung führt bisweilen zu ungewöhnlichen Allianzen. Da finden Unternehmen und Institutionen zusammen, die sonst in harter Konkurrenz zu einander stehen. Dabei verbindet sie alle ein gemeinsames Interesse, nämlich das Interesse an qualifizierten Fachkräften und jungen Talenten. Gerade hat sich wieder eine solche Allianz gebildet, die OpenMunich Conference. Zusammengefunden haben sich hier die Münchner Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), der Linux- und Open-Source-Experte Red Hat, der IT- und Strategie-Dienstleister Accenture und Microsoft, das sich ja im Stillen schon länger bei Open Source engagiert, dies aber gerade jetzt mit dem Beitritt zur Linux Foundation noch einmal deutlich gemacht hat.
Zielgruppe der Veranstaltung im November waren Entwickler, IT-Architekten – und natürlich Studenten. Das Motto hieß “Open Source and New IT”. Ein Hauptgrund für die OpenMunich Conference war nicht nur der unverbindliche Gedanken- und Erfahrungsaustausch von IT-Spezialisten. Es ging darum, Studenten der Informatik oder auch aus verwandten Fachbereichen wie Betriebswirtschaft die Möglichkeit zu geben, erste Kontakte zu Unternehmen zu knüpfen. Sowohl Accenture als auch Red Hat hoffen durch solche Kontakte, talentierten Nachwuchs für sich zu gewinnen.
Auch inhaltlich war bei OpenMunich einiges geboten. Vorträge und Break-Out-Sessions sollten demonstrieren, wie auch kleine und mittelgroße Unternehmen von der Digitalisierung profitieren können und vor allem, welche Rolle Open Source dabei spielt. Im Interview mit silicon erklärt Dr. Martin Werner vom Lehrstuhl für Mobile und Verteilte Systeme der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU), der die Veranstaltung mit organisiert hat, was “New IT” bedeutet, welche Rolle Open Source für Start-ups spielt und warum Informatik-Studenten sich mit Open Source beschäftigen sollten.
“Open Source verändert Geschäftsmodelle”
silicon.de: Welche Rolle spielt die LMU bei OpenMunich?
Dr. Werner:: Wir sind der Veranstalter und wollen unseren Informatik-Studenten etwas anbieten, das die Inhalte des Studiums mit der Praxis ergänzt. Die Firmen, die wir als Partner der Veranstaltung hier haben, sind ja sehr tief in den IT-Themen drin, die wir sonst nur theoretisch unterrichten können. Das Feedback der Studenten geht auch genau in diese Richtung.
silicon.de: Wie sieht das konkret aus?
Dr. Werner: Die freuen sich, dass sie einfach mal mit Vertretern von Unternehmen direkt ins Gespräch kommen. Denn vieles, was man als Student in der Theorie hört, ergibt in der Praxis vielleicht keinen Sinn. Und manches, was in der Praxis gemacht wird, kommt in den Vorlesungen nicht vor. Mit dieser Veranstaltung können wir eine Brücke schlagen.
silicon.de: Und warum steht ausgerechnet Open Source im Mittelpunkt?
Dr. Werner: Studenten sind nun mal die stärksten Open-Source-Entwickler und hier auch besonders engagiert. Und deshalb ist es gut, wenn sie hier Kontakt mit einem Open Source-Netzwerk bekommen. Deshalb wünschen wir uns auch, die Veranstaltung jedes Jahr machen zu können. Eventuell mit wechselnden Schwerpunkten.
Was bedeutet “New IT”?
silicon.de: Was genau versteht man unter “New IT” und welche Rolle soll Open Source da spielen?
Dr. Werner: “New IT” bezeichnet die Abwendung von alten Management-Modellen, die alle nach dem Wasserfall-Prinzip arbeiten. Da werden dann einmal von einer zentralen Instanz aus Anforderungen für ein Projekt festgelegt, um diese dann umzusetzen. Und dieses Modell passt nicht in die Open-Source-Welt. Da hat man beliebig viele, vielleicht Tausende Entwickler, die jeweils ganz andere Anforderungen oder Ziele mit dem Projekt verbinden.
Auf diese Weise könenn Entwickler oder auch Unternehmen, die eine bestimmte Lösung suchen, sich erst mal umsehen, ob es schon eine ähnliche Lösung gibt und diese dann individuell anpassen. Auf diese Weise bekommt man schon eine ganze Menge Entwicklungsleistung sozusagen geschenkt. Mit dem Nachteil, dass man da noch selber weiterentwickeln muss.
Es gibt also keine feste definierte Anforderung, und keinen Nullpunkt, an dem man startet. Man versucht vielmehr – in Abstimmung mit der Open-Source-Gemeinde – vorhandene Lösungen für die eigenen Anforderungen anzupassen und weiterzuentwickeln.
Open Source ist gut für den Lebenslauf”
silicon.de:: Da geht es jetzt aber nicht mehr um isoliert vor sich hin werkelnde Programmierer oder Studenten?
Dr. Werner: Stimmt, ein Großteil der Entwicklung im Open-Source-Bereich wird heute von Unternehmen geleistet. Aber andererseits brauchen wir auch die vielen freien Entwickler. Und unsere Studenten brauchen auch die Motivation, ihre Zeit in Open Source zu investieren, denn das ist natürlich gut für den Lebenslauf.
silicon.de: Wie meinen Sie das?
Dr. Werner: Wer als Student schon mal ein Miniproblem aus einem großen Projekt herausgenommen und gelöst hat, erwirbt damit eine wichtige Qualifikation und ein Pluspunkt im Lebenslauf. Das ist das, was ich mir für die Studenten wünsche.
silicon.de: Wie können kleine und mittlere Unternehmen von Open Source profitieren?
Dr. Werner: Zunächst mal ist Open Source nicht automatisch billiger, manchmal ist es sogar teurer. Aber für Start-ups oder Kleinfirmen ist Open-Source-Software erstmal kostenlos zugänglich. Das ist der große Vorteil. Das Unternehmen kann also ohne Investitionen anfangen. Man bekommt schon mal sehr hohe Qualität mit geringen Investitionen. Wenn das Start-up dann vom Markt akzeptiert wird und wächst, kann es mithilfe von Dienstleistern die Softwarelösung professionalisieren.
silicon.de: Open Source gilt als kompliziert. Sind kleine Unternehmen da nicht überfordert?
Dr. Werner: Ja, Open-Source-Software ist kompliziert. Man bekommt ja kein fertiges Produkt mit klar spezifizierten Eigenschaften, sondern ein dynamisch sich entwickelndes Gebilde. Wenn die Open-Source-Community sich entschlossen hat, ein bestimmtes Feature nicht mehr weiter zu entwickeln, dann verschwindet das Feature, sofern das Unternehmen die Software nicht selbst pflegt. Dieses Problem haben Sie mit klassischer Software nicht und das ist natürlich ein Risiko für das Unternehmen.
Helge Husemann, Product Marketing Manager EMEA von Malwarebytes, stellt in diesem 60-minütigen Webinar (Aufzeichnung) die neue Sicherheitslösung Malwarebytes Endpoint Protection vor. Sie enthält ein mehrstufiges Sicherheitskonzept und bietet damit einen effektiven Schutz vor modernen Bedrohungen wie WannaCry, Petya und anderen.
Dahinter steckt eine strategische Entscheidung, und das ist der Job der IT-Beratung, die Unternehmen bei diesen Entscheidungen zu unterstützen. Die Frage ist, ob das Unternehmen für Open Source überhaupt geeignet ist und wenn ja, welche Bereiche oder ob das Unternehmen nicht in der klassischen Software besser aufgehoben ist. Manche mittelständische Unternehmen, die keine besondere IT-Affinität haben, sind unter Umständen mit Produkten wie Microsoft Office perfekt ausgestattet.
silicon.de: Haben Sie den Eindruck, dass die Vorteile von Open-Source-Lösungen bei Unternehmen hinreichend bekannt sind? Oder muss man da noch Überzeugungsarbeit leisten?
Dr. Werner: Die meisten Unternehmen, die über ein Mindestmaß an IT-Kompetenz verfügen, haben den Open-Source-Sektor schon sehr genau im Blick. Und viele, die auf Open Source verzichten, tun dies aus gutem Grund.
“Microsoft ist gut beraten, Open Source zu unterstützen”
silicon.de: Software-Hersteller wie Microsoft haben früher ja sehr scharf gegen Open Source geschossen, beteiligen sich seit einigen Jahren aber selbst an der Entwicklung. Heute gehört Microsoft zu den Sponsoren von OpenMunich Was hat diese Unternehmen zum Umdenken gebracht?
Dr. Werner: Ich glaube, dass in Zukunft eine Menge Software-Lösungen auf Basis von Open Source entwickelt werden. Und Microsoft hat sich vom reinen Anbieter von Desktop-Software zu einer Art Generaldienstleister gewandelt. Da ist Microsoft gut beraten, Open Source zu unterstützen. Das hat auch etwas mit Zukunftsfähigkeit zu tun, beispielsweise bei Cloud-Diensten. Das gilt natürlich nicht für jedes Programm. Office wird sicherlich nicht demnächst auf Open Source umgestellt.
silicon.de: Wird der Software-Markt durch den Trend zu Open Source sich in den nächsten Jahren stark wandeln?
Dr. Werner: Teilweise schon. Vor allem Geschäftsmodelle werden sich wandeln. Die werden immer mehr über Dienstleistungen laufen und weniger über fertige Software-Lösungen. Silicon: Eine ähnliche Entwicklung wie bei den Hardware-Herstellern. Die haben früher PCs oder Notebooks gefertigt, heute überlassen sie die Fertigung der Hardware anderen und konzentrieren sich auf Software und Dienstleistungen.
Dr. Werner: Genau. Ähnliches passiert auch in der Autoindustrie. Früher hat man sich einen Wagen angeschafft, und dann musste man sich darum kümmern. Es ist aber eine gute Alternative, das Auto nur zu mieten. Dann kann man das Auto fahren, muss sich aber nicht um Reparaturen oder Wartung kümmern. Das geht weiter bis zu Car-Sharing-Modellen, wo man kein eigenes Auto mehr hat, sondern das benötigte Modell für eine Fahrt bucht. Man bekommt jedes Mal einen anderen Wagen und muss sich überhaupt nicht mehr um Dinge wie Wartung oder Versicherung kümmern.
Mitarbeiter sind heute mit Konnektivität, Mobilität und Video aufgewachsen oder vertraut. Sie nutzen die dazu erforderlichen Technologien privat und auch für die Arbeit bereits jetzt intensiv. Nun gilt es, diese Technologien und ihre Möglichkeiten in Unternehmen strategisch einzusetzen.
Der Trend dahinter: Die Kunden wollen sich nicht mehr um die ganzen Aufgaben kümmern, die mit dem Besitz eines Produkts einhergehen. Sie wollen die Funktion nutzen, der Support soll unterstützen und eventuelle Probleme beheben. Und damit sind wir beim Geschäftsmodell Dienstleistung und nicht mehr beim Geschäftsmodell Produktverkauf.
silicon.de: Wie steht es um den Fortschritt bei der digitalen Transformation in Deutschland? Es heißt ja oft, Deutschland hinke hinterher. Ist das auch ihr Eindruck?
Dr. Werner: Nein, es passiert schon sehr viel. In Bereichen wie Nachhaltigkeit, Sicherheit oder Skalierbarkeit gibt es sicher noch eine Menge zu tun, aber wir sind auf einem guten Weg.
silicon.de: Tut die Politik genug bei der Digitalisierung?
Dr. Werner: Im Prinzip schon, aber auch da gibt es noch ein paar offene Fragen. Wie etabliert man die Digitalisierung und Breitband-Versorgung wirklich in der Fläche, und wer finanziert das? Muss am Ende der Steuerzahler dafür aufkommen, muss die Privatwirtschaft mehr investieren oder muss man die Gemeinden stärker in die Pflicht nehmen? Das sind im Moment noch ungeklärte Fragen. Eine Menge zu tun also, aber die Aktivitäten sind vorhanden. Kein Grund zum Pessimismus, also.