Manchmal gibt es Ideen, die so einfach und einleuchtend sind, dass man sich fragt, warum man nicht schon eher darauf gekommen ist. Solche Ideen sind es meistens auch, die Start-ups sehr schnell sehr erfolgreich machen können. In diese Kategorie fällt sicher auch das Münchner Unternehmen Celonis. Die Idee: Alle Geschäftsprozesse im Unternehmen hinterlassen Datenspuren. Warum nicht die Daten sammeln, analysieren und daraus Schlussfolgerungen ziehen?
Zu den Daten gehört zum Beispiel, welchen Weg ein Dokument von Mitarbeiter zu Mitarbeiter gemacht hat, wann eine Rechnung abgezeichnet und freigegeben wurde, an welcher Stelle ein Dokument lange unbearbeitet gelegen hat, an welcher Stelle es wieder zurückgeschickt wurde und vieles mehr. Die Software von Celonis sammelt diese Daten, wertet sie aus und präsentiert sie in einer visuellen Darstellung.
Auf diese Weise werden alle Geschäftsprozesse im Unternehmen transparent. Mithilfe der Software sieht das Management, wie die Geschäftsprozesse ablaufen und ob sie tatsächlich so ablaufen wie sie geplant waren. Auch Schwachstellen werden so schnell sichtbar. Was bei Experten unter dem Stichwort Process Mining oder Data Mining längst bekannt ist, öffnet Unternehmen durchaus neue Möglichkeiten, wenn sie das auf ihre eigenen Geschäftsabläufe anwenden.
Künstliche Intelligenz und Maschinelles Lernen
Da ist es kein Wunder, dass das Münchner Start-up, das vor fünf Jahren von drei Studenten gegründet wurde, heute schon mehr als 100 Mitarbeiter hat. Die neue Version mit dem Zusatz Pi soll das Celonis-Konzept nun einen großen Schritt voranbringen. Pi steht für Proactive Insights Engine (Pi). Der Begriff “Proactive” deutet an, worum es geht: Die Daten werden nicht nur gesammelt, analysiert und visuell aufbereitt, die Software gibt jetzt auch Handlungsempfehlungen.
Möglich wird das, weil die neue Version Process Mining mit Maschinenlernen und künstlicher Intelligenz verknüpft. Auf diese Weise versucht die Software, Arbeitabläufe zu “verstehen” und daraus Schlussfolgerungen zu ziehen. Im Idealfall arbeitet Celonis Pi dann wie ein Unternehmensberater, der sich alle Abläufe in der Firma angesehen hat und dann Empfehlungen ausarbeitet.
Interview mit dem Celonis-Co-Gründer
Im Interview erklärt Bastian Nominacher, Co-CEO und Co-Gründer Celonis, welche Vorteile Process Mining hat, wie das System funktioniert – und warum die Software einen besseren Überblick verschafft als jeder Manager.
silicon.de: Für welches Unternehmensszenario ist Celonis Pi besonders gut geeignet?
Nominacher: Viele Prozesse in einem Unternehmen sind relativ statisch angelegt, theoretisch fein durchdacht, aber leider sieht die Realität oft anders aus. Es gibt Abweichungen, Umwege, Engpässe. Das mag für den einzelnen Mitarbeiter effizient und der schnellere Weg sein. Aber wo bleibt die Transparenz? Die Skaleneffekte? Compliance?
Dieses Problem löst Process Mining. Es nutzt die Daten der Unternehmen, um Prozess-Abläufe zu rekonstruieren und zu visualisieren. Celonis Proactive Insights (Pi) kann jetzt noch viel mehr: es betreibt Ursachenforschung und gibt vor allem Handlungsempfehlungen – und zwar intelligent und vollautomatisiert. Celonis Pi arbeitet damit wie eine Art automatisierter Berater.
Damit kann jeder Prozess in Unternehmen jeder Größe und Branche optimiert werden – egal ob Einkauf, Produktion, Vertrieb, Logistik oder Marketing. Natürlich gibt es ein paar Paradebeispiele, die besonders häufig mithilfe von Celonis transparent gemacht und visualisiert werden. Hierzu zählt der Einkauf, aber auch Logistik, Vertrieb oder Controlling sind ein beliebter Einstieg in Process Mining.
silicon.de: Wie aufwendig ist es, alle relevanten Geschäftsdaten zu erfassen?
Nominacher: Geschäftsprozesse sind heute in der Regel IT-gestützt und hinterlassen bei jedem Arbeitsschritt digitale Datenspuren. Diese riesigen Datenmengen existieren in fast jedem Unternehmen, bislang wird ihr Potenzial aber in den meisten Fällen noch nicht wirklich ausgeschöpft.
Je mehr Anwender, Vorgänge und Daten in einem Unternehmen zusammenlaufen, desto komplexer, aber auch notwendiger wird es, die wirklichen Prozesse zu sehen – und desto mehr empfiehlt sich der Einsatz von Process Mining. Sobald die Daten verschiedener Abteilungen und Systeme sinnvoll miteinander verknüpft werden, wird “Big Data” zu “Smart Data” und bringt Unternehmen tatsächlich voran.
silicon.de: Benötigen die Mitarbeiter viel Know-how und Einarbeitungszeit?
Nominacher: Meiner Meinung nach bringt es doch nichts, Analytics-Lösungen nur für eine Handvoll Spezialisten anzubieten! Jeder muss in die Lage versetzt werden, seinen Prozess anschauen zu können. Wir bei Celonis wollten immer eine intuitive Lösung, die über Abteilungsgrenzen hinweg und für sämtliche Prozesse eingesetzt werden kann. Besondere IT-Kenntnisse braucht man für die Anwendung nicht – aber ein bisschen Prozesswissen wäre gut.
silicon.de: Wie funktioniert die Installation und Inbetriebnahme des Systems? Muss man die Software erst einmal mit Daten füttern und “einlernen”?
Nominacher: Unsere Technologie fügt die in verschiedenen IT-Systemen gespeicherten, einzelnen Prozessschritte zusammen und analysiert Ist-Prozesse in Unternehmen automatisch und end-to-end. Sie ermöglicht vollkommene Transparenz zu jedem Zeitpunkt. Statt viel Zeit in die Problemanalyse zu investieren, können Unternehmen nun direkt damit beginnen, die neu gewonnenen Erkenntnisse in gewinnbringende Taten umzusetzen. Kurz gesagt, ihre operative Effizienz zu steigern. Denn sie sehen auf einen Blick, wieso beispielsweise Bestellungen so lange dauern oder warum es zu Lieferverzögerungen oder Umwegen im Einkauf kommt.
silicon.de: Wo liegen die Grenzen des Systems? Kann es wirklich auch versteckte oder vielleicht ganz triviale Produktivitätsbremsen erfassen?
Nominacher: Klassische Analysemethoden zur Fehleranalyse stoßen schnell an ihre Grenzen. Sie können zwar feststellen, dass ein Prozess nicht optimal abgewickelt wird, weshalb es aber zu diesen Engpässen kommt, wie also die einzelnen Prozesse ineinander greifen, darüber geben sie oftmals keinen Einblick. Process Mining von Celonis sind hier dagegen keine Grenzen gesetzt. Wir sind mit unserer Technologie in der Lage, auch enorme Datenbestände mit Millionen von Prozessinstanzen zu nutzen und auszuwerten.
Einer der wirklich schönen Aspekte ist der Aha-Effekt, den wir so oft sehen. Die Erkenntnisse, die anhand unserer Analyse gewonnen werden, sind für Kunden oft sehr überraschend. Viele vermuten, dass bestimmte Prozesse nicht optimal laufen. Das muss aber nicht so sein, der Knackpunkt kann auch ganz wo anders liegen.
Mit uns wird auf einen Blick ersichtlich, wo der Ist- vom Soll-Prozess abweicht und wie sich diese Abweichung auf die gesamte Effizienz des Unternehmens auswirkt. Werden beispielsweise Aufträge oder Rechnungen manuell nachgearbeitet oder Bestellungen zu früh oder spät aufgegeben, ist es schnell vorbei mit der Effizienz.
“Celonis Pi übernimmt einen Teil des Jobs eines Unternehmensberaters”
silicon.de: In welcher Weise ist die Kombination aus Machine Learning, Künstlicher Intelligenz (KI) und Process Mining einem guten Management überlegen?
Nominacher: Kaum ein Manager hat einen tagesaktuellen Überblick über alle Prozesse oder weiß genau, wie sich ein entstandener Engpass in einem Teilprozess auf das gesamte Unternehmen auswirkt. Dafür holen Firmen gerne Unternehmensberater ins Haus. Celonis Pi, das jetzt Process Mining, Machine Learning und künstliche Intelligenz kombiniert, liefert intelligente Lösungsansätze und Verbesserungsvorschläge und übernimmt damit einen Teil des Jobs eines Unternehmensberaters.
Technisch gesehen werden dank modernster Machine-Learning-Verfahren Korrelationen in Millionen von prozessbezogenen Daten innerhalb von Sekunden vollautomatisiert ausgewertet. Für Nutzer bedeutet das: Sie müssen Probleme in den Prozessen nicht mehr selbst oder mithilfe zeitintensiver qualitativer Analysen identifizieren. Und sie müssen auch keine Lösungen ableiten, sie bekommen Vorschläge vom System. Damit wird gutes Management besser, denn die Verantwortlichen haben jetzt die Daten und Fakten, auf denen Sie aufsetzen können.
Gefälschte E-Mails enthalten häufig Viren oder andere Angreifer. Oft sollen auch private und sensible Daten gestohlen werden. Anhand weniger Kriterien lassen sich gefährliche E-Mails jedoch schnell erkennen.
silicon.de: Ist das Konzept von Celonis eine Konkurrenz zu Unternehmenssoftware aus dem ERP-Bereich? Was macht Celonis besser?
Nominacher: Nein, überhaupt nicht. Wir sind ja kein ERP-System. Wir führen keine Prozesse aus. Wir nutzen die Daten unter anderem aus ERP-Systemen, um unsere Analysen zu machen. Aus gutem Grund sind wir also nicht nur Partner von SAP, SAP vertreibt unsere Lösung weltweit als “SAP Process Mining by Celonis” an ihre Kunden.
silicon.de: Ein wesentlicher Faktor der Produktivität in Unternehmen ist die Zufriedenheit der Mitarbeiter. Das kann die Technik aber nicht erfassen …
Nominacher: Zufriedenheit können wir nicht erfassen, denn wir bewerten harte Daten, keine Emotionen. Aber: Wenn ein Prozess reibungslos läuft, hat man weniger Ärger – und das macht sicherlich Kunden und Mitarbeiter zufriedener. Insofern fördern wir vermutlich das Unternehmensklima.
silicon.de: Welches Feedback geben Ihre Kunden bisher?
Nominacher: Wir haben eine extrem gute Beziehung zu unseren Kunden – und wir hören sehr genau hin, was da zurückkommt. Viele der neuen Features in Celonis Pi sind so entstanden. Unsere Kunden profitieren von einer höheren Effizienz, sinkenden Kosten und realisierten Produktivitätsgewinnen von bis zu 30 Prozent. Das erzeugt Aufmerksamkeit und macht in allen Branchen schnell die Runde.
Wir sind unglaublich stolz darauf, dass wir sehr, sehr viele namhafte Unternehmen aus Handel, Industrie und dem Dienstleistungssektor zu unseren Kunden zählen dürfen – und es täglich mehr werden. Unternehmen wie Siemens, ABB, Bayer, RWE, EDEKA, KPMG oder Vodafone nutzen Celonis mit großer Begeisterung. Für uns ist das die tägliche Bestätigung dafür, dass wir mit unserer Process Mining-Technologie wirklich ein Kundenbedürfnis erfüllen.