Statt Zugausfall: Predictive Maintenance und Big Data
In München-Allach fertigt Siemens wohl als einer der letzten Hersteller in Westeuropa Lokomotiven. Die Auswertung von Daten aus diesen schweren Zugmaschinen ist heute mindestens genauso wichtig wie ein Motor, eine Achse oder das Fahrgestell.
Viel wird über Big Data und Digitalisierung gesprochen und darüber, dass Deutschland diesbezüglich möglicherwiese den Anschluss verpasst. Einen handfesten Eindruck davon, dass hinter solchen Aussagen ein gewisses Maß an Propaganda steckt, bekommt man im Werk von Siemens in München-Allach. Hier werden pro Jahr rund 120 Lokomotiven der Reihe Vectron gebaut.
Seit 2015 wartet Siemens Mobility hier auch Züge. Und für die Wartung setzt der Hersteller inzwischen voll auf Big Data. Über das Sammeln von Daten und das automatisierte Erkennen von Mustern und Abweichungen von Normwerten versuchen die Entwickler bei Siemens die nötigen Service-Leistungen eines Zugwagens so gut es geht vorherzusagen. Laut Siemens wird bereits heute eine Verfügbarkeit von mehr als 99 Prozent erreicht.
Ohne Hilfe von Algorithmen rollte früher eine Lok in das Werk und die Service-Techniker haben angefangen zu suchen, wo Fehler sind. Heute sieht das anders aus: “Noch bevor Schienenfahrzeuge in die Werkstatt einrollen, wissen wir bereits, was getan werden muss”, erklärt Gerhard Kreß, Leiter des Mobility Data Services Center (MDS) in München-Allach.
Kreß und sein Team sind aber darüber hinaus auch in der Lage, Ausfälle vorherzusagen. “Dann können wir dem Betreiber mitteilen, dass ein bestimmtes Bauteil ausgetauscht werden muss- Der kann so eine Wartung einplanen, bevor ein Zug mit 2000 Fahrgästen auf der Strecke stehen bleibt.” Auf diese Weise sei Siemens beispielsweise in Lage, etwa den Ausfall eines Getriebelagers mindestens drei Tage im Voraus vorherzusehen.
In einer Lok wie der Vectron sind mehr als 260 Sensoren verbaut. Diese melden ständig Werte wie Temperaturen, Druck, Spannung, Geschwindigkeit, Bremsverhalten, Verhalten von Kompressoren, Anzahl der angehängten Waggons oder andere Steuerungsprozesse. Die Werte werden sämtlich geloggt und – wenn möglich – in Echtzeit übertragen.
Wie Kreß erklärt, gibt es auch noch Züge, die Mails verschicken. Die Zugwägen haben eine Lebensdauer von bis zu 40 Jahren und sind von Sibiren bis Spanien im Einsatz, daher ist auch beim Auslesen der Sensordaten Flexibilität gefragt.
Bei rund 100 Triebzügen kommen so 100 bis 200 Milliarden Datenpunkte zusammen. Hinzu kommen noch weitere Informationen aus anderen Quellen. dazu zählen zum Bespiel das Wetter oder auch Meldungen aus dem Schienennetz, von Signalen oder den Stellwerken.
“Wir überwachen zum Beispiel alle Türen, aber auch Sicherheitstechnologien und den Antrieb, wir erkennen die kleinste Abweichung, so können wir vier bis sechs Wochen voraussehen”, so Johannes Emmelheinz, CEO der Siemens Mobility Services.
Emmelheinz berichtet, dass diese “Predictive Maintenance”, die heute bereits möglich ist, eine Evolution durchlaufen hat. Zunächst habe man mit Schwellenwerten gearbeitet, etwa wenn ein Getriebe heiß gelaufen ist. Solche Werte würden jedoch nur eine Vorhersagegenauigkeit von etwa 70 Prozent ermöglichen.
“Jetzt können wir auch Verzögerungen im Bereich von Millisekunden erkennen, die in einer kompletten Laufzeit auftreten”, verdeutlicht Emmelheinz. Dabei würden in einigen Modellen mehr als 100 Paramater wie Temperatur, Bremsverhalten oder Beladung einbezogen.
“Ein Mensch kann solche Datenmengen nicht mehr verstehen”, ergänzt Thomas Fastner, CTO von Teradata Database. Teradata bietet einen Service, bei dem solche Datensätze und Wirkungsketten von einem Data Scientist ausgewertet werden. “Damit erreichen wir jetzt eine Zuverlässig von 99 Prozent und können damit zusammen mit Siemens in einem Zeitfenster von mindestens drei Tagen vorhersagen, ob und wann eine Lokomotive schwächelt.”
Kreß’ Daten-Zentrum sammelt all diese Informationen. Eigens entwickelte Algorithmen helfen bei der Analyse der Daten, die auf einer Teradata Aster-Datenbank gespeichert sind und demnächst in eine Cloud-Umgebung von Terada migriert werden sollen, wie Kreß berichtet.
Seit 2014 baut Kreß das Team auf, das aus gutem Grund auf dem Werksgelände untergebracht ist. So können nämlich die 40 bis 50 Data Scientists und Physiker auch mit den Zugbauern und Ingenieuren zusammen arbeiten.
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Kress berichtet mit gewissem Stolz von seinem Team, denn es sei nicht leicht gewesen, die Leute mit entsprechenden Background zu rekrutieren. So erklärt sich vielleicht auch die Tatsache, dass gerade Mittelständler Probleme haben, entsprechende Fachkräfte zu bekommen und Projekte umzusetzen. “Diese Leute bewerben sich nicht”, erklärt Kreß. “Ein Data Scientist wird gefunden.”
Daher sei er auf Messen und Veranstaltungen unterwegs und versuche auf allen Wegen, die richtigen Experten an Land zu ziehen. “Amtssprache” in dem Team ist Englisch, weil die meist sehr jungen Mitglieder aus den unterschiedlichsten Ländern stammen.
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Ein wichtiger Kooperationspartner von Siemens ist im Bereich Condition-based Maintenance Mitsui Rail Capital Europa (MRCE). MRCE ist eine Leasing-Gesellschaft für Züge, die unter anderem die zwischen drei und fünf Millionen Euro teurn Lokomotive dann inklusive Wartung an Unternehmen wie die Bahn oder andere Betreiber vermietet. Das Unternehmen entwickelt seit Jahrzehnten möglichst präzise Vorhersagen, um die Vorhersagbarkeit von Ausfällen und die entsprechende Wartung zu optimieren.
“Wir sind aber davon überzeugt, dass solche Projekte nur in starken Partnerschaften funktionieren können”, versichert Rainer Beller, CTO bei MRCE bei einer Tagung in Allach. Es sei bislang die erste Partnerschaft von MRCE im Bereich Predictive Maintenance, so Beller im Gespräch mit silicon.de. Das lässt darauf schließen, dass Siemens hier anderen Lok-Herstellern voraus ist.
Dennoch weiß Beller auch, dass man gerade beim Thema Schiene “noch in den Kinderschuhen” stecke. Das resultiere aus dem “hohen Zulassungsdruck” seitens der Behörden. Dadurch sei bereits im Vorfeld die Entwicklung eingeengt.
Daher greift vielleicht hier nur bedingt der Einwand von Professor Michael ten Hompel, Lehrstuhl für Förder- und Lagerwesen an der Uni Dortmund und Leiters des Fraunhofer-Institutes für Materialfluss und Logistik IML, dass durch die Digitalisierung traditionelle Geschäftsmodelle gefährdet sind. Er warnt: “Die Konkurrenz kommt häufig branchenfremd, und wird daher nicht wirklich wahrgenommen.” Ten Hompel glaubt aber ebenfalls, dass vor allem die deutsche Wirtschaft bei Industrie 4.0 noch sehr stark am Anfang ist.
Professor ten Hompel bringt ein Problem zur Sprache, das derzeit eigentlich fast jedem Unternehmen auf den Nägeln brennt: “Was wir zurzeit sehen ist eine sehr hohe Prozessoptimierung. Aber nur wenige Unternehmen schafften es derzeit “neue Produkte zu entwickeln”. Doch er schränkt auch ein. Bislang gebe es aus seiner Sicht “keine seriöse Verifizierung” dafür, dass durch Industrie 4.0 und die Prozesse und Unternehmensabläufe effizienter werden. Dass dem so ist, scheint für den Lehrstuhlinhaber aber außer Frage zu stehen: “Wir haben gar keine andere Chance!”
Fastner von Teradata sieht jedoch genau in dieser Optimierung auf Prozessebene einen ersten Schritt, der nötig ist, um “Digitalisierung” weiter vornazutreiben. Für Teradata sei es daher wichtig, ordentliche Datenstrukturen und Analysetools bereitzustellen, die bei solchen Auswertungen helfen können.
Noch besser würden solche Daten, wenn Unternehmen diese Untereinander austauschen würden. Wie etwa bei dem Projekt des Industrial Data Space, wäre eine Plattform mit entsprechenden Datenschutzmechanismen angeraten, wie Dr. Jack Thoms, Senior Consultant Deutsches Forschungszentrum für künstliche Intelligenz (DFKI), Leiter Smart Data Forum und Mitglied des Arbeitskreises Big Data bei der Bitkom, bei einer Podiumsdiskussion vorschlägt. “Daten sind das neue Öl, daher wollen die Unternehmen auch nicht so gerne ihre Daten austauschen. Daten schaffen auch eine Transparenz, die nicht immer gewollt ist.”
Fastner sieht dieses Problem nicht nur unter Konkurrenten, sondern selbst auf Abteilungsebene innerhalb von Organisationen. Daher sei es für Unternehmen unerlässlich, eine “andere Kultur” zu forcieren, die den Austausch von Daten in einem Unternehmen möglich macht.
Und diese Kultur scheint bei Siemens bereits gelebt zu werden, wie Kreß erklärt. Die Entwickler in seinem Team arbeiten auch abteilungsübergreifend: “Ob die Daten, die wir mit unseren Tools analysieren, aus dem Getriebe eines Zugs, aus einem Windrad oder aus einer Turbine von Dresser Rand stammen, ist für die Vorhersage eines Ausfalls zweitrangig.”
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