Der so genannte Vendor-Lock-In bei Microsoft wird als politisches Risiko eingestuft. So soll Die EU-Kommission eingeräumt haben, sich de Facto in “Gefangenschaft von Microsoft” zu befinden. Ökonomen, IT-Manager, Sicherheitsexperten und Politiker aus zwölf europäischen Ländern sowie Mitgliedern der EU-Kommission und des Europäischen Parlaments kritisieren laut dem Recherchenetzwerk Investigate Europe die fatale Abhängigkeit staatlicher Behörden in Europa von Softwareprodukten von Microsoft.
Die hohe Abhängigkeit soll unter anderem für stetig steigende IT-Kosten der öffentlichen Hand verantwortlich sein und zugleich den technischen Fortschritt hemmen, wie der Tagesspiegel, ein Mitglied des Recherchenetzwerks, berichtet.
Andere gehen in ihrer Kritik sogar noch weiter und kritisieren eine systematische Untergrabung des europäischen Beschaffungs- und Wettbewerbsrechts. Die Dominanz der eigenen Software-Produkte soll dem Unternehmen aus Redmond auch erheblichen politischen Einfluss in der EU sichern. Zudem spricht das Recherchenetzwerk von einem “hohen technischen und politischen Sicherheitsrisiko” für die Daten europäischer Bürger.
“Viele staatliche Verwaltungen sind so abhängig von diesem einen Anbieter, dass sie nicht mehr die Wahl haben, welche Software sie nutzen wollen”, zitiert der Tagesspiegel den Informatiker und Juristen Martin Schallbruch, der bis 2016 Abteilungsleiter für Informationstechnik und Cybersicherheit im Bundesinnenministerium war. “Damit laufen die Staaten Europas Gefahr, die Kontrolle über ihre eigene IT-Infrastruktur zu verlieren.” Inzwischen seien für eine Umstellung auf eine unabhängige IT-Infrastruktur “riesige Investitionen” notwendig.
Als Beispiel für die Abhängigkeit nennt der Tagesspiegel das Support-Ende von Windows XP, das viele Behörden in Europa zum Abschluss teurer Supportverträge genötigt habe, da sie den Umstieg auf ein neues Microsoft-Betriebssystem 2014 noch nicht abgeschlossen hatten. 2020, also in drei Jahren, werde sich dies sehr wahrscheinlich mit Windows 7 wiederholen. Allerdings ist jedem Windows- und Office-Nutzer schon mit dem Kauf einer Lizenz für eine Microsoft-Software bekannt, wann der Support für das jeweilige Produkt endet.
Den technischen Fortschritt sollen Microsoft-Produkte hemmen, weil Nutzer selber keine Anpassungen vornehmen können, wie es bei Open-Source-Software üblich sei. Kommunen könnten beispielsweise auf Open-Source-Basis entwickelte Fachprogramme anderen Stadtverwaltungen kostenlos zur Verfügung stellen. “Dieses Potential für die öffentliche Hand ist enorm”, erklärte dem Bericht zufolge Dietmar Harhoff, Direktor des Max-Planck-Instituts für Innovation und Wettbewerb. Dass die Abhängigkeit von einem Anbieter den technischen Fortschritt im öffentlichen Sektor bremse, sei zwar “noch nicht empirisch belegt”, aber anzunehmen.
Mitarbeiter sind heute mit Konnektivität, Mobilität und Video aufgewachsen oder vertraut. Sie nutzen die dazu erforderlichen Technologien privat und auch für die Arbeit bereits jetzt intensiv. Nun gilt es, diese Technologien und ihre Möglichkeiten in Unternehmen strategisch einzusetzen.
2012 habe die EU-Kommission eine Kampagne gestartet, um die Abhängigkeit von einzelnen Anbietern zu reduzieren. In Ausschreibungen sollten deswegen weder Markennamen noch geschützte technische Normen verwendet werden. Sie sollten durch offene Standards ersetzt werden. “Offene Standards erzeugen Wettbewerb, führen zu Innovationen und sparen Geld”, habe zu dem Zeitpunkt die damalige EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes erklärt. Die Initiative scheint jedoch im Sande verlaufen zu sein.
Rahmenverträge die Behörden, darunter auch das Bundesinnenministerium (BMI), mit Microsofts irischer Niederlassung aushandeln unterlaufen zudem Wettbewerbsregeln. Ab einem Vertragsvolumen von 135.000 Euro müssen Behörden laut EU-Recht europaweit ausschreiben. Doch diese Rahmenverträge sollen regelmäßig ohne Ausschreibung abgeschlossen werden. Sie sollen beispielsweise nur noch bei der Suche nach einem “Handelspartner zum Microsoft-Volumenlizenzvertrag BMI” zum Tragen kommen.
Der niederländische Jurist Matthieu Paapst, der sich für seine Doktorarbeit an der Universität Groningen mit der Softwarebeschaffung der öffentlichen Hand beschäftigt hat, vergleicht diese Praxis mit einer öffentlichen Ausschreibung für Fahrzeuge, die auf einen Hersteller wie Volkswagen beschränkt ist. “Die Praxis, Microsoft-Produkte für die öffentliche Verwaltung ohne offene Ausschreibung zu beschaffen, bricht das geltende EU-Recht”, kommentierte Paapst. Eigentlich müsse die EU-Kommission dagegen vorgehen – dazu komme es aber nicht, weil sie sich selbst nicht an die Vorgaben halte.
Open-Source-Projekte wie LiMux seien weiterhin auf wenige Stadtverwaltungen beschränkt und durch die Lobbyarbeit von Microsoft zudem stetig bedroht. So unterstellt Investigate Europe der CSU, die in München zusammen mit der SPD eine große Koalition bildet und für den Umstieg von Linux auf Windows stimmte, eine große Nähe zu Microsoft. Das CSU-Mitglied Dorothee Belz, die Mitglied des Präsidiums des Wirtschaftsrates der CSU sei, habe bis 2015 als Vizepräsidentin bei Microsoft Europe gearbeitet. Inzwischen hat die Stadtverwaltung über eine Hintertür auch das Ende des Projektes beschlossen. Die Neuorganisation der hauseigenen IT der Stadtverwaltung sorgt für kleine Teams, die das anspruchsvolle Vorhaben nicht mehr Schultern können. Einen ausführlichen Kommentar dazu finden Sie hier.