Die IT-Branche trommelt bekanntermaßen schon länger für die Digitalisierung. Kann dieser neue Megatrend aber die Erwartungen der Anwender erfüllen oder macht die Branche nur viel Wind, während ihr neue Ideen ausgegangen sind? Worin liegen die Chancen, aber auch Risiken der digitalen Transformation ergeben sich für die IT-Branche und wie sieht es bisher mit der praktischen Umsetzung aus? Bei einem Roundtable diskutierten Experten am Rande der CeBIT in Hannover. silicon.de fast die Diskussion zusammen.
Andreas Zilch, Lead Advisor & Senior Vice President bei PAC, ließ keine Zweifel daran offen, dass richtig verstandene Digitalisierung neue Chancen in der IT-Anwendung eröffnet. Als ein Vorzeigebeispiel nannte er den Versicherungskonzern Allianz, der inzwischen ein Budget von 600 Millionen Euro für die Digitalisierung bereitstellt. Wohlgemerkt zusätzlich zum regulären IT-Jahresbudget von drei Milliarden Euro.
Was Unternehmen mit solchen Initiativen erreichen können, erläuterte Zilch am Beispiel des Sanitärherstellers Grohe und dessen Programm “Smart Grohe”. Mithilfe QR-getaggter Verpackungen konnte der Mittelständler einen neuen, direkten Kanal zu den Handwerksbetrieben aufbauen, und erhielt auf diese Weise erstmals Daten über den Ort und die Art der verbauten Produkte bei den Endkunden. Grohe wie auch andere Hersteller können dadurch die Kundenbindung erhöhen und neue Vertriebswege – sozusagen am Großhandel vorbei – für sich nutzen, mit Margenzuwächsen von 20 Prozent.
Als ein weiteres Beispiel erwähnte Zilch das Insurtech-Start-up Catastrophe Solutions, das die Automatisierung der Schadenerfassung für KFZ-Versicherer anbietet. Dies funktioniert folgendermaßen: Ein Fahrzeugscanner zur Massenerfassung lichtet vor Ort innerhalb von drei Minuten ein Auto vollständig ab und kann dann automatisierte Gutachten bei Schäden, beispielsweise durch Hagel oder Steinschlag, erstellen.
Der Berater wies jedoch auch darauf hin, dass es neben den erfolgreichen Anwendungsbeispielen auch viele gescheiterte Digitalisierungsprojekte gibt: “Viele Unternehmen schmeißen hier noch Geld aus dem Fenster. Wer braucht beispielsweise einen Durchlauferhitzer mit Internetradio und Wettervorhersage? Ebenfalls verzichten können wir auf so manche digitalisierte Versicherungsangebote im Web, deren einziger USP zu sein scheint, dass wir alle geduzt werden.”
Einig waren sich die Teilnehmer, dass sich die Digitalisierung nicht an einzelnen Merkmalen oder Features festmachen lässt, sondern in der Regel eine Kombination aus Produkten und Services ist. Eckhard Schwarzer, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der DATEV eG, dazu: “Früher haben wir Softwareprodukte für einzelne kaufmännische Prozesse angeboten, heute verkaufen wir Lösungen, in denen der Rohstoff IT ein zentraler Bestandteil ist.”
Er wies zudem darauf hin, dass die Anbieter bei allen Möglichkeiten, die die Digitalisierung eröffne, die KMU, die schließlich die Mehrzahl der Unternehmen bilden, nicht vergessen dürfe. “Die können mit den in der IT-Branche üblichen Schlagworten oft nicht viel anfangen und müssen in ihrer Erlebniswirklichkeit abgeholt werden”, betonte Schwarzer.
Zu den charakteristischen Entwicklungen der Digitalisierung gehören die wachsende Bedeutung der Datenbestände und deren Analyse. Business-Analytics-Anbieter leisten hier einen erheblichen Beitrag, indem sie den Zugang zu Datenquellen aller Art vereinfachen und das Hantieren mit Daten erleichtern.
Lars Milde, Senior Marketing Manager bei Tableau Software, sieht daher auch das “Zeitalter der Datendemokratie” anbrechen: “Unternehmen sind schon gut im Datensammeln, aber es wird noch in abteilungsspezifischen Silos gehortet. Zukünftig muss die Weiterverteilung der Daten an die Anwender im Vordergrund stehen, um Mehrwerte aus den Datenschätzen zu erzielen und hier neue Geschäftschancen zu eröffnen.”
Gleichzeitig mit der Digitalisierung wird meist auch Cloud Computing als wichtigste Basistechnologie genannt. Süleyman Karaman, Geschäftsführer bei Colt Technology Services, lenkte in der Diskussion den Blick auf Fortschritte im Bereich Netzwerke, über die die Daten vom Kunden in das Rechenzentren und wieder zurück transportiert werden.
Gewünscht werde von den Anwendern immer häufiger Flexibilität, was auch durch die neuesten Entwicklungen im Bereich Software Defined Networks untermauert wird. “Die Anwender wünschen sich bei Cloud-Diensten heute mehr Freiheit in Sachen Datentransfer und Speichermengen. Die Netze müssen am Bedarf orientiert und skalierbar sein, im Vordergrund steht das Prinzip Pay-per-Use”, so Karaman.
Richtet man den Blick auf konkrete Anwendungsmöglichkeiten im Geschäftsalltag, finden sich vor allem im Bereich ortsbasierender Dienste und intelligenter POS-Lösungen interessante Zukunftsszenarien. Rolf Werner, Vorsitzender der Geschäftsführung bei Fujitsu, nannte hier als Projektbeispiel seines Unternehmens die Kundenstromanalyse bei einer Kaufhauskette.
Solche Modelle der Kundeninteraktion würden durch die große Verbreitung von Mobilgeräten ermöglicht werden. “Ladenbetreiber können mittels Indoor Analytics das Bewegungsverhalten der Kunden analysieren und die Erkenntnisse nutzen, um Waren besser zu platzieren und mit gezielter Werbung Cross-Selling zu forcieren”, erklärte Werner.
Wenn im Zuge der Digitalisierung die Datenmengen stetig wachsen und in der Cloud permanent zwischen weit entfernten Orten bewegt werden, liegt es nahe, dass sich die Anwender auch immer mehr mit Fragen der IT-Sicherheit beschäftigen. Als relativ neuer Anbieter positioniert sich hier der Luft- und Raumfahrtkonzern Airbus mit dem Geschäftsbereich Cyber-Security. Michael Gerhards, Geschäftsführer bei Airbus CyberSecurity Deutschland, ist überzeugt, dass insbesondere durch Industrie 4.0 und das Internet der Dinge (IoT) neue Gefährdungsszenarien entstehen: “Indem Unternehmen ihre Fertigungsanlagen immer stärker vernetzen, steigen auch die Risiken für Attacken. Mögliche Folgen sind nicht nur Produktionsausfälle, sondern auch der Datendiebstahl durch Spionage.” Zu den Besonderheiten dieses Umfelds zählen lange Lebenszyklen der Anlagen, aber auch die Integration historischer Anlagen.
Welche neuen Anforderungen im Zuge der Digitalisierung auf das Geschäfts- und vor allem das IT-Management zukommen, beleuchtete schließlich noch Thomas Endres, Vorsitzender des Präsidiums von VOICE – Bundesverband der IT-Anwender e.V. Er sieht die vordringlichste Aufgabe darin, dass Unternehmen den bestehenden Betrieb wie auch die kreative Weiterentwicklung parallel organisieren. Daher betonte Endres: “Vom CEO über den Aufsichtsrat bis zum CIO muss Einigkeit bestehen, dass auf der einen Seite der Betrieb und die kontinuierliche Weiterentwicklung sichergestellt sind, aber auf der anderen Seite neue Entwicklungen und radikale Innovation professionell etabliert werden.”
Auch wenn die Vielzahl der genannten Beispiele ein recht positives Licht auf die Entwicklung der Digitalisierung werfen, so kamen in der Runde doch auch noch viele Hürden und Probleme zur Sprache, die die Umsetzung nach wie vor behindern. Das beginnt beim altbekannten Thema Gesetze und Verordnungen, auf die Schwarzer von der DATEV noch einmal hinwies: “Aktuell kämpfen wir noch mit hunderten von Schrifterfordernissen in den Gesetzen, die uns zu Papier und Bleistift zwingen.”
Karaman von Colt Technology Services betonte, dass neben der bereits existenten Technologie vor allem das Umdenken in den Köpfen sehr wichtig sei: “Aktuelle Geschäftsmodelle vieler Unternehmen sind von disruptiven neuen Wettbewerbern bedroht, die nicht nur digitale Technologien einsetzen, sondern in ihren Entscheidungsprozessen auch sehr agil sind. Manchmal wird bei uns zu lange diskutiert, zu welcher Kostenstelle ein Digitalisierungsprojekt gehört, anstatt eine innovative Idee zeitnah umzusetzen.”
Für Fujitsu-Manager Werner liegt vor allem im Multi-Cloud-Management eine der größten Herausforderung, deren Lösung sich die Anwender wünschen. “Die Unternehmen wollen keinen Vendor-Lock-In, sondern eine Management-Infrastruktur, die ihnen die Verwaltung unterschiedlichster Cloud-Services über eine Verwaltungskonsole ermöglicht.” Gerhards von Airbus Cyber Security sieht bei der IT-Security vor allem die Anwender gefordert, sich mit Themen wie Detection und Prevention auseinanderzusetzen.
Beim Blick auf das Datenmanagement erklärte Milde von Tableau Software, dass ein Bewusstseinswandel bei den Anwendern erforderlich sei: “Unternehmen müssen nicht nur die Bedeutung der Daten für zukünftige Geschäftschancen verstehen, sondern auch die Ressourcen entsprechend nutzen, indem sie die Mitarbeiter miteinander verbinden.”
Was die Definition von Digitalisierung betrifft, lieferte Endres von VOICE bei der Diskussion eine überzeugende Erklärung: “Digitalisierung ist das Ergebnis mehrerer paralleler Impulse. Das ist zum einen die Technologie, die uns heute sehr viel mehr ermöglicht, zum Beispiel künstliche Intelligenz. Dazu gesellen sich digitale Geschäftsmodelle, die eine früher unmögliche, komplexe Kombination aus Geschäftsprozessen organisieren. Und außerdem sind sowohl die Consumer-Märkte als auch die B2B-Märkte reif für ganz neuartige Dinge.”
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