IBM Watson: Vorzeigetechnolgie mit ersten Macken

Die von IBM seit Jahren in den Vordergrund gerückte Künstliche Intelligenz Watson bringt zumindest den Aktionären in absehbarer Zeit keine Vorteile. Diese Ansicht hat die Investmentbank Jefferies in einem Bericht für Investoren ausführlich dargelegt. Der Finanzdienstleister verweist darin auch auf ein gescheitertes Projekt des zur University of Texas gehörenden Krebsforschungszentrums MD Anderson. Das soll etwa 60 Millionen Dollar in die Watson-Technologie investiert haben, ohne dass sich die erhofften Erfolge eingestellt haben. Inzwischen habe die Einrichtung die Geschäftsbeziehung zu IBM angebrochen.

Der bisherige Erfolg von Watson ist laut Jefferies lediglich auf IBMs gute Beziehungen zu einer Vielzahl von Fortune-500-Unternehmen zurückzuführen. Die hätten die Watson-Technologie bisher in erster Linie im Rahmen von “sehr lukrativen Verträgen” in spezifische Geschäftsprozesse integriert. Allerdings habe sich inzwischen eine Kluft zwischen den Anforderungen der Kunden und den technischen Möglichkeiten von Watson aufgetan.

Laut MD Anderson sei Watson für die Forschung oder den klinischen Einsatz “nicht bereit”. TechCrunch liegen ähnliche Aussagen von Finanzdienstleistern und Biotech-Unternehmen vor. Sie berichteten allesamt von Werbeaussagen, die in der Praxis nicht eingehalten werden. Außerdem würden von Anwendern Defizite im Bereich Deep Learning bemängelt.

“Unsere Untersuchungen legen nahe, dass – obwohl IBM heute eine der ausgereiftesten Plattformen für Cognitive Computing anbietet -, die mächtigen Service-Komponenten vieler AI-Implementierungen ein Hindernis sind”, heißt es im Jefferies-Bericht. “Wir glauben außerdem, dass IBM im Kampf um AI-Talente unterlegen scheint. Schließlich legt unsere Analyse nahe, dass IBMs Erträge aus den Investitionen wahrscheinlich nicht über den Kapitalkosten liegen werden.”

Harriet Green, General Manager, IBM Watson IoT, Cognitive Engagement and Education und die Bayerische Staatsministerin Ilse Aigner gaben im Februar gemeinsam den Startschuss für das Watson IoT-Center in der Parkstadt Schwabing in München. (Bild: Martin Schindler)

Die Investmentbank stuft die IBM-Aktie daher als “überbewertet” ein. Am Freitag kostete sie an der New Yorker Börse zum Handelsschluss 154,24 Dollar. Jefferies hält dagegen einen Kurs von 125 Dollar für gerechtfertigt.

Watson ist IBMs Allzweckwaffe

Entwickelt und trainiert wurde Watson von IBM ursprünglich, um in der beliebten US-Fernsehsendung Jeopardy Menschen Paroli bieten zu können. Das gelang schließlich 2011 in zwei Sondersendungen, in denen Watson sich gegen die beiden Jeopardy-Champions Ken Jennings und Brad Rutter durchsetzen konnte. Das Spiel wurde vor allem deshalb als Test für die Fähigkeiten von Watson ausgewählt, weil dazu nicht nur eine Computern relativ leicht vermittelbare, große Menge lexikalischen Wissens erforderlich ist, sondern auch tiefes Verständnis natürlicher Sprache mit all ihren Wendungen und Tücken.

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Aus Sicht von IBM hat im Anschluss mit der Integration der Technologie hinter Watson in eine Vielzahl anderer Anwendungen die Ära des Cognitive Computing begonnen. Während sich seitdem zum Beispiel ein von Ricoh vorgestelltes interaktives Whiteboard oder ein von der Hotelkette Hilton erprobter Roboter-Concierge tatsächlich das Sprachverständnis von Watson zunutze machen, benötigen andere Anwendungsszenarien andere Fähigkeiten. Dazu hat IBM zum Beispiel 2014 schon Analytics-Anwendungen mit der Watson-Spracherkennung verknüpft.

David Kenny, CEO von The Weather Company, IBM-Vizepräsident John E. Kelly, Harriett Green, Leiterin der IBM-Sparte Watson IoT, sowie ihre ersten Referenzkunden Laurent Martinez von Airbus und Matthias Rebellius von Siemens Building Technologies (von links nach rechts) bei der Bekanntgabe der Pläne für das Watson-IoT-Center in München (Bild: IBM)

Zu den Vorzeigeprojekten für Watson gehören etwa die Analyse von Gesundheitsdaten von Apple-Nutzern, Verbesserungen in der täglichen, digitalen Arbeitswelt sowie, unter anderem zusammen mit Cisco in Kollaborationswerkzeugen, sowie selbst in Security-Anwendungen und im Bereich IT-Sicherheit. In Deutschland liegt seit der Einrichtung des Watson IoT Center in München im Februar diesen Jahres der Schwerpunkt darauf, Watson-Technologie für das Internet der Dinge nutzbar zu machen.

Watson ist überall, aber eventuell zu langsam

Allerdings gehen viele dieser Projekte und Initiativen erst auf die vergangenen Monate zurück. Und bis die komplexen Anwendungen in der Praxis ankommen und von den Kunden tatsächlich im Alltag genutzt werden, dauert es noch eine Weile. Das Problem hatte unter anderem siliocn.de-Blogger Heinz-Paul Bon aber auch schon 2014 konstatiert.

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Den Bedarf an Beratung und Unterstützung hat IBM wahrscheinlich zu Beginn der Watson-Reise unterschätzt. Inzwischen hat der Konzern reagiert. So wurde bereits 2015 eine Bratungseinheit speziell für Watson gegründet und im November 2016 dann mit einer 1500 Personen starken Abteilung “Watson IoT Consulting Solutions Practice” noch einmal nachgelegt.

Probleme bei Machine-Learing-Projekten generell

Ein Problem bei Machine-Learing-Projekten generell – nicht nur bei IBM – ist es nach Ansicht von Gartner-Analyst Alexander Linden dass – obwohl maschinelles Lernen bereits seit einigen Jahren im Markt ein Thema ist – Projekte oder trainierte Lösungen immer noch sehr stark auf einzelne Anwendungen zugeschnitten sind: “Googles Lösung für Go würde bei Watsons Jeopardy durchfallen und anders herum kann auch Watson kein Go”, so Linden im Mai auf dem Gartner-CIO-Summit in München.

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Seiner Ansicht nach lassen sich trainierte Anwendungen durchaus gewinnbringend einsetzen, sei es im Marketing, für das Flottenmanagement, bei der Bilderkennung, bei der Auswertung von Texten, oder der Beurteilung, ob ein Kunde kreditwürdig ist. Dabei handle es sich jedoch oft um “Narrow KI”, also Projekte, die sehr punktuell Antworten liefern. Aus Sicht von Anbietern wie IBM bedeutet das eine geringe Wiederverwertbarkeit einmal entwickelter oder trainierter Lösungen.

IBM mit Watson mit kleinem Vorsprung vor dem Mitbewerb

Zumindest im Bereich IoT scheint IBM aber einiges richtig gemacht zu haben. In der aktuell von IDC vorgelegten Einschätzung des Marktes für IoT-Plattformen ist der Konzern knapp vor GE Digital, Microsoft, PTC und AWS als bester der Top-Fünf-Anbieter eingestuft. IDC sieht IoT als “eine der tragenden Säulen der IBM-Strategie und entscheidend für die Transformation von Unternehmen zu einem kognitiven Business.”

Aktuelle Einschätzung von IDC zum Markt für IoT-Plattformen. Kritiker werfen IBM vor, dass der konstatierte Vorsprung, der auch auf den Einsatz der Watson-Technologie zurückzuführen ist, angesichts des dafür betriebenen, enormen Aufwands zu gering ausfällt. (Grafik: IDC)

Das ist ein schöner Erfolg für IBM. Er ist allerdings mit Milliardenübernahmen (darunter die Firmen Merge und The Weather Channel) sowie Milliardeninvestitionen auch teuer erkauft. Und im direkten Vergleich von Kosten und Nutzen dürften die Mitbewerbern daher deutlich besser dastehen.

Vieles, wie die jüngst bekannt gewordene Zusammenarbeit mit BMW, steht erst am Anfang und es ist unklar, inwieweit Kunden dafür schon bezahlen oder noch zusammen mit IBM daran arbeiten, die Technologie in ihrem Umfeld nutzbar zu machen. Aus Sicht von Anlegern ist daher mittelfristig die Einschätzung von Jeffries durchaus vertretbar. Langfristig könnte sich der breitere und vielfältigere KI-Ansatz von IBM dagegen durchaus auszahlen. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass sich der Konzern nicht in Teilbereichen von Spezialisten überholen lässt.

[mit Material von Stefan Beiersmann, ZDNet.de]

Tipp: Wie gut kennen Sie IBM? Überprüfen Sie Ihr Wissen – mit 15 Fragen auf silicon.de.

Redaktion

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