Ökonomen denken laut über Entflechtung von Internetkonzernen nach

Die USA hat eine lange Geschichte erfolgreicher Unternehmensgründungen vorzuweisen. Die Geschichte des Tellerwäschers, der es bis zum Millionär bringt, ist gar ein wesentlicher Bestandteil des “American Dream” und der Grundeinstellung der Amerikaner zu Wirtschaft, Leben und Gesellschaftsordnung. Schon oft wurde daher darauf hingewiesen, das in den USA erfolgreichen Unternehmern und Unternehmen mehr Bewunderung und Respekt entgegenbracht wird, als in Deutschland im Besonderen oder in Europa im Allgemeinen.

Während in den USA die Anerkennung vorherrschend ist, dass es “jemand geschafft hat”, zerfrisst hierzulande der Neid diejenigen, die davon nicht profitieren und den anderen den Erfolg nicht gönnen – so die landläufige Einschätzung, die auch in Reden von Politikern und Wirtschaftsvertretern immer wieder zum Ausdruck kommt. In den USA ist jeder erfolgreiche Unternehmer ein Superheld, im alten Europa lediglich ein potenzieller Ausbeuter der Arbeiterschaft.

Schwierig für große Konzerne wurde es in den USA immer dann, wenn sie in den Verdacht gerieten, eine marktbeherrschende Stellung auszunutzen, um von Verbrauchern überhöhte Preise zu fordern. Grundlage für das Vorgehen der Behörden gegen solche Firma war der 1890 erlassene Sherman Antitrust Act, der – inzwischen mehrfach modifiziert und angepasst – auch heute noch die Grundlage des US-amerikanischen Kartellrechts bildet.

Altes Kartellrecht greift bei der Internetwirtschaft nicht mehr

Das nach seinem Urheber, dem Senator John Sherman, benannte Gesetz war eine Reaktion auf die sich immer mehr beschleunigende Entwicklung der US-Wirtschaft nach dem Bürgerkrieg. Dazu trugen einerseits zahlreiche Erfindungen und Patentanmeldungen bei, andererseits die Gründung zahlreicher Firmen, die durch eine schnelle Folge von Übernahmen und Fusionen sowie vielfach zumindest umstrittene Geschäftspraktiken bald eine dominierende Stellung in ihrem Segment aufbauten. Vergleichbar mit der “Gründerzeit” in Deutschland brachte das den Firmen und ihren Besitzern, darunter Männern wie Andrew Carnegie, John D. Rockefeller, Cornelius Vanderbilt und John Pierpont Morgan, traumhaften Reichtum ein. Gleichzeitig verarmte jedoch die Bevölkerung in den Städten und blühte die Korruption. Unheilige Allianzen von Politik und Wirtschaft waren an der Tagesordnung. Ähnlichkeiten zu den USA unter dem aktuellen Präsidenten muss man nicht lange suchen.

Sieben der zehn wertvollsten Unternehmen der Welt sind Internet- und Software-Konzerne. Lediglich die Holdinggesellschaft Berkshire Hathaway, der Pharmazie- und Konsumgüterhersteller Johnson & Johnson sowie der Mineralölkonzern Exxon Mobile schaffen es noch als Vertreter herkömmlicher Branchen in die von der Unternehmensberatung EY erstellte Top-10-Liste (Grafik: Statista)

In den USA ist für die damalige Zeit der Begriff Gilded Age – “Vergoldetes Zeitalter” – üblich, der auf ein gleichnamiges Buch von Mark Twain zurückgeht. Er hatte den Titel bewusst als Abgrenzung zu dem seiner Ansicht nach vorangegangen, tatsächlich “goldenen” und eben nicht nur “vergoldetem” Zeitalter gewählt. Jetzt mehren sich in den USA die Stimmen, die durch die Internetkonzerne ähnliche Gefahren sehen wie damals durch Stahl-, Öl-, Eisenbahn- und Bankenkartelle und unter Rückgriff auf die in den letzten zwanzig Jahren lascher angewandten Kartellgesetze und Anti-Monopol-Regelungen ein beherzteres Vorgehen der Kartellwächter fordern.

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Das ist in den vergangen Jahren vielfach unterblieben, weil in den USA Anlass für Kartelluntersuchungen häufig die Befürchtung war, dass ein Monopolist die Preise für die Verbraucher hochtreiben oder die Eintrittsbarriere für Neugründungen über Gebühr erhöhen könnte. Da erstens viele Internetfirmen ihre Dienste Verbrauchern kostenlos anbieten (wenn man von der “Bezahlung” mit persönlichen Daten einmal absieht) und zweitens durch Nutzung der neuen Technologien Preise in vielen Bereichen tatsächlich gesunken sind, griff diese Betrachtungsweise nicht.

Wie Bloomberg in einem umfangreichen Bericht ausführt, wurden in den USA zwischen 1970 und 1999 pro Jahr im Durchschnitt 15,7 Monopolverfahren behandelt. Zwischen 2000 und 2014 seien es dagegen nur drei pro Jahr gewesen. Dabei erfüllen viele der Internetfirmen zumindest in Hinblick auf die Marktanteile die Monopolkriterien: Google kontrolliert dort 56 Prozent des Marktes für Anzeigen auf Mobilgeräten, Amazon wickelt in den USA rund 70 Prozent aller E-Book-Verkäufe ab und über die Amazon-Plattform läuft 30 Prozent des gesamten E-Commerce-Umsatzes in den USA. Und zusammen mit WhatsApp, Messenger und Instagram, die ja alle zum Konzern gehören, entfällt auf Facebook 75 Prozent des mobilen Datenverkehrs Sozialer Netzwerke.

Internet-Monopolisten schaden der Gesamtwirtschaft

Bloomberg beruft sich auf Jonathan Taplin, Autor des Buches “Move Fast and Break Things: How Facebook, Google, and Amazon Cornered Culture and Undermined Democracy”. Taplin leitete früher das Annenberg Innovation Lab an der University of Southern California, gründete zehn Jahre vor YouTube einen Video-on-Demand-Streaming-Dienst und war in den 80-er Jahren Investment Banker bei Merrill Lynch. Seiner Ansicht nach ist Google in Bezug auf das Internet ebenso als Monopolist einzustufen, wie Bell im Jahre 1956.

US-Unternehmen, die ausländische Gewinne in die USA bringen, zahlen den vollen Steuersatz von 35 Prozent plus Aufschläge in einzelnen Bundesstaaten. Daher “parken” zahlreiche Konzerne das Geld im Ausland – und hoffen, dass die bereits häufiger diskutierte, zeitlich befristete Ausnahmeregelung endlich kommt und es ihnen ermöglicht, die Reserven “heimzuholen” (Grafik: Statista)

Auch im deutschsprachigen Raum macht man ähnliche Beobachtungen und werden ähnliche Gedanken allmählich konkreter formuliert. Anfang des Jahres hat etwa der Wiener Unternehmer Gerald Hörhan sein Buch “Der stille Raub. Wie das Internet die Mittelschicht zerstört und was Gewinner der digitalen Revolution anders machen” vorgestellt. Auch wenn es hier eher um eine Art Tipp-Sammlung und die Bewerbung der eigenen, schnell reich und glücklich machenden Seminare als um die Ermittlung nachhaltiger Strategien zum Umgang der Gesellschaft mit dem Phänomen geht, so sind doch die grundlegenden Überlegungen und die Erkenntnisse, die die Ausgangsbasis bilden, weitgehend dieselben.

In seiner Keynote auf der diesjährigen Google I/O bezifferte CEO Sundar Pichai die Zahl der aktiven Android-Geräte auf zwei Milliarden. Ihm zufolge werden sieben Services des Unternehmens mittlerweile von mindestens jeweils einer Milliarde Menschen genutzt Grafik: Statista

Wissenschaftler, darunter David Autor, Wirtschaftsprofessor am MIT, haben laut Bloomberg nachgewiesen, dass die Internetkonzerne trotz ihrer teils beeindruckenden Mitarbeiterzahlen deutlich weniger Menschen beschäftigen als die Monopolgiganten von einst und es ihnen dennoch gelingt, einen überproportional großen Anteil der im Land erwirtschafteten Profite auf sich zu vereinigen.

Davon profitieren zwar auch ihre Angestellten, die in der Regel deutlich überdurchschnittlich verdienen, leidet aber nach Ansicht der von Bloomberg zitierten Wissenschaftler die Gesamtwirtschaft: Der Anteil der Arbeiter insgesamt am Gesamteinkommen sinkt, der Abstand zwischen reich und arm nimmt zu. Zudem werden weniger Firmen neu gegründet und weniger Stellen neu geschaffen und auch die Ausgaben in Forschung und Entwicklung seien rückläufig. All das führe zu der insgesamt schleppenden Entwicklung der US-Wirtschaft.

Bill Gates ist der mit Abstand reichste Mann der Welt. Laut Forbes besitzt der Microsoft-Gründer 86 Milliarden Dollar. Amazon-CEO Jeff Bezos liegt im Ranking aller Milliardäre überhaupt auf Platz drei. Facebook-Chef Marc Zuckerberg hat inzwischen Oracle-Chef Larry Ellison überholt (Grafik: Statista)

Daher mehren sich die Stimmen, die nach staatlichem Eingriff rufen. Luigi Zingales, Direktor des Stigler Center der Universität Chicago, weist etwa darauf hin, dass Monopolisten von heute die Start-ups von einst seien. Google und Facebook konnten Zingales zufolge nur erfolgreich sein, weil unter Präsident Bill Clinton 1998 ein Kartellverfahren gegen Microsoft eröffnet wurde. Es ging damals um die Verknüpfung des Web-Browsers mit dem Betriebssystem, womit der Mitbewerber Netscape abgewehrt werden sollte. Die erstinstanzliche Entscheidung, eine Entflechtung von Microsoft einzuleiten, wurde erst vom Berufungsgericht gekippt. Die Monopolvorwürfe wurden jedoch aufrechterhalten und die dagegen eingeleiteten Maßnahmen bremsten Microsoft und erlaubten es neuen Firmen sich ihren Platz zu sichern.

Giganten als Innovationskiller

Nach Daten von Bloomberg haben Alphabet, Amazon, Apple, Facebook und Microsoft zusammen in den vergangenen zehn Jahren 436 Übernahmen im Wert von 131 Milliarden Dollar getätigt. Keine davon habe die Wettbewerbshüter zu irgendeinem Eingreifen veranlasst. Nach Ansicht von Bloomberg wäre das aber sehr wohl manchmal notwendig gewesen. Denn sobald neue, innovative Firmen auftauchen, würden die entweder von den Giganten vom Markt gekauft oder – fast noch schlimmer – deren Innovationen einfach kopiert und in die eigenen, bereits marktbeherrschenden Produkte integriert.

Mitte Juli ist die Aktie von Snap erstmals unter den Ausgabekurs von 17 Dollar gefallen. Aktuell spricht wenig dafür, dass es schnell wieder aufwärts geht. Selbst die US-Bank Morgan Stanley, die das Unternehmen zusammen mit Goldman Sachs an die Börse gebracht hatte, hat eingeräumt, das Potenzial der Aktie falsch eingeschätzt zu haben und das Kursziel von 28 auf 16 Dollar reduziert. (Grafik: Statista)

Als Beispiel dafür führt Bloomberg Snap und die Nachahmung von Snap-Innovationen durch Facebook an. Seitdem Snap das Übernahmeangebot von Facebook in Höhe von 3 Milliarden Dollar 2013 abgelehnt hat, habe Facebook jede Neuerung von Snap umgehend kopiert. Laut Autor Jonathan Taplin trägt Facebook damit die Mitverantwortung an der schlechten Performance der Snap-Aktie: Schließlich habe es Werbekunden dieselben Funktionen wie Snap angeboten, könen aber ein wesentlich größeres Zielpublikum ereichen.

Dass der lenkende staatliche Eingriff bei weitem nicht nur destruktiv, sondern ausgesprochen positiv sein kann, belegt Taplin mit dem Verweis auf das Kartellverfahren gegen Bell Labs von 1956. Das Unternehmen wurde damals gezwungen, seine Patente an alle neu in den Markt eintretenden Firmen zu lizenzieren. Das habe zu einer wahren Flut an Innovationen in vielen Bereichen geführt, die von neuen Firmen vermarktet werden konnten. Zu denen gehörten nicht nur Fairchild Semiconductor, Motorola, Intel und Texas Instruments, sondern auch viele weitere frühe Firmen im Silicon Valley und damit letztlich das gesamte Silicon Valley.

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Redaktion

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