Der 12. August 2002 war in München ein für den Sommer relativ kühler Tag mit etwas Regen – ein Wetter passend zum Montag, werden sich viele gedacht haben. In der Redaktion von silicon.de, in der in den Tagen zuvor schon auf dieses Datum hin gefiebert wurde, herrschte dagegen hektische Betriebsamkeit und war die Motivation bei jedem Tastaturanschlag zu spüren: An diesem Tag nahm silicon.de als neu konzeptioniertes Informationsportal für IT-Profis und IT-Entscheider den Betrieb auf.
Die Umstände für einen Geburtstag waren nicht einfach. Die weltweite Wirtschaftskrise hatte auch Deutschland erreicht, die erste IT-Euphorie war zumindest bei den Anlegern abgeflaut. In derselben Woche legte ein gewisser Peter Hartz neue und ambitionierte Pläne vor, um die Zahl der Erwerbslosen zu reduzieren. Erklärtes Ziel war es, dies durch eine Reform der Arbeitsvermittlung zu erreichen, sein Name hat als Hartz IV Eingang in den Sprachgebrauch gefunden.
Anfang des Jahres wurde der Euro in zwölf EU-Staaten auch als Bargeld eingeführt, die EU-Osterweiterung für den Mai 2004 beschlossen und Gerhard Schröder als Bundeskanzler wiedergewählt. Dazu trug einerseits seine klare Ablehnung an der Beteiligung des US-amerikanischen Irak-Feldzuges bei, andererseits auch das Elbehochwasser, das im Frühsommer 2002 für erhebliche Schäden gesorgt und Schröder reichlich Gelegenheit gegeben hatte, sich bürgernah in den Medien zu zeigen.
Was beschäftigte damals nun die IT-Branche? Im Wesentlichen erholte sie sich gerade – mehr oder weniger erfolgreich – von den Nachwehen der großen Krise. Immerhin war schon Besserung in Sicht. Auch Cisco-Manager Howard Charney erklärte damals im Nachgang zu den wieder besseren, kurz zuvor vorgelegten Quartalszahlen seines Unternehmens: “Die Internet-Pleiten haben zwar vieles zum Stillstand gebracht. Doch bestimmte Techniken sind einfach nicht aufzuhalten. Und dazu gehört ganz sicherlich IP.”
Bislang hat er damit Recht behalten. Denn während 2002 Ethernet-Backbones in Stadtnetzen, MPLS zur Bewältigung der Komplexität und der soeben verabschiedete Standard für 10-Gigabit-Ethernet heiß diskutiert wurden, waren die Praktiker noch etwas zurückhaltender.
Carsten Queisser, damals Unternehmenssprecher der deutschen Cisco-Geschäftsstelle, räumte ein, dass “so etwas” nur an Instituten und Universitäten mit überschaubaren räumlichen Distanzen schon im Alltagsgebrauch stabil läuft. Für das Angebot “Ethernet to Everywhere” habe man lediglich erste Testkunden. Eine Referenz gab es nur in Italien. Dort waren allerdings bereits “über 1000 Nutzer” an das schnelle Netz angebunden.
Stephen Rommel von HP ProCurve, der Netzwerkabteilung von HP, ergänzte damals gegenüber silicon.de: “Natürlich ist die von ATM gewohnte Priorisierung bei Ethernet nicht drin, aber weil das der kommende Standard in der Übertragungstechnik ist, arbeiten alle Hersteller fieberhaft an einer Lösung dieses Problems.” Heute wird schon das damals als Raketenwissenschaft gefeirte MPLS wieder abgelöst: Die neue Zauberformel heißt SDN (Software Defined Networking) und Anbieter, die ihre Netze schon darauf umgestellt haben, können Unternehmen Dienste inzwischen sogar in On-Demand-Modellen zur Verfügung stellen.
Den Storage-Markt beschäftigte die Auseinandersetzung zwischen den Vertretern der beiden Bandspeichertechniken Digital Linear Tape (DLT) und Linear Tape Open (LTO). DLT gab es damals nur vom Hersteller Quantum, LTO wurde von einem in den späten Neunziger Jahren gegründeten Konsortium um Firmen wie IBM, HP und Seagate propagiert. Tape-Laufwerke hatten seitdem durch die gesunkenen Preise und gestiegenen Kapazitäten von Festplatten arg zu leiden und wurden schon mehrfach totgesagt.
Gerade hat aber IBM in Kooperation mit Sony erneut einen erheblichen Leistungssprung präsentiert und sieht nicht nur Potenzial für die nächsten zehn Jahre, sondern auch möglicherwiese erhöhte Nachfrage in Bereichen, die man der Technologie so gar nicht zutraut, darunter im Umfeld von Big Data und Cloud Computing.
Marktforscher sagten im August 2002 goldene Zeiten für Fingerabdruck-Chips voraus. Damit würden beispielsweise finanzielle Transaktionen über das Mobiltelefon sicherer, hieß es. Allmählich sind wir so weit. Immerhin. Die Optimisten von damals hatten allerdings mit einem wesentlich rascheren Erfolg gerechnet.
Abgezeichnet hat sich dagegen das Versagen der zunächst als neues Wundermittel und Umsatzbringer begrüßten Multi-Media-Message (MMS). 2002 wurde klar, dass sie es definitiv nicht schafft, SMS abzulösen. Das gelang dann erst den Messengern, allen voran heute trotz der langanhaltenden Diskussionen um deren Sicherheit WhatsApp.
Noch nicht so genau wusste man damals, wie es bei den mobilen Endgeräten weitergehen soll. Handspring versuchte im Sommer 2002 erstmals seinen Treo eine Mischung aus Telefon und Organizer, auf die Bedürfnisse eines Mobilfunkanbieters (Sprint in den USA) anzupassen. Auch andere Ideen gab es, zahlreiche Hindernisse aber auch. Zum Beispiel fehlte es in der Bevölkerung noch an Akzeptanz für die erforderlichen Mobilfunkmasten.
Michelle de Lussenet, Analystin für Mobilfunk und mobile Endgeräte beim IT-Marktforschungsunternehmen Forrester, sagte damals gegenüber silicon.de: “Wir beobachten immer wieder, dass die durchschlagendsten Neuentwicklungen von der Geräteseite her kamen. Aber das gilt weniger für GSM-Funktionen – die Anwender wollen etwas Neues.” Sie rechnete damit, dass der Gewinn bei UMTS weniger eine Frage der Zeit, als vielmehr des richtigen Zeitpunkts sei. Der werde da sein, wenn Hersteller und Anbieter marktfähige Lösungen bereithalten.
“Das sehe ich nicht vor 2007”, so de Lussenet. Dann könnten ihrer Ansicht nach auch Endgeräte einen Markt finden, die als kleine Helfer für den mobilen Internetzugang, die Lücke zwischen Telefon und PC schließen. Mit Steve Jobs scheint sie auch gesprochen zu haben: Im Juni 2007 kam in den USA die erste Generation des iPhone auf den Markt.
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