Der Bundeswahlleiter hat vergangene Woche wegen Verletzung des Wahlgeheimnisses bei der Bundestagswahl 2017 insgesamt 42 Strafanzeigen gestellt. Das hat Die Welt auf Nachfrage bei dem Amt erfahren. Dem Bericht des Blattes zufolge stehen die Anzeigen im Zusammenhang mit Bildern beziehungsweise Filmen der Stimmzettel, die zum Beispiel bei Facebook, Twitter und Instagram veröffentlicht wurden.
Ihren Bericht macht Die Welt mit einem Porno-Sternchen auf, dass sich nur notdürftig bekleidet im Vorfeld der Wahl beim Ausfüllen des Stimmzettels für die Briefwahl ablichten ließ und dieses Foto bei Instagram veröffentlicht hat. Nun drohe der nicht mehr ganz so jungen Frau, dass ihre “Stimme als ungültig gewertet wird” oder möglicherweise “noch weit Schlimmeres” – nämlich eine Gefängnisstrafe von bis zu zwei Jahren.
Begründet wird das von dem Blatt mit Paragraph 107c des Strafgesetzbuches. Dort heißt es: “Wer einer dem Schutz des Wahlgeheimnisses dienenden Vorschrift in der Absicht zuwiderhandelt, sich oder einem anderen Kenntnis davon zu verschaffen, wie jemand gewählt hat, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.”
Wie ist Paragraph 107c StGB auszulegen?
Nach Auskunft des Büros des Bundeswahlleiters gegenüber silicon.de ist allerdings unter Juristen umstritten, wie dieser Paragraph genau ausgelegt werden soll. Einerseits könnte man ihn so verstehen, dass damit nur der Schutz vor Ausspähung durch Dritte unter Strafe gestellt wird. Das Büro des Bundeswahlleiters sieht das aber anders: Das Wahlgeheimnis sei ein sogenanntes “objektives Recht”. Das heißt, es gilt für alle und unabhängig davon, ob der Einzelne dieses Recht für sich gerade in Anspruch nehmen will. Ja, der Einzelne kann sich dieses Rechts gar nicht entäußern – was er aber durch die Dokumentation per Foto oder Film und deren Veröffentlichung täte.
Der Bundeswahlleiter hatte im Frühjahr ein eindeutiges Verbot von Fotografien in der Wahlkabine ausgesprochen. Dazu wurden mit der “Elften Verordnung zur Änderung der Bundeswahlordnung” (PDF) am 24. März 2017 mehrere Passagen geändert. Seitdem heißt es in Paragraph 56 der Bundeswahlordnung eindeutig: “In der Wahlkabine darf nicht fotografiert oder gefilmt werden.”
Bemerkt der Wahlvorstand, dass jemand das trotzdem tut, dann muss er den Wähler zurückweisen. Das heißt aber noch nicht, dass die Stimme ungültig ist. Denn in Paragraph 56 der Bundeswahlordnung heißt es weiter: “Hat der Wähler seinen Stimmzettel verschrieben oder versehentlich unbrauchbar gemacht oder wird der Wähler nach Absatz 6 Nr. 4 bis 6 zurückgewiesen [Anmerkung der Red:: hierunter fällt auch das Fotografieverbot], so ist ihm auf Verlangen ein neuer Stimmzettel auszuhändigen, nachdem er den alten Stimmzettel im Beisein eines Mitglieds des Wahlvorstandes vernichtet hat.”
Auf der Website des beim Statistischen Bundesamt angesiedelten Bundeswahlleiters wird dazu erklärt: “Verstößt eine Person gegen diese Vorgaben und nimmt sie die eigene oder eine fremde Stimmabgabe auf, so ist der Wahlvorstand verpflichtet einzuschreiten. Er verweigert die Entgegennahme des Stimmzettels und kann Personen, die das Wahlgeheimnis gefährden, aus dem Wahlraum verweisen.”
Aber auch dieser Lesart zufolge muss lediglich die Annahme der Stimme verweigert werden. Ob der Stimmzettelfotograf aus dem Wahlraum geworfen und ihm damit die Möglichkeit genommen wird, einen zweiten Stimmzettel zu verlangen, liegt offenbar im Ermessen des Wahlvorstands.
Wenn Briefwähler Stimmzettel fotografieren
Wie verhält es sich, falls ein Briefwähler seinen ausgefüllten Stimmzettel fotografiert und veröffentlicht? Dazu ist ein Blick in Paragraph 66 der Bundeswahlordnung erforderlich. Dort heißt es: “Der Stimmzettel ist unbeobachtet zu kennzeichnen und in den Stimmzettelumschlag zu legen”.
Wer das aus welchen Gründen auch immer nicht selbst tun kann, der darf eine Hilfsperson hinzuziehen. Die muss mindestens 16 Jahre alt sein und durch Unterschrift unter einer eidesstattlichen Versicherung bestätigen, dass sie den Stimmzettel auftragsgemäß ausgefüllt hat.
Auch bei der Briefwahl ist die Frage offen, ob das Rechte, den “Stimmzettel unbeobachtet zu kennzeichnen” ein objektives Recht ist, auf das der Inhaber gar nicht verzichten kann, oder ob es sich vielmehr um eine Bestimmung handelt, die vor allem Personen schützen soll, denen Dritte dieses Recht streitig machen wollen – etwa in autoritär geprägten Familienumständen, bei einem Aufenthalt in einem Pflegeheim oder ähnlichem.
Gegenüber silicon.de betont eine juristische Sprecherin des Bundeswahlleiters, dass dessen Büro die ihm derzeit bekannt gewordenen 42 Fälle lediglich zur Anzeige gebracht habe. Die Auslegung der oben zitierten, einschlägigen Gesetze, obliege nun den Gerichten. Notwendig seien die Anzeigen deshalb gewesen, weil bei der diesjährigen Bundestagswahl das Fotografieverbot erstmals bestand. Da mehrfach dagegen verstoßen wurde, müsse nun eben geklärt werden, wie Staatsanwaltschaft und Gerichte damit umgehen.
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Gegenüber Zeit.de erklärte ein Sprecher des Innenministeriums bereits im Frühjahr, man mache sich nicht strafbar, wenn das Foto des eigenen Stimmzettels später im Internet veröffentliche. Dieser Interpretation könnten die Gerichte durchaus auch folgen. Bei den Landtagswahlen im Saarland waren laut Zeit.de Handy-Fotos sogar erlaubt, bei denen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen enthielt die Wahlordnung zumindest kein Verbot.
Letztendlich geht es also bei den nun erstatteten Strafanzeigen wieder einmal darum, Recht und Technik in Einklang zu bringen. Das Büro des Bundeswahlleiters, das für den ordnungsgemäßen Ablauf der Wahl zuständig ist, hatte mehr oder weniger keine andere Wahl, als die als Verstöße interpretierbaren Veröffentlichungen zur Anzeige zu bringen.
Darüber entscheiden, ob sie strafbar sind, müssen nun die Gerichte. Und im Anschluss wäre es dann sicher sinnvoll, wenn die entsprechenden Paragraphen durch den Gesetzgeber um Passagen ergänzt werden, die Klarheit schaffen. Mit einem entsprechenden Entwurf des Innenministeriums kann sich dann ja der neu formierte Bundestag befassen. Und wenn er sich nicht zu sehr in Formalien verliert, schafft er das vielleicht sogar bis zur nächsten Wahl.
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Richtig ist die Auffassung des Bundeswahlleiters insofern, dass das Wahlgeheimnis zur Vermeidung sozialen Drucks, der die Wahlfreiheit beeinträchtigen würde, nicht in das Belieben des Einzelnen gestellt werden darf. Das verpflichtet aber erstmal nicht die Wähler, sondern den Gesetzgeber, der deshalb beispielsweise die Bedingungen für die Briefwahl entsprechend regeln muss. Tut er das nicht, ist die Wahl anfechtbar, aber nicht die Wähler, die lediglich verfassungsrechtlich unerwünschtes Verhalten zeigen, verklagbar.
Tatsächlich ist schon fraglich, ob bei der Briefwahl überhaupt eine Vorschrift im Sinn des § 107c StGB existiert. Der Stimmzettel muss hier unbeobachtet gekennzeichnet und eingetütelt werden, aber falls eine Fotografie eine Beobachtung ist, erfasst sie jedenfalls nicht den ganzen Vorgang. Sie schützt auch allenfalls bedingt das Wahlgeheimnis, wenn bei der Urnenwahl eine Zurückweisung mit anschließender Wiederholung der Stimmabgabe für ausreichend befunden wird, die Sicherheit einer öffentlich gewordenen Stimmabgabe zu durchbrechen. Bei der Briefwahl ist in der Regel eh nicht überprüfbar, ob der Wahlbrief wirklich so abgegeben worden ist.
Was dann in der Literatur tatsächlich noch strittig ist, ist, ob "jemand" in § 107c StGB der Zuwiederhandelnde selber sein kann. Meines Erachtens spricht schon der Wortlaut dagegen ("verschaffen" unterstellt eine Anstrengung oder einen Dissens). Auch wenn das Wahlgeheimnis als Wahlrechtsgrundsatz weiter geht, ist Schutzzweck der Strafvorschrift offensichtlich das persönliche Recht auf geheime Wahl.
Ob das tatsächlich vor Gericht landet oder gar in einem Hauptverfahren geklärt wird, ist fraglich. Erstmal muss die Staatsanwaltschaft von der Strafbarkeit überzeugt sein, die Verfolgung für opportun halten und einen Tatverdächtigen ermitteln (es ist mindestens ein verifizierter Abgeordneter darunter, bei dem aber zuerst der Landtag die Immunität aufheben müsste). Nur zur Klärung einer Rechtsfrage wär eine Strafanzeige jedenfalls missbräuchlich; der Bundeswahlleiter muss schon von der Strafbarkeit überzeugt sein, wenn er sich damit nicht selber strafbar machen will.