Die Arbeiten und Entwicklungen aus der virtuellen Welt müssen sich in der Realität beweisen. Ein zentraler Ort, an dem dies geschieht ist der “Operation Room” – die Red-Bull-Kommandozentrale, von der aus das Team und die Fahrzeuge während der Formel-1-Rennen gesteuert werden. Hier entscheidet sich, ob die von den Entwickler- und Ingenieurteams in CAD-Programmen erdachten und konstruierten Boliden in der Realität Rennen gewinnen. silicon.de sprach mit Matt Cadieux, CIO Red Bull Racing Team, darüber, wie sein Team diese Aufgabe meistert.
silicon.de: Der Operation Room ist während eines Rennens die Kommandozentrale ihres Rennteams. Wie muss ich mir die Arbeit dort vorstellen?
Matt Cadieux: Es ist sehr ruhig, die Kolleginnen und Kollegen arbeiten sehr konzentriert. Hier kommen an einem Rennwochenende etwa 50 Leute zusammen. In der ersten Reihe sitzen die Strategen, die die anderen Rennteams auf Video beobachten und analysieren. Dahinter die Aerodynamiker und so weiter.
Ganz hinten sind die Spezialisten, deren Expertise wir benötigen, falls etwas passiert. Jeder Arbeitspatz ist mit zwei Monitoren ausgestattet. Alle tragen Kopfhörer. Es ist wirklich sehr leise.
silicon.de: Wie sehen die Daten aus, die über die Netzwerke auf die Monitore kommen?
Cadieux: Das richtet sich natürlich immer nach den Verantwortlichkeiten und den Spezialisierungen. Sie sind unterschiedlich aufbereitet. Sie kommen von der Rennstrecke, werden von verschiedenen Anwendungen analysiert und grafisch aufbereitet. Es sind keine Datensätze und -zeilen, wie bei anderen Rennställen.
Außerdem haben wir einen großen Bildschirm. Dieser Bildschirm nimmt die gesamte vordere Zimmerwand ein. Hier laufen die Videos aus unseren Kameras an der Rennstrecke und die Videos der Fernsehsender. Alle sehen aus den unterschiedlichsten Perspektiven, was auf der Rennstrecke gerade passiert – und sie können diese Aktionen mit den Daten vergleichen, die sie aus den Fahrzeugen erhalten.
silicon.de: Wie verteilen Sie die Daten innerhalb des Operation Rooms und an der Rennstrecke?
Cadieux: Wir arbeiten mit visualisierten Systemen. Die Anwendungen laufen zentral im Rechenzentrum. Wir bringen dann Bilder und Grafiken auf die Monitore und Tablets. Während des Rennens sind das vor allem die Auswertungen der Renndaten und die CAD-Modelle der Autos und der Komponenten. Hierfür nutzen wir eine Citrix-Infrastruktur, die wir weltweit an jeden beliebigen Ort ausrollen können.
silicon.de: Ist es Ihren Ingenieuren erlaubt, während eines Rennens ein Wochenende frei zu nehmen?
Cadieux: Nein. Das ist ein Teil der Stellenausschreibung. Alle Verantwortlichen und Spezialisten müssen im Operation Room sein. Aber es gibt auch Kolleginnen und Kollegen, die aus Neugier oder Begeisterung kommen. Auch unsere Technologiepartner sind häufig eingeladen. Uns ist es wichtig, dass sie sehen, wie wir mit ihren Systemen und Technologien arbeiten. Anschließend diskutieren wir, wie wir die Systeme verbessern können.
silicon.de: Sind auch Ihre externen Partner in die Prozesse im Operation Room oder an der Rennstrecke mit eingebunden?
Cadieux: Nein, nein, diese Daten und diese Prozesse sind nur für uns. Hier im Operation Room ist alles sehr geheim und abgeschottet. Aber wir versorgen unsere Partner via MPLS-Verbindungen mit Realtime-Informationen – Content und Video – von der Rennstrecke. Wir wollen, dass sie auf dem Laufenden sind. Aber wenn etwas Unvorhergesehenes auf der Rennstrecke passiert reagieren normalerweise nur unsere Leute.
silicon.de: Die wichtigsten Personen eines Rennstalls sind die Fahrer. Die Fahrzeuge senden ohne Unterbrechung die Daten. Aber können sie auch Daten empfangen?
Cadieux: Nein. Das Display des Fahrers ist viel zu klein. Wir kommunizieren ausschließlich über Funk. Und im Gegensatz zu unserem Datenverkehr über die Netzwerke sind die Anweisungen an die Fahrer sehr, sehr kurz und pragmatisch.
Sie müssen sich vorstellen, dass unsere Fahrer aus ihrer Perspektive nur einen Bruchteil dessen sehen und hören, was im Rennen um sie herum tatsächlich passiert.
Und deshalb haben die Fahrer ihren eigenen Monitor, wenn sie an die Box kommen. Wir zeigen ihnen beim Tanken die wichtigsten Informationen des Rennens und ihres Autos. Und dann sind sie auch schon zurück im Rennen.
silicon.de: Die Entwicklung der Fahrzeuge geschieht zum allergrößten Teil in ihrem PLM-System. In welchem Maße ist der Erfolg ihres Teams davon abhängig, dass die Entwicklerinnen und Entwickler die Fahrzeuge physisch sehen, anfassen, fühlen und beurteilen können?
Cadieux: Die PLM- und CAD-Systeme von Siemens sind grundlegend für unsere IT-Strategie. Die Fahrzeuge und die Produktion sind als Digitale Zwillinge dort im System abgebildet. Das ist die virtuelle Welt, in der unser Ingenieurteam arbeitet. Alle Fahrzeuge, alle Komponenten, alle Produktionsprozesse entstehen hier.
Aber die Ingenieure sitzen Tür an Tür mit dem Workshop oder auch mit der Lackiererei. Es besteht ein intensiver und guter Austausch zwischen virtueller Welt und der Realität eine Tür weiter.
Red Bull “RB 12” – der Bolide der Saison 2016.
Falls bei einem Rennen etwas nicht gut gelaufen ist, sehen und analysieren die Ingenieure die Fahrzeuge oder die Komponenten in der realen Welt. In der virtuellen Welt können sie sich die Videos ansehen oder in den Daten lesen und recherchieren und erhalten so ein umfassendes Bild, etwa eines Unfalls.
silicon.de: Aber Hand aufs Herz. Welche der Red-Bull-Boliden sind Ihnen lieber? Die fertig gebauten in der Realität oder deren digitalen Zwillinge in den PLM-Systemen?
Cadieux: Beide! … Natürlich!
silicon.de: Diese Antwort ist mir ein klein wenig zu einfach.
Cadieux: Wenn ich mich entscheiden muss, entscheide ich mich natürlich für die physischen, fertig gebauten Autos. Denn die sind das Ergebnis von allem, mit dem wir uns hier jeden Tag beschäftigen. Und sie stehen für das Geschäftsmodell unseres Teams. Wir entwickeln die schnellsten Autos und wir machen das Beste aus unserem Budget und unseren Ressourcen. Aber natürlich mag ich die CAD-Modelle, die Analytics-Systeme und die Simulationen.
silicon.de: Diese Systeme sind die wichtigsten Werkzeuge die Sie als CIO ihren Kolleginnen und Kollegen in die Hand geben?
Cadieux: Analytics und Simulation erlauben uns, die Fahrzeuge zu bauen, die so gut sind, dass wir die Rennen gewinnen. Aber andere Prozesse wie Strategien entwickeln, Logistikprozesse aufbauen, finden ebenfalls in der digitalen Welt statt. Wenn wir in ein Rennen gehen, müssen wir alles gleichzeitig aktivieren und auf den jeweiligen Ort zuschneiden. Und dann sind wir darauf angewiesen, dass in der Realität alles reibungslos zusammen läuft.
silicon.de: Arbeitet Ihr Ingenieurteam auch für andere Hersteller? Und entwickelt Red Bull in der digitalen Welt auch Fahrzeuge und Komponenten für den täglichen Gebrauch?
Cadieux: Wir arbeiten gemeinsam mit Aston Martin an einem Hypercar namens “Valkyrie”. Aber diese Entwicklung ist nicht mit unseren internen IT-Systemen verbunden, die wir für die Rennen benutzen. Die stehen exklusiv für die Wettbewerbe und für die Boliden zur Verfügung.
“Valkyrie” ist dervon Red Bull gemeinsam mit Aston Martin entwickelte “Hypercar”. Zum Betrachten mit dem Steuerungskreuz in diesem 360-Grad-Video einmal um 180 Grad drehen.
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